Viele Studierende, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, aber ursprünglich aus anderen Ländern kommen, müssen um ihren Aufenthaltsstatus fürchten. Ende August läuft eine Übergangsregelung aus, mit der sich Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ohne Visum in Deutschland aufhalten können. Während Ukrainer*innen vergleichsweise einfach an eine Aufenthaltserlaubnis kommen, ist das für Menschen aus sogenannten Drittstaaten komplizierter. Viele Studierende aus Maghreb-Staaten und dem südlichen Afrika fürchten, dann ausreisen zu müssen. Nur wenige Bundesländer haben bereits auf diese Situation reagiert und für die Personengruppen Übergangsregelungen gefunden.
Wer ist betroffen?
Angaben des Bundesinnenministeriums zufolge haben etwa 29.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland eine andere Staatsbürgerschaft als die ukrainische. Viele von ihnen sind internationale Studierende. Im Jahr 2020 hielten sich rund 75.000 internationale Studierende aus 155 Ländern in der Ukraine auf.Quelle
In der Ukraine hatten sie oft dreijährige Visa, einen Studien- und Arbeitsplatz, so Juliane Gebel von BIPoC Ukraine & Friends. Die NGO setzt sich dafür ein, dass Kriegsflüchtlinge aus Drittstaaten in Deutschland mit ukrainischen Staatsbürger*innen gleichgestellt werden. An die Organisation wenden sich derzeit hauptsächlich Studierende aus verschiedenen Ländern des südlichen Afrikas sowie aus Maghreb-Staaten. Einige seien verzweifelt: Wenn die Ausländerbehörde bereits negativ über einen Antrag entschieden habe, sei die Person schon ab dem 31. August ausreisepflichtig, so Gebel.
Wie ist die Rechtslage und was ändert sich ab September?
Drittstaatler*innen bräuchten eigentlich ein Visum (oder einen anderweitigen Aufenthaltstitel), um legal in Deutschland zu sein. Wegen des Krieges wurde davon eine Ausnahme gemacht: Mit zwei Verordnungen hat das Bundesinnenministerium klargestellt, dass auch Drittstaatler*innen zur Zeit ohne Visum einreisen und sich in Deutschland aufhalten können. Das gilt zunächst bis zum 31. August 2022. Zwar gilt für Drittstaatler*innen, die nach dem 03. Juni einreisten, eine verlängerte Frist bis 30. November; die meisten dürften aber bereits zuvor nach Deutschland gekommen sein.Quelle
Doch welchen Aufenthaltstitel können sie anschließend bekommen? Zur Erinnerung: Ukrainische Staatsangehörige bekommen gemäß der "Massenzustromrichtlinie" eine Aufenthaltserlaubnis nach §24 AufenthG. Sie haben dadurch einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland, können Sozialleistungen beziehen und arbeiten. Quelle
Von den Drittstaatler*innen haben hingegen nur einige Personengruppen einen Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis nach § 24:
- Familienangehörige von Personen, die einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG (also nach der "EU-Massenzustrom-Richtlinie") bekommen.Quelle
- Anerkannte Flüchtlinge aus der Ukraine und ihre Familienangehörigen.Quelle
- Drittstaatsangehörige mit einem befristeten oder unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine, wenn eine Rückkehr in ihr Herkunftsland unmöglich ist, wie das Bundesinnenministerium in einem Rundschreiben klarstellte. Personen mit einem befristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine müssen jedoch individuell darlegen, warum eine Rückkehr nicht möglich ist (Gründe können etwa politische Verfolgung, Kriege oder persönliche lebensgefährdende Umstände sein). Bei Personen aus Syrien, Afghanistan und Eritrea wird grundsätzlich angenommen, dass eine Rückkehr unmöglich ist. Auch die EU-Kommission hat in "Operativen Leitlinien" zur Umsetzung der "EU-Massenzustrom-Richtlinie" Hinweise zur Auslegung gegeben. Quelle
- Drittstaatsangehörige, die keinen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erhalten, können sich um anderweitige Aufenthaltstitel bemühen: etwa einen Aufenthaltstitel zum Zwecke des Studiums oder einen humanitären Aufenthaltstitel nach Durchlaufen eines Asylverfahrens.
Für die Drittstaatler*innen, die keinen Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG haben, ist daher mit dem 31. August unklar, wie es weitergehen wird. Und nicht nur das: Formell gesehen halten sie sich ab dann sogar ohne eine legale Aufenthaltserlaubnis in Deutschland auf.
Bundesländer und Universitäten suchen nach Übergangslösungen
Im Prinzip könnten die Drittstaatler*innen sich um eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Studium in Deutschland bemühen, um weiter legal in Deutschland zu sein. Sie müssen jedoch die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie internationale Studieninteressent*innen, also beispielsweise 10.000 Euro für den eigenen Lebensunterhalt nachweisen. Christoph Hilgert von der Hochschulrektorenkonferenz sieht das als die größte aufenthaltsrechtliche Hürde für die Drittstaatler*innen.
Eine weitere Voraussetzung für die meisten Studiengänge in Deutschland sind Sprachkenntnisse auf dem hohen C1-Niveau. Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen sagte dem MEDIENDIENST, dass viele Betroffene bereit seien, intensiv Deutsch zu lernen – allerdings gehe das nur über zertifizierte Sprachkurse, von denen es schlicht nicht genug gebe.
Außer einer Aufenthaltserlaubnis über einen Studienplatz können Drittstaatler*innen grundsätzlich auch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz finden und darüber einen Aufenthaltstitel erlangen. Allerdings müssten auch für eine Ausbildung Deutschkenntnisse auf B1-Niveau erlangt werden, so Oerter.
Berlin, Bremen und Hamburg als Vorreiter
Berlin, Bremen und Hamburg haben bereits Übergangslösungen gefunden: Sie erteilen Drittstaats-Studierenden Fiktionsbescheinigungen, sobald diese sich bei den Ausländerbehörden registrieren lassen.
Das gilt in Hamburg und Bremen bereits seit Mai. In Berlin verkündete der Berliner Senat im August, dass speziell Drittstaatler-Studierenden aus der Ukraine ein einmaliger, sechsmonatiger Aufenthalt nach §24 AufenthG zu gewähren sei. Mit diesem können sie – wie auch Kriegsflüchtlinge mit ukrainischer Staatsbürgerschaft – Sozialleistungen beziehen und arbeiten. In Berlin seien derzeit etwa bereits 150 nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige gemeldet.
Einige Universitäten haben speziell für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Angebote entwickelt, die auch Drittstaatsangehörigen eine mittelfristige Perspektive bieten können – vorausgesetzt sie haben vorübergehenden Schutz nach §24 AufenthG erhalten und einen dem Abitur vergleichbaren Schulabschluss. Die Universität Freiburg etwa bietet für zwei Semester ein sogenanntes Kurzzeitstudium.
Ein sechsmonatiger Aufenthalt sei jedoch keine wirkliche Lösung, sagte Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen dem MEDIENDIENST. Zwar ende für viele Drittstaatler*innen in Bremen der Aufenthalt erst im frühen Winter. "Aber wir werden dann wieder vor dem gleichen Problem stehen: Den Betroffenen wird eine klare Bleibeperspektive verwehrt." Sprecher*innen des Bremer Senats sagten dem MEDIENDIENST, dass eine Verlängerung des sechsmonatigen, vorübergehenden Schutzstatus nicht geplant sei, sobald dieser einmal gewährt wurde
Von Martha Otwinowski
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