In Russland war Elena Vorwerk Psychologin. Bei ihrem Umzug nach Deutschland vor acht Jahren ahnte sie nicht, dass es schwierig sein würde, ihrem Beruf nachzugehen. Doch schon nach kurzer Zeit musste sie feststellen, dass ihr Studienabschluss nicht anerkannt wird. Vorwerk jobbte also hier und da, machte schließlich eine Fortbildung zur Alltagsbegleiterin in der Altenhilfe und arbeitete bei einem Pflegedienst in Hannover. Als die gebürtige Russin im April vom neuen Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) erfuhr, stieg in ihr die Hoffnung hoch, dass sie bald wieder ihren ursprünglichen Beruf ausüben könnte. Inzwischen ist der 45-Jährigen jedoch die anfängliche Freude vergangen.
Das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz schafft seit seinem Inkrafttreten am 1. April 2012 vor allem klare Rahmenbedingungen. Zwar konnten auch vorher Anträge auf Anerkennung der Berufsqualifikation gestellt werden, doch es lag im Ermessen der Prüfstellen, diese zu bearbeiten. Nunmehr haben Antragsteller einen Anspruch darauf und seit Dezember müssen diese sogar innerhalb von drei Monaten bearbeitet werden. Nach Schätzungen der Bundesbildungsministerin Annette Schavan sollten pro Jahr rund 300.000 Menschen von der Neuregelung profitieren. Doch in einer ersten Bilanz ging es nur noch um Klickzahlen und 180.000 Besucher auf dem Onlineportal "Anerkennung in Deutschland". Eine Bilanz der deutschlandweit gestellten Anträge konnte oder sollte noch nicht genannt werden.
Derweil machen sich in der Praxis Schwierigkeiten in der Umsetzung bemerkbar:
Elena Vorwerks Problem begann damit, dass sie ihre früheren Aufgaben im „Büro für medizinische und soziale Begutachtung“ in ihrer Heimatstadt Brjansk nicht richtig beschreiben konnte. Als sogenannten Referenzberuf für den Teil ihrer Ausbildung, der in Deutschland anerkannt werden könnte, gab sie Sozialarbeiterin an. Doch ihr Antrag wurde abgelehnt. Beim zweiten Anlauf unterstützt sie Waltraud Kämper, die bei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover in der Abteilung Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt beschäftigt ist. Die Diplompädagogin lernt Vorwerk im Rahmen des Mentoringprogramms Minerva kennen, das mit dem Ziel startete, qualifizierten Migrantinnen den Zugang in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Waltraud Kämper kennt inzwischen einige Tücken im BQFG-Verfahren: „Antragsteller können schon beim Formulieren etliche Fehler machen. Denn beim Beschreiben der Tätigkeiten muss man wissen, welche Fachtermini im Deutschen verwendet werden.“ Sprachliche Hürden seien es aber nicht allein, die überwunden werden müssen. Erschwert werden die Ambitionen potentieller Antragsteller auch durch Lücken im Beratungsangebot.
Im bundesweiten Netzwerk Integration durch Qualifizierung (IQ) sind zwar zahlreiche Einrichtungen zusammengeschlossen, die über das "Anerkennungsgesetz" informieren. Von einem flächendeckenden Angebot kann jedoch nach Ansicht von Rosina Walter nicht die Rede sein. Sie arbeitet im Frankfurter Verein Berami, eine der IQ-Beratungsstellen in Hessen. Die Geschäftsführerin nennt das BQFG einen „undurchsichtigen Dschungel“ und findet den Begriff "Anerkennungsgesetz" irreführend. „Diese Formulierung weckt Hoffnungen und Erwartungen", sagt Walter. "Dabei gewährt das Gesetz Antragstellern lediglich den Anspruch, dass ihre Abschlüsse daraufhin geprüft werden, ob sie mit deutschen als gleichwertig gelten können."
Was viele nicht wissen: Das am 1. April in Kraft getretene Gesetz betrifft nur Berufe im Zuständigkeitsbereich des Bundes. Es gibt zahlreiche Berufe, deren Gleichstellung und Anerkennung über Ländergesetze zu regeln sind – dazu gehören etwa Lehrer, Erzieher, Ingenieure, Architekten, Sozialpädagogen und berufsfachschulische Abschlüsse. Hamburg ist das einzige Bundesland, das bisher ein Gesetz für die landesrechtlich reglementierten Berufe verabschiedet hat. In allen anderen Bundesländern befinden sich die Gesetzesentwürfe in unterschiedlichen Stadien. Als Vorlage dient ein Mustergesetz, auf das sich die Kultusminister der Länder geeignigt hatten. Im Düsseldorfer Landtag beispielsweise fand am 8. November die erste Lesung des Gesetzes statt.
Experten aus den Beratungseinrichtungen sind froh über die Einführung des Gesetzes, doch viele fordern Nachbesserungen, vor allem im Bezug auf Qualifizierungsmaßnahmen. "Das Gesetz regelt zwar, wer Anspruch auf Feststellung von gleichen Qualifikationen hat, nicht aber, wer Nachqualifizierungen finanzieren und wer entsprechende Kurse und Module anbietet soll", erklärt Michael Gwosdz vom Diakonischen Werk Hamburg. Der Leiter der Zentralen Anlaufstelle Anerkennung stellt nach den ersten sieben Monaten fest, dass es "für Antragsteller gar nicht so einfach ist, Maßnahmen und Module zu finden, die auf ihre Berufe abgestimmt sind". Der Experte betont zugleich, dass es noch zu früh sei, "ein Urteil über die Praktikabilität des Gesetzes zu fällen".
Ob Elena Vorwerk von dem neuen Gesetz profitieren wird, wird sie spätestens drei Monate nach dem sie ihren neuen Antrag eingereicht hat, erfahren. Innerhalb dieses Zeitraums müssen nämlich die zuständigen Stellen die ab 1. Dezember eingereichten Anträge bearbeitet haben. „Ein bisschen Hoffnung habe ich noch“, sagt die Psychologin mit russischem Diplom. Bis es klappt, arbeitet sie weiter in einem Maklerbüro in Hannover.
5.12.2012
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