Bei Berichten über den Klimawandel und Migration stehen Journalist*innen vor vielen Herausforderungen: Es gibt kaum verlässliche Daten. Wie Migration und die Folgen des Klimawandels zusammenhängen, ist nicht immer klar. Zudem erscheint es schwer, ohne Anlässe über das Thema zu berichten und nicht zu technisch zu werden. Der MEDIENDIENST hat mit Expert*innen gesprochen und Empfehlungen gesammelt.
Zahlen und Fakten zum Thema gibt es in unser neuen Rubrik "Klimawandel und Migration"
Prognosen nicht unhinterfragt übernehmen
Wegen der Klimakrise müssen viele Menschen ihr zu Hause verlassen. Immer wieder kursieren Artikel mit Überschriften wie "Hunderte Millionen Menschen müssen bald wegen des Klimawandels aus ihrer Heimat fliehen", die sich auf Prognosen berufen. Dabei ist es schwer vorherzusagen, wie viele Menschen wegen des Klimawandels fliehen müssen. Denn es gibt viele Unsicherheiten, wie die Entwicklung der Bevölkerungszahlen oder politische Maßnahmen zur Anpassung an Umweltveränderungen. Einige Prognosen berücksichtigen solche Faktoren gar nicht. Die Sozialwissenschaftlerin Caroline Zickgraf forscht zum Thema und empfiehlt, die Prognosen zu hinterfragen und Artikel zum Thema nicht darauf zu fokussieren.
Keine Ängste schüren
Einige Artikel zu den Prognosen schürten Angst vor einem zukünftigen "Ansturm" von Klimamigrant*innen auf Europa. Das sei weit entfernt von der Realität. Denn Studien zeigen: Zwar werden mehr Menschen wegen der Folgen des Klimawandels migrieren. Personen, die migrieren, blieben meistens innerhalb ihrer Länder oder Region und haben nicht das Ziel oder die Möglichkeiten, nach Europa zu gehen. Sie entscheiden sich zu bleiben und mit der Situation umzugehen. Diese Zusammenhänge müssten benannt werden, so Zickgraf.
Klimabedingte Migration als Phänomen der Gegenwart, nicht der Zukunft benennen
Einige Folgen des Klimawandels werden erst in Zukunft greifbar sein. Aber schon jetzt müssen viele Menschen wegen der Klimakrise ihr zu Hause verlassen oder werden vertrieben. "Klimabedingte Migration darf nicht als Ausnahmesituation dargestellt werden, die weit entfernt in der Zukunft liegt", sagt Sara Schurmann, Mitgründerin des Netzwerk Klimajournalismus. "Hingegen muss deutlich gemacht werden, dass schon jetzt viele Menschen wegen der Klimakrise migrieren müssen".
Mit Daten präzise umgehen, Unsicherheit aushalten
Auch wenn Prognosen zum Thema nicht robust sind, gibt es – wenn auch nicht viele – verlässliche Daten zum Thema. Und zwar zu Personen, die wegen Extremwetterereignissen wie Stürmen innerhalb ihres Landes vertrieben werden. Aber auch die sind lückenhaft, unter anderem da Binnenmigration schwer zu erfassen ist. Das sei eine der großen Herausforderung des Themas, sagt Carel Mohn, Leiter der Plattform klimafakten.de: Es gebe wenige verlässliche Zahlen und der Zusammenhang zwischen der Klimakrise und Migration sei sehr komplex. "Das müssen Journalist*innen leider aushalten", so Mohn.
Genau benennen, was gemeint ist
Es gibt nicht die eine Form und die eine Ursache klimabedingter Migration: Manche Menschen werden kurzfristig vertrieben, andere entscheiden sich freiwillig, langfristig ihr zu Hause zu verlassen, andere werden umgesiedelt. Es sollte in Artikeln deswegen genau benannt werden, was jeweils gemeint ist, so Fachleute. Gerade vom Begriff "Klimaflüchtlinge" raten sie ab. Denn nicht alle Personen verlassen ihr zu Hause unfreiwillig.
Regelmäßiger berichten
Zu UN-Gipfeln, Umweltkatastrophen oder Berichten des Weltklimarats gibt es eine hohe mediale Aufmerksamkeit für die Klimakrise, dazwischen nicht", sagt Kommunikationsforscher Michael Brüggemann. Umfragen ergeben aber, dass sich Leser*innen mehr Einordnung zum Thema wünschen. Brüggemanns Empfehlung: Nicht nur über neue und einzelne Ereignisse, sondern immer wieder über Klimaschutz, Risikoreduzierung und Anpassungsmaßnahmen berichten, auch wenn das einen langen Atem erfordere.
Persönlicher und weniger technisch berichten
Gerade die Klimaberichterstattung um die Klimakonferenzen sei sehr naturwissenschaftlich geprägt. "Es darf aber nicht zu akademisch-technisch bleiben, denn das schafft Distanz", sagt Mohn. "Dabei kann man viele persönliche Geschichten erzählen: Wie die Betroffenen ihre Situation wahrnehmen. Was das mit dem Lebensstil hier zu tun hat. Wo Menschen ihre Ideale in Frage stellen, wo sie sich engagieren und woran sie gescheitert sind."
Auch positive Beispiele nennen
Es sei wichtig, die drastischen Folgen der Klimakrise nicht kleinzureden und darauf einzugehen, wie dringlich politische Lösungen sind, sagt Brüggemann. Damit Leser*innen nicht abstumpfen, sei es Brüggemann zufolge wichtig, auch positive Beispiele aufzeigen: "Es gibt viele Geschichten, wie Menschen es schaffen, resilienter zu werden und sich an die neuen Bedingungen anpassen. Etwa davon, wie es einer Gemeinde gelingt, ihre Versorgung sicherzustellen. Viele Menschen wollen nicht migrieren und sind erfinderisch, sie können sich wehren", so Brüggemann.
Verantwortung benennen
Zwar sind Länder des Globalen Südens überproportional betroffen, aber auch im Globalen Norden findet klimabedingte Migration statt – wie etwa nach dem Hurrikan Katrina deutlich wurde. Das komme in der Berichterstattung häufig zu kurz, sagt Schurmann. Zudem sind die Industriestaaten für einen Großteil der Emissionen verantwortlich. Welche Verantwortung sie übernehmen sollen, sollte auch in Artikeln über klimabedingte Migration besprochen werden, so Schurmann.
Rolle der Klimakrise bei politischen Konflikten benennen
Auch bei Migrationsbewegungen, die auf den ersten Blick nicht im Zusammenhang mit der Klimakrise stehen, kann diese trotzdem eine Rolle spielen. Sie kann in politisch instabilen Regionen Konflikte verstärken, zum Beispiel wenn durch eine Dürre eine Nahrungsmittelknappheit folgt. Die kann wiederum Menschen dazu veranlassen, zu migrieren. Die Klimakrise ist zwar nicht monokausal für Konflikte verantwortlich, sie verschärft sie diese zum Teil aber schon heute. Schurmann empfiehlt, solche Zusammenhänge häufiger mitzuerzählen. Wo das der Fall ist und wo aber vielleicht auch nicht, dazu findet man zum Beispiel Informationen unter worldweatherattribution.org. Dort gibt es auch einen Leitfaden für Journalist*innen.
Tipps der Expert*innen für die Bildauswahl:
- Mehr Diversität in die Bildauswahl bringen: Das Thema hat viele Facetten und betrifft sehr viele Menschen. Das sollte auch abgebildet werden. Ideen gibt das Projekt Climate Outreach, es verlinkt Bilder etwa von Menschen beim Kampf gegen die Klimakrise. https://climateoutreach.org/climate-visuals/
- Nicht immer die gleichen Symbolbilder wählen (etwa eines Fabrikschlots oder eines vertrockneten Feldes). Menschen seien aktiv von der Klimakrise betroffen und es ist möglich, das abzubilden.
- Menschen nicht als passive und hilflose Opfer darstellen. Menschen seien solidarisch und versuchten, Ihr Leben aufrechtzuerhalten. Natürlich könne man die Dringlichkeit der Situation abbilden, aber trotzdem handelnde Personen darstellen – etwa in Klimaanpassungsprojekten.
- Auch Bilder aus dem Globalen Norden und Deutschland zeigen, und das Problem nicht in andere Länder verschieben.
- Die Situation nicht beschönigen – etwa mit Bildern von Schwimmbädern als Symbol für Hitzewellen.
Von Andrea Pürckhauer
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