Immer wieder kursieren in den Medien Zahlen zu sogenannten Klimaflüchtlingen – also Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Umweltveränderungen verlassen haben. Und immer wieder heißt es, diese Zahl werde durch den Klimawandel stark ansteigen – etwa, weil Stürme heftiger werden und Menschen dadurch ihre Lebensgrundlage verlieren.
Genaue Zahlen sind im Falle von Umwelt- und Klimaflucht jedoch rein spekulativ: Wir wissen nicht, wie viele Menschen wegen Umweltveränderungen ausgewandert sind oder auswandern werden. Zwar gibt es Regionen, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind. Dazu gehören die Megadeltas in Asien oder die Atoll-Inseln im Pazifik, die seit Jahren damit zu kämpfen haben, dass Überflutungen zunehmen. Auch lässt sich schon heute beobachten, dass in Folge des Klimawandels in Ozeanien Korallen absterben. Das führt dazu, dass auch der Fischbestand zurückgeht und damit die Nahrungssicherheit vor Ort gefährdet sein kann. Dies ist eine Entwicklung, die mehr Menschen dazu veranlassen könnte, die Regionen zu verlassen.
Der Effekt könnte aber auch in eine ganz andere Richtung gehen. So weisen wissenschaftliche Untersuchungen darauf hin, dass der Klimawandel Migration verhindern könnte. Die Forschung zu sogenannten „trapped populations“ etwa zeigt: Es gibt Bevölkerungsgruppen, die durch den Klimawandel so arm werden, dass sie sich es gar nicht leisten können auszuwandern. Hinzu kommt, dass die wenigsten Menschen nur aus Umweltgründen migrieren. Migrationsentscheidungen hängen von vielen Faktoren ab. Dazu gehören politische und wirtschaftliche Umstände im Herkunftsland, aber auch soziale Faktoren. Wanderungsbewegungen allein auf den Klimawandel zurückzuführen, greift zu kurz.
Einige Regionen haben wirksame Strategien entwickelt
Zudem gibt es Regionen, die historisch wirksame Strategien entwickelt haben, um Umweltveränderungen standhalten zu können. Ein Beispiel ist der Inselstaat Kiribati im Pazifik: Die Menschen dort sind seit Jahren darauf eingestellt, mit massiven Umweltveränderungen zu leben. Früher wurden beispielsweise Lager unter der Erde angelegt, um Nahrungsmittel vor Stürmen schützen zu können. Teilweise gibt es auch noch Häuser aus Pandanusbäumen und Palmen, die schneller und flexibler neu gebaut werden können als Betonhäuser.
Prof. Dr. SILJA KLEPP ist Professorin für Humangeographie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Mitglied des Exzellenzclusters "The Future Ocean". Ihre aktuelle Forschung im zentralen Pazifik beschäftigt sich mit dem Thema Klimawandel, Klimawandelanpassung und Migration. Zudem arbeitet sie zu Flüchtlingen auf dem Mittelmeer zwischen Italien und Libyen und zu EU-Grenzregimen. Frau Klepp ist Mitglied im "Rat für Migration". Foto: Kerstin Nees
Solche Ansätze, die auf lokalem Umweltwissen beruhen, drohen allerdings wieder verloren zu gehen. Das hängt auch mit Entwicklungsprojekten zusammen, die von westlichen Staaten lanciert werden. Sie sollen dem Klimawandel vorbeugen, knüpfen häufig allerdings nicht an lokale Expertisen und Projekte an. Das ist nicht nur wenig nachhaltig, sondern kann die betroffenen Regionen schädigen. Besonders deutlich wird das beispielsweise in Kiribati an Projekten zum Dammbau, den sogenannten "Sea walls": Industriestaaten haben hier viel Geld investiert in der Hoffnung, Überflutungen vorbeugen zu können. In der Praxis haben sich einige Dämme jedoch als wenig sinnvoll erwiesen. Zudem führen sie dazu, dass benachbarte Strände abgetragen werden.
Klimamigranten brauchen besseren Schutz
Menschen, die vor Umweltkatastrophen fliehen, bleiben meist innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Wandern sie doch in andere Staaten aus, haben sie kaum Aussicht auf Unterstützung. Denn sie fallen nicht in den Geltungsbereich der „Genfer Flüchtlingskonvention“ und haben daher keinen rechtlichen Anspruch, in einem anderem Land Schutz zu erhalten.
Es gibt zwar Staaten, die sich bereit erklärt haben, mehr für den Schutz von Klimamigranten zu tun. Diese Vereinbarungen sind allerdings rechtlich nicht verbindlich. So auch die sogenannte Nansen-Initiative: Sie wurde 2012 von der Schweiz und Norwegen ins Leben gerufen, um Menschen zu unterstützen, die aus Umweltgründen ins Ausland fliehen mussten. 2015 veröffentlichte die Initiative einen Bericht, der Staaten dazu animieren soll, sich stärker für Klimamigranten einzusetzen. 2016 ist die Initiative in die „Platform on Disaster Displacement“ überführt worden.
Für die Zukunft wird es wichtig sein, Programme zu entwickeln, die den spezifischen Bedürfnissen einzelner Regionen und Menschen gerecht werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit von Kiribati und Fidschi. Die Einwohner Kiribatis haben große Angst, im Fall einer Umweltkatastrophe in alle Winde verstreut und zu Flüchtlingen zu werden. Die Regierung von Fidschi hat diese Sorge aufgegriffen und den Einwohnern Kiribatis zugesichert, sie in diesem Fall zu unterstützen. 2012 hat Kiribati Land auf der Insel Vanua Levu gekauft, das langfristig dafür genutzt werden könnte, ganze Dorfgemeinschaften aus Kiribati auf die Insel umzusiedeln.
Dieses Beispiel ist weltweit einzigartig und migrationspolitisch innovativ. Denn ganze Bevölkerungsgruppen über Landesgrenzen hinweg umzusiedeln, fordert die Idee geschlossener Nationalstaaten heraus. Zudem zeigt es, dass Umweltmigranten keine wehrlosen Opfer sind, sondern Akteure, die in Debatten über Klimaschutz dringend mehr Gehör finden müssen.
Doch der Schutz von Klimamigranten muss auch Aufgabe der Industriestaaten sein. Denn sie sind maßgeblich verantwortlich für die Umweltveränderungen, mit denen Menschen im Pazifik und anderen Regionen des Globalen Südens heute zu kämpfen haben.
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