Mehr als zwei Millionen Flüchtlinge weltweit werden nächstes Jahr unter so gefährlichen Bedingungen leben, dass sie in andere Länder umgesiedelt werden sollten (sogenanntes Resettlement). Das schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR (Stand: Juni 2022). Fast 90 Prozent der Flüchtlinge leben in Ländern mit mittleren bis niedrigen Einkommen, in denen sie gar nicht oder nur bedingt versorgt werden können. Rund ein Drittel von ihnen sind in den ärmsten Ländern der Welt – besonders in Afrika.
Im Verhältnis zu diesen Zahlen ist die Zahl der Menschen, die tatsächlich überstellt werden, sehr gering: 2019 waren es nach Angaben des UNHCR rund 63.200 Personen. Im Zuge der Covid-19-Pandemie sind es noch weniger geworden: 2021 waren es nicht mal 40.000 Menschen. Die meisten von ihnen wurden von den USA (rund 11.600 Menschen) und Kanada (5.800) aufgenommen.
Es gibt jedoch zunehmend Bemühungen, Umfang und Reichweite der Aufnahmeprogramme zu erweitern. So hat die Europäische Union in den vergangenen zehn Jahren ihre "Resettlement"-Programme deutlich ausgebaut. Während früher nur die skandinavischen Länder erhebliche Flüchtlingskontingente aufnahmen, gibt es inzwischen verschiedene europäische und nationale Aufnahmeprogramme. 2021 kamen rund 15.600 Menschen über derartige Programme in die EU.
Was ist "Resettlement"?
Sogenannte Resettlement-Programme sind Aufnahme-Programme für besonders schutzbedürftige Menschen. Als "schutzbedürftig" gelten insbesondere Kinder und Jugendliche, alleinstehende Frauen, Senioren, Familien mit Kindern und Menschen mit chronischen Krankheiten. Die Programme werden meistens von nationalen Asyl- und Migrationsbehörden in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie etwa dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR oder der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ausgeführt.Quelle
In der Regel müssen sich Menschen bereits als Flüchtlinge in einem anderen Land als ihrem Herkunftsland aufhalten, um Anspruch auf einen "Resettlement"-Platz zu haben. Der UNHCR oder andere Organisationen identifizieren besonders schutzbedürftige Fälle vor Ort. Die Antragstellenden werden dann interviewt. Der UNHCR wählt anschließend die Fälle mit den besten Erfolgschancen aus. Diese werden an die nationalen Asylbehörden sowie an Sicherheitsbehörden weitergeleitet, die die Fälle erneut einzeln prüfen und bei Bedarf weitere Interviews führen.Quelle
Flüchtlinge, die durch "Resettlement" und andere humanitäre Aufnahmeprogramme nach Deutschland kommen, müssen keinen Asylantrag stellen. Sie bekommen in der Regel einen Aufenthaltstitel für drei Jahre. Anders als bei anerkannten Flüchtlingen können "Resettlement"-Flüchtlinge nur in Ausnahmefällen Partner*innen oder Kinder nachziehen lassen. Ihr Aufenthalt kann auch an bestimmte Bedingungen geknüpft sein - etwa, dass in Deutschland lebende Familienangehörige die Lebensunterhaltskosten übernehmen.Quelle
So viele "Resettlement"-Flüchtlinge wie noch nie
Auch in Deutschland ist die Zahl der "Resettlement"-Plätze gestiegen. 2021 hat die Bundesrepublik so viele Menschen über derartige Programme aufgenommen wie noch nie: 5.400 Personen.
- Im Rahmen des UNHCR "Resettlement"-Programms sind rund 2.400 Personen eingereist.
- Durch das Aufnahmeprogramm für syrische Geflüchtete in der Türkei (sogenannter 1:1 Mechanismus) kamen 2021 rund 2.200 Personen.Quelle
- Im Rahmen von drei landeseigenen Aufnahmeprogrammen (Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein) wurden etwa 730 Personen überstellt.Quelle
- 69 Personen wurden durch das Programm "Neustart im Team" (NesT) aufgenommen. 200 weitere Plätze sind in Planung (Stand: Juni 2022).Quelle
Die meisten Geflüchtete, die über "Resettlement"-Programme nach Deutschland kommen, leben zur Zeit der Aufnahme in sogenannten Erstaufnahmeländern wie etwa Jordanien, Libanon, Kenia, Ägypten oder Niger. Sie kommen ursprünglich aus Syrien, der Republik Kongo, Somalia, Südsudan, Sudan, Eritrea, Irak oder Jemen.Quelle
Darüber hinaus hat Deutschland seit August 2021 aus Afghanistan rund 17.000 "Ortskräfte" mit ihren Angehörigen sowie rund 5.000 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aufgenommen.Quelle
"Resettlement" als Alternative zum Asylsystem?
Sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Kommission sehen humanitäre Aufnahmeprogramme inzwischen als wichtigen Bestandteil ihrer Flüchtlingspolitik. Im Koalitionsvertrag 2021 heißt es, die Koalitionspartner*innen wollten, "die geordneten Verfahren des Resettlement anhand der vom UNHCR gemeldeten Bedarfe verstärken". Im selben Jahr hat sich die Europäische Kommission gemeinsam mit der kanadischen und US-amerikanischen Regierungen dazu verpflichtet, humanitäre Aufnahmeprogramme stärker zu fördern.
Sie begründen dies damit, dass Aufnahmeprogramme eine Alternative zu irregulären Migration sind: Schutzbedürftige Menschen sollen dadurch die Möglichkeit erhalten, in Sicherheit zu gelangen – ohne dass sie ihr Leben auf der gefährlichen Reise riskieren müssen.
Aufnahmeprogramme können vielen Geflüchteten in Erstaufnahmeländern zugutekommen. Sie seien aber keine Alternative zum Asylsystem, sagen Expert*innen. "Es ist zwar ein positives Zeichen, dass es mehr Aufnahmeprogramme gibt und dass sich mehr Länder daran beteiligen", sagt Migrations- und Asylrechtsexpertin Pauline Endres de Oliveira. "Es wäre aber ein Fehlschluss zu denken, dass solche Aufnahmeprogramme dafür sorgen werden, dass gar keine Geflüchteten mehr irregulär nach Europa kommen werden, um Asyl zu beantragen."
Vor allem das Neuansiedlungsprogramm "Resettlement" sei als komplementäres Instrument zum Asylsystem gedacht. Solche Programme seien da, um Menschen zu helfen, die aus ihrem Land fliehen mussten und gerade in prekären Lebensverhältnissen in Nachbarländern ausharren", so Endres de Oliveira. "Dafür ist eine Infrastruktur mit zahlreichen Akteur*innen und internationalen Partner*innen nötig", sagt die ehemalige UNHCR-Beraterin. "Solche Infrastruktur kann es in Krisengebieten wie etwa Syrien oder Afghanistan in der Regel nicht geben."
Nicht genug Wege zur legalen Einreise
Die Auswahlkriterien seien außerdem in der Regel sehr streng, sagt Migrationsforscherin Natalie Welfens. Nicht nur würden ganze Kategorien von Menschen wie etwa alleinstehende volljährige Männer von der Möglichkeit ausgeschlossen, im Rahmen der Programme in Sicherheit zu gelangen. Auch würden viele Länder – unter anderem auch Deutschland – zunehmend nach der Integrationsfähigkeit der Geflüchteten schauen, um Menschen auszusuchen, die am besten zum Aufnahmeland passen.
"Die EU-Mitgliedstaaten präsentieren Resettlement-Programme zunehmend als Instrument der Migrationssteuerung", sagt Welfens. "Dabei wird suggeriert, dass es ausreichend legale Wege gibt, um Schutz zu finden. Das ist aber nicht der Fall." Wenn sie in Sicherheit leben wollten, seien die meisten Geflüchtete immer noch gezwungen, sich unter prekären, lebensgefährlichen Umständen alleine auf die Reise zu machen.
Von Christina Biel und Fabio Ghelli
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