Wenn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland einreisen, werden sie von den Jugendämtern in Obhut genommen. Die Behörden kümmern sich um Unterbringung und Betreuung. Denn die jungen Menschen brauchen besondere Unterstützung – nicht nur, weil sie keine Familie in Deutschland haben. Viele von ihnen sind durch traumatische Erfahrungen stark vorbelastet: Mehr als 80 Prozent der Einrichtungen der Jugendhilfe haben in einer Umfrage des “Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge” (BumF) angegeben, dass sie im Jahr 2017 traumatisierte Flüchtlinge betreuen mussten.
Viele Probleme der unbegleiteten Minderjährigen spitzen sich zu, wenn diese volljährig werden:
- Zwar können die Jugendämter die jungen Menschen betreuen, bis diese 21 Jahre alt sind. Doch viele Ämter entlassen aus finanziellen Gründen die Jugendlichen aus der Obhut, sobald diese 18 Jahre alt werden.
- Vielen jungen Flüchtlingen droht die Abschiebung, sobald sie volljährig werden. Vorher waren sie vor einer Abschiebung geschützt.
Wie viele unbegleitete Minderjährige und junge Volljährige leben in Deutschland?
Alleinreisende Flüchtlinge unter 18 Jahren werden von den Jugendämtern in Obhut genommen. Das Jugendamt organisiert die Betreuung und Unterbringung. Aktuell befinden sich 44.000 unbegleitete Minderjährige und junge Volljährige in Zuständigkeit der Jugendhilfe (Stand: Oktober 2018). Anfang des Jahres waren es noch rund 55.000, wie das Bundesfamilienministerium mitteilte. Seit 2016 ist ihre Zahl stark zurückgegangen. Quelle
Viele Personen, die als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland kamen, sind inzwischen volljährig. Als "junge Volljährige" können sie weiterhin von der Jugendhilfe betreut werden. Ihr Anteil ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen: Im November 2015 waren es 6.400 junge Volljährige, im Oktober 2018 rund 25.000.Quelle
Einreisen: 2017 sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 11.100 Kinder und Jugendliche unbegleitet aus dem Ausland eingereist und wurden von den Jugendämtern vorläufig in Obhut genommen. Nicht alle von ihnen bleiben jedoch in der Zuständigkeit der Jugendhilfe, da manche im Rahmen der sogennanten Altersfeststellung später für volljährig erklärt werden oder zu Angehörigen ziehen.Quelle
Welche Gesetze gelten für sie?
„Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (UMF) haben Anspruch auf besonderen Schutz:
- Die UN-Kinderrechtskonvention garantiert Flüchtlingskindern in Artikel 22 „angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte“. Sofern sie ohne Eltern und Sorgeberechtigte kommen, haben sie das Recht auf "Inobhutnahme".
- Auch die Artikel 18 und 19 der EU-Aufnahmerichtlinie schreiben den Mitgliedstaaten vor, besonders auf das Wohl der Minderjährigen zu achten und ihnen einen kompetenten Vertreter für ein Asylverfahren zur Seite zu stellen.
- In Deutschland ist die Hilfe für Kinder ohne Eltern durch das Sozialgesetzbuch VIII geregelt. Wird ein UMF im Zuständigkeitsbereich eines Jugendamts untergebracht, hat das Amt die Pflicht, ein Verfahren "zur Prüfung einer Inobhutnahmeverfügung" einzuleiten und sich um die Kinder und Jugendlichen zu kümmern. Gleichzeitig fallen minderjährige Flüchtlinge unter das Ausländerrecht, also das Aufenthaltsgesetz und Asylrecht.
Für die Jugendlichen ist der 18. Geburtstag oft kein Grund zum Feiern, sagt BumF-Experte Tobias Klaus: "Viel zu früh werden an einigen Orten Unterstützung und Hilfen beendet. Integrationserfolge werden so massiv gefährdet.“ Einige Jugendämter stellen die Jugendhilfe wenige Monate nach dem 18. Geburtstag ein, während Städte wie Mannheim sich dafür einsetzen, dass sie die Hilfe bis zum Ende des 21. Lebensjahres fortsetzen können, so Klaus.
Ob ein Heranwachsender weiter in der Jugendhilfe bleibt, kann Auswirkungen auf seine Bleibechancen haben. Wer betreut wird, hat bessere Chancen die Schule erfolgreich abzuschließen und eine Ausbildung zu absolvieren oder zu studieren. Das Aufenthaltsgesetz sieht etwa vor, dass junge Menschen, die vier Jahre in Deutschland leben und einen Schulabschluss erwerben, eine Aufenthaltserlaubnis beantragen können. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie darauf hoffen, dass ihr Asylantrag angenommen wird. Doch das ist inzwischen schwieriger geworden: Die Gesamtschutzquote für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist von rund 93 Prozent im Jahr 2015 auf etwa 55 Prozent im zweiten Quartal 2018 gesunken.
Warum seltener Schutz gewährt wird, ist nicht ganz klar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verweist in einer Antwort auf eine Anfrage des MEDIENDIENSTES darauf, dass in der Vergangenheit ein Großteil der jungen Flüchtlinge aus Ländern mit hoher Schutzquote wie Syrien, dem Irak und Eritrea kam. Doch auch die Schutzquote für einzelne Herkunftsländer ist gesunken, bei Afghanen zum Beispiel von 88 Prozent auf 46,4 Prozent. "Der Rückgang der Schutzquoten ist etwa bei Afghanen und Somaliern inhaltlich nicht zu begründen", sagt Tobias Klaus. Er vermutet, dass die negative Berichterstattung über junge kriminelle Flüchtlinge vielerorts zu einem strengeren Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen geführt habe.
Abschiebung kann drohen
Während unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Regel nicht aus Deutschland abgeschoben werden, kann das nach dem Erreichen der Volljährigkeit durchaus passieren. "Junge Geflüchtete, deren Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde, haben mit dem Erreichen des 18. Lebensjahrs das Risiko, abgeschoben zu werden – in einigen Fällen geschieht dies sogar aus Einrichtungen der Jugendhilfe", sagt Bernd Holthusen vom "Deutschen Jugendinstitut" (DJI). Das verunsichere andere Jugendliche, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.
Prekäre Lebensverhältnisse und ein Mangel an Perspektiven können für junge Geflüchtete fatal sein, sagt der DJI-Experte: "Das aktuelle System unterscheidet – wie bei erwachsenen Flüchtlingen – zwischen Kindern und Jugendlichen mit guter und schlechter Bleibeperspektive. Davon hängt vielerorts etwa der Zugang zu Bildung und Arbeit ab. Dabei wird vergessen, dass Kinder und Jugendliche deutlich mehr Unterstützung als erwachsene Flüchtlinge benötigen, um in Deutschland Fuß zu fassen." Haben junge Geflüchtete keine Perspektive, bestehe das Risiko, dass sie abtauchen und damit in die Illegalität abrutschen.
Von Fabio Ghelli
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