Der Krieg in der Ukraine verschärft die Nahrungsmittelkrise, die wegen der anhaltenden Dürre in einigen Staaten Afrikas herrscht. Besonders betroffen sind Somalia, Äthiopien und der Sudan. Wird das dazu führen, dass mehr Menschen aus diesen Ländern fliehen?
Es werden voraussichtlich mehr Menschen fliehen – auch wenn man nicht vorhersagen kann, wie viele migrieren und wohin sie gehen werden. Europäische Staaten werden vermutlich lange nichts davon mitbekommen. Viel Migration wird zunächst innerhalb der Länder und der Regionen stattfinden, die stark betroffen sind, wie wir es insgesamt bei klimabedingter Migration sehen. Internationale Migration ist weiterhin die Ausnahme, einmal abgesehen von den Flüchtlingscamps in den Nachbarländern in Grenznähe.
Warum ist das so?
In ein anderes Land abzuwandern, setzt viel voraus. Menschen müssen die Ressourcen und Kenntnisse haben, das auf sich zu nehmen, sie brauchen soziale Kontakte, sie müssen wissen, wem sie vertrauen können. Für Frauen ist das oft schwerer machbar. Häufig bleiben die Menschen im Land oder der Region und kehren wieder zurück, sobald das möglich ist. Wenn es zum Beispiel Familienmitglieder gibt, die aus dem Ausland Geld senden und Einnahmeeinbußen etwa wegen der Ernteausfälle vorübergehend ausgleichen können, kann das auch ein Grund zum Bleiben sein.
In dem Zusammenhang fällt oft der Begriff "trapped populations": Bevölkerungsgruppen werden durch die Klimakrise so arm, dass sie nicht migrieren können, sie sind sozusagen gefangen.
Ich finde den Begriff schwierig. Das heißt nicht, dass es so etwas nicht gibt. Aber es vereinfacht die komplexe Entscheidungssituation und stellt Menschen tendenziell als hilflose Opfer dar. Die Frage ist doch, warum sich Menschen entscheiden, in ihrer Heimat zu bleiben – und andere gehen. Einerseits kommt es auf die Ressourcen an, die den Menschen zur Verfügung stehen. Aber andererseits unterscheidet sich die Bereitschaft zu migrieren in verschiedenen Regionen oder Communities. Wir waren für ein Forschungsprojekt an der Nordküste Javas in Indonesien, einer Küstenregion, in der die Folgen des Klimawandels deutlich zu spüren sind. Obwohl die Küstengebiete unter anderem wegen der starken Grundwasserentnahme absinken und zugleich vom steigenden Meeresspiegel betroffen sind, wandern kaum Menschen ab. Sie bleiben aus Verbundenheit, weil sie dort Land haben, welches sie an ihre Kinder weitergeben wollen. Wenn sie migrieren, würden sie diese Lebensgrundlage aufgeben und damit viel verlieren. Hinzu kommt, dass sie keine Kompensationen von staatlicher Seite erwarten können.
Prof. Dr. Felicitas Hillmann ist Migrationsforscherin an der TU Berlin, leitet das FIS-Vernetzungsprojekt „Paradigmenwechsel in der Migrationsgesellschaft“. Sie richtete die Plenary-Sitzung zum Thema Klimawandel und Migration auf der internationalen Metropoliskonferenz Anfang September in Berlin aus. Hillmann hat die aktuelle DIFIS-Studie zum Thema „Klimawandel, Migration und Sozialpolitik“ verfasst.
Warum fokussiert sich die Debatte so stark auf den globalen Süden?
Menschen im globalen Norden haben mehr Ressourcen und mehr Wissen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Das ist eine sehr privilegierte Situation – man denke einmal an die Niederlande. Aber auch im globalen Norden gibt es Wanderungsbewegungen, die durch den Klimawandel mit ausgelöst werden. Die Vorstellung davon, welche Formen der Migration mit der Klimakrise zusammenhängen, ist oft eng gefasst. Dazu gehören neben kurzfristigen Vertreibungen eben auch längerfristig erwartbare Umsiedlungen. Die einzelnen Situationen sind wiederum schwer miteinander zu vergleichen und sie erzeugen unterschiedliche Migrationsmuster und Anpassungsoptionen.
Können Sie Beispiele nennen?
Ein Beispiel ist der Hurrikan Katrina in den USA. Auch die Flutkatastrophe im Ahrtal ist ein Beispiel, aber da wurde kaum über Umsiedlungen diskutiert. Solche Ereignisse werden immer noch als Einzelfälle betrachtet, werden aber zunehmen. Dieses Jahr haben Waldbrände in ganz Europa gewütet, durch die Gefahr solcher Brände wird es mehr Vertreibungen und Umsiedlungen geben. Es gibt aber auch viele schleichende Veränderungen, die gravierende Folgen haben und zu Migration führen werden, wie der Verlust von Biodiversität oder längere Hitzeperioden. In Städten werden das vor allem ältere Menschen nicht so gut aushalten. Dort entstehen die Hitzeinseln vor allem in bereits benachteiligten Gebieten und verschärfen so bestehende Ungleichheiten. Wir müssen mehr darüber nachdenken, was das bedeutet – etwa für Umsiedlungen – und welche sozialpolitischen Folgen dies hat.
In dem Fall wäre Migration für die Menschen ja eine Verbesserung...
Migration ist eine Form der Anpassung an die Klimakrise und kann die Lebenssituation von Menschen verbessern. Aber es ist wichtig, über die Verluste und Schäden zu sprechen, die die Klimakrise anrichtet und die Menschen dazu zwingt, zu migrieren und viel aufzugeben. Und damit über die Ursachen der Klimakrise. Unsere Lebens- und Produktionsweise trägt dazu bei, dass die Klimakrise sich verschärft. Wir haben die Erwartung, jederzeit und nach überall hin mobil sein zu können. Gleichzeitig erwarten wir von anderen, dass sie sich einschränken in ihren Wanderungsbewegungen. Hinzu kommt: Menschliche Umwelteingriffe verstärken die Folgen von Klimaveränderungen und machen die Anpassung schwierig. Das gerät oft aus dem Blick.
Welche Eingriffe meinen Sie?
Etwa wenn Küstengebiete absinken, weil sie bebaut wurden, obwohl sie nicht zur Bebauung vorgesehen waren oder dort zu viel Grundwasser entnommen wurde. Die Verschmutzung von Gewässern, die Auslaugung von Böden durch Monokulturen, wenn ganze Regionen im Amazonas durch Rohstoffabbau unbewohnbar gemacht werden – das ist rein selbstgemacht. Aber dagegen können wir eben auch etwas tun. Wir können auf Biodiversität achten und unsere Wirtschaftsweise ändern.
Was halten Sie von der Idee eines Klimapasses für Menschen, die wegen der Klimakrise fliehen müssen? Er soll ihnen ermöglichen, sicher in bestimmte Länder einreisen zu können.
Die große Herausforderung dabei ist: Wann kann man genau sagen, dass Menschen wegen der Folgen des Klimawandels geflohen sind? Bei kurzfristigen Vertreibungen nach Extremwetterereignissen ist das klarer – oft kehren die Menschen dann aber wieder in ihre Länder zurück. Wenn Menschen sich aufgrund schleichender Veränderungen entscheiden, ihre Heimat zu verlassen, spielen oft noch andere Faktoren eine Rolle und es ist schwer, das alleine auf den Klimawandel zurückzuführen. Die Debatte ist auch so langwierig, weil das politische Handeln an der Definition hängt: Ist Migration ein Schaden und sollte kompensiert werden oder ist sie eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel und sollte erleichtert werden?
Interview: Andrea Pürckhauer
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