Es kommen immer mehr Einwanderer aus europäischen Ländern, die von der Finanz- und Schuldenkrise besonders betroffen sind. Vor allem Griechen, Spanier, Portugiesen und Italiener wandern neuerdings auf der Suche nach Arbeit nach Deutschland. Diese Information des Statistischen Bundesamts kam Ende 2012 zwar nicht überraschend, aber sie bestätigt einen neuen Trend.
"Das ist eine Umkehr der Wanderbewegungen", sagt Migrationsforscher Dietrich Thränhardt. Bis 2005 habe es mehr Auswanderung aus Deutschland in Länder wie Spanien und Italien gegeben, als umgekehrt. "Spanien war vor zehn Jahren sogar das Land mit der größten Einwanderung innerhalb der Europäischen Union", so Thränhardt. Er erinnert sich: Deutschlands Wirtschaft schwächelte damals, weshalb viele das Land verließen. "Inzwischen ist Deutschland neben der Schweiz das wirtschaftlich erfolgreichste Land und damit wieder sehr attraktiv."
In relativen Zahlen ist diese Trendumkehr jedoch längst nicht so dramatisch, wie es zunächst wirkt. Insgesamt wird für 2012 eine Netto-Einwanderung von etwa 340.000 Einwanderern geschätzt. Davon sind gerade einmal rund 60.000 aus Italien, Spanien, Portugal und Griechenland.
Hans Dietrich von Loeffelholz, Referatsleiter beim BAMF im Forschungsfeld "Wirtschaftswissenschaftliche Zusammenhänge", relativiert die Zahlen ebenfalls: "Die hohen Steigerungsraten spiegeln nicht die absoluten Zahlen wieder." Im Vergleich zur bisherigen Anzahl der Südeuropäer sei der Anstieg relativ gering.
Steigerungen um wenige Prozent
Auf Grundlage der Zahlen des Ausländerzentralregisters kann laut Loeffelholz festgestellt werden:
- Von Mitte 2011 bis Mitte 2012 stieg die Zahl der Griechen um vier Prozent auf etwa 290.000.
- Auch die portugiesische Community wuchs um vier Prozent auf 120.000 Menschen.
- Die Zahl der Spanier stieg um sieben Prozent auf gerade einmal 115.000.
- Und die größte Gruppe der Einwanderer aus diesen vier Ländern, wuchs um ein Prozent auf 525.000 Italiener.
Verglichen mit der Gesamtzahl von sieben Millionen Ausländern in Deutschland handelt es sich bei diesen vier Herkunftsländern grundsätzlich um eher kleine Communities. Trotzdem rücken sie nun stark in den Fokus. "Das große Thema Finanzkrise führt dazu, dass die Arbeitslosigkeit in Südeuropa viel stärker wahrgenommen wird, als die in den osteuropäischen Ländern", sagt Politikwissenschaftler Thränhardt. Armut und Arbeitslosigkeit im Osten dagegen würden als normal betrachtet.
Konkrete Zahlen für die Einwanderung nach Deutschland liegen bislang nur für das erste Halbjahr 2012 vor. Und hier wird deutlich: Die große Mehrheit kam aus einer anderen Richtung, nämlich aus dem Osten. Von den rund 330.000 EU-Bürgern kamen über 90.000 aus Polen, rund 60.000 aus Rumänien, knapp 30.000 aus Bulgarien und 25.000 aus Ungarn. "Die Einkommensunterschiede sind hier am größten", erklärt Thränhardt. Inzwischen hätten sich Netzwerke gebildet, "Strukturen in denen die Neuen schnell Anschluss finden". Wenn Rumänien und Bulgarien 2014 die volle Freizügigkeit bekommen, sei ein weiterer Anstieg zu erwarten. Bislang dürfen Menschen aus diesen Ländern in einigen Bereichen noch nicht arbeiten, wie etwa im Baugewerbe. Das soll sich nächstes Jahr ändern.
Wer kommt aus dem Süden?
Anreiz für den neuen Zuzug aus dem Süden ist vor allem die gute Arbeitsmarktlage, sagt Loeffelholz, mit „einer extrem niedrigen Arbeitslosenquote" im europäischen Vergleich. Für manche klingt es wie ein Déjà-vu: Italien, Spanien, Portugal und Griechenland waren allesamt Anwerbeländer für sogenannte Gastarbeiter. Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied zu den Einwanderern, die in den 50er und 60er Jahren für den Wiederaufbau nach Deutschland kamen. Damals wurden für die Industrie ungelernte Fachkräfte geholt. "Die Südeuropäer, die heute kommen, haben zu rund 50 Prozent einen akademischen Abschluss", sagt Loeffelholz. "Es kommen vor allem die gut Ausgebildeten.
Das bedeute jedoch nicht, dass diese Einwanderer einen unmittelbaren Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Vor allem fehlende Sprachkenntnisse stellen sie vor große Herausforderungen. Anders als etwa in Polen, wo Deutsch von vielen als Fremdsprache beherrscht wird, galt die Sparche in Südeuropa bislang nicht als erlernenswert. Das ändert sich nun offenbar. Das BAMF beobachtet einen Ansturm auf Deutschkurse in Madrid und Barcelona. Auch in den Integrationskursen in Deutschland nehme die Zahl der EU-Bürger zu.
Neue Fachkräfte im Einsatz
Sprachbarrieren zum Trotz, der Erfolg bleibt nicht aus: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten mit Herkunft aus den Krisenstaaten ist überdurchschnittlich gestiegen. Die Bundesagentur für Arbeit beochbachtet diese Entwicklung inzwischen sehr genau und hält in einem Papier dazu fest: Von 2011 auf 2012 gab es einen Anstieg um 7,6 Prozent auf 465.000. Spanier, Griechen, Italiener und Portugiesen sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt über alle Branchen verteilt zu finden. Besonders häufig finden sie jedoch Anstellungen in Industriebetrieben und im Baugewerbe, im Gesundheitswesen und Dienstleistungssektor.
"Die Einwanderung aus Südeuropa ist eine große Chance für Deutschland", sagt Christine Langenfeld, Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). "Davon profitieren alle: Deutschland kann den Fachkräftemangel in bestimmten Sektoren abbauen, die EU-Bürger finden Arbeit und können so ihre berufliche Qualifikation erhalten." In der Staatsschuldenkrise zeige sich, dass die EU-Freizügigkeit "ein Erfolgsmodell" sei und der Binnenmarkt funktioniere. Nun müsse dafür gesorgt werden, "dass die Integration der Neuzuwanderer gelingt".
Diese Notwendigkeit ist in der Politik offenbar schon angekommen. Zum einen versucht die Bundesregierung, den neuen Wanderungstrend zu nutzen und wirbt beispielsweise mit dem ESF-BAMF Programm verstärkt um Ärzte aus Griechenland. Zum anderen will sie junge Menschen aus EU-Staaten bei der Integration in den deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkt unterstützen. Vor kurzem gab sie bekannt, dass allein 140 Millionen Euro im Sonderprogramm MobiPro-EU unter anderem für Sprachförderung im Herkunftsland und in Deutschland ausgegeben werden sollen.
Von Ferda Ataman
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