MEDIENDIENST: Sie bieten Informationen zum Corona-Virus für Zuwander*innen und Geflüchtete. Sind viele ihrer Nutzer*innen skeptisch gegenüber den Impfplänen der Bundesregierung?
Mosjkan Ehrari: Wenn ich mir die Diskussionen auf unserer Facebook-Seite ansehe, finde ich nicht, dass es eine besondere Skepsis gibt. Über 200.000 Personen haben unsere Seite abonniert. Dort haben wir im Herbst 2020 eine Umfrage zum Thema Impfbereitschaft geführt. Die ist nicht repräsentativ, dennoch: Mehr als 70 Prozent der Teilnehmer*innen haben gesagt, sie würden sich impfen lassen – das entspricht der Bereitschaft in der Gesamtbevölkerung. Es gibt natürlich viel Unwissen und Falschinformationen, wie etwa, dass Impfstoffe Frauen unfruchtbar machen könnten.
Woher kommen die Falschinformationen?
Aus vielen Quellen: Anekdoten, Bekanntschaften, andere Facebook-Gruppen. Die gibt es allerdings auch in der Mehrheitsbevölkerung. Der große Unterschied besteht darin, dass deutschsprachige Menschen offizielle Informationen aus sehr vielen Quellen beziehen können: Fernsehen, Zeitungen, Plakate oder TV in der U-Bahn. Menschen, die kein oder wenig Deutsch sprechen, sind von diesen Informationen ausgeschlossen. Das ist besonders relevant in einer Situation, in der sich die Informationslage jeden Tag ändert. Sie bekommen zwar die Informationen – aber oftmals viel zu spät.
MOSJKAN EHRARI ist Journalistin und Filmemacherin. Seit 2018 koordiniert sie die Informationsplattform "Handbook Germany", die Wissenswertes über das Leben in Deutschland auf Englisch, Französisch, Arabisch, Paschto, Russisch, Farsi-Dari und Türkisch für Einwanderer*innen zusammenstellt.
Woran liegt das?
Mein Eindruck ist, dass viele offizielle Stellen erst sehr spät angefangen haben, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie nicht-deutschsprachige Personen erreichen können. Einwanderer*innen wurden einfach viel zu lange ignoriert. Es hilft nicht viel, Infomaterial in 20 verschiedenen Sprachen auf der eigenen offiziellen Webseite zu haben, wenn in der Zielgruppe niemand die Seite kennt. Wenn sie keine verlässlichen Informationen in der eigenen Sprache beziehungsweise in den eigenen Kanälen finden, werden sie anfälliger für Fake News.
Wie hat sich Ihre Arbeit seit dem Ausbruch der Pandemie geändert?
Uns war gleich klar, dass wir möglichst schnell Informationen rund um das Virus und Präventionsmaßnahmen sammeln müssen. Und sie so aufbereiten müssen, dass wir damit so viele Menschen wie möglich erreichen. Binnen kürzester Zeit haben wir Infomaterial auf Englisch, Französisch, Arabisch, Türkisch, Farsi-Dari und Pashtun veröffentlicht, neuerdings auch auf Russisch.
In den vergangenen Wochen haben mehrere Politiker*innen und Ärzt*innen den Verdacht geäußert, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund nicht immer an die Anti-Covid-Verhaltensregeln halten – weil sie diese möglicherweise nicht verstehen. Stimmt das?
Zuerst müssen wir uns fragen: Was heißt hier überhaupt Menschen mit Migrationshintergrund? Kinder von Einwander*innen, neu Zugewanderte, Arbeitsmigrant*innen oder Geflüchtete informieren sich sehr unterschiedlich über das Corona-Virus. Wir hatten in den vergangenen Monaten vor allem Kontakt mit neu Zugewanderten und Geflüchteten, auch unter ihnen verläuft die Diskussion sehr unterschiedlich. Generell werden unsere Informationen über die Pandemie aber viel gelesen und geteilt. Ich glaube nicht, dass Sprachbarrieren das ausschlaggebende Kriterium sind, warum Menschen Maßnahmen ablehnen, sondern hierbei die soziale Herkunft – wie auch in der Mehrheitsgesellschaft – eine zentrale Rolle spielt.
Wie könnte eine bessere Informationsstrategie aussehen?
Der entscheidende Faktor ist Vertrauen. Das haben wir über Jahre mit vielen Menschen aus verschiedenen Communities aufgebaut. Sie wissen, dass sie bei uns Fragen stellen und auch ihre Bedenken äußern können. Und sie wissen, dass die Informationen, die sie bei uns finden, verlässlich sind. Wir haben auch versucht, Virolog*innen und andere Expert*innen für unsere Info-Kampagnen zu gewinnen – doch die meisten von ihnen waren schon ausgebucht. Es wäre sinnvoll, Informationkampagnen zielgerecht zu gestalten. Dafür muss man das Zielpublikum und die Bedarfe gut kennen. Im Nachhinein mit dem Finger zu zeigen und zu sagen, dass "Menschen mit Migrationshintergrund" die Regeln ignorieren, hilft dabei nicht.
Interview: Fabio Ghelli
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