Sie haben bereits Anfang 2000 die Zuwanderungskommission der Bundesregierung unter Rita Süssmuth beraten. Was hat sich seitdem getan?
Es gab eine paradoxe Aufholjagd in Sachen Migrations- und Integrationspolitik. Die inhaltliche Neuorientierung wirkte teilweise fast hektisch, nicht selten aber auch zögerlich, weil sie von parteitaktischen Widerständen behindert wurde. Aus den oft misstrauisch beäugten, zum Teil auch verdrängten und zu Wahlkampfzwecken immer wieder gern missbrauchten Rand- und Angstthemen Zuwanderung und Integration wurden Mainstream-Themen der politischen Agenda.
In welche konkreten politischen Maßnahmen mündete das?
Das reichte von der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 2000 über das Zuwanderungsgesetz von 2005 bis zum nun wieder stattfindenden Integrationsgipfel und zur Deutschen Islamkonferenz, die ebenfalls seit 2006 läuft. Es folgten diverse Korrekturen, Ergänzungen und gesetzliche Flexibilisierungen, wie etwa die doppelte Innovation von 2012: das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und die Umsetzung der Höchstqualifizierten-Richtlinie, die im Kern ein kleines Punktesystem war. All das wäre in den 1980er und 90er Jahren nicht umsetzbar gewesen.
Was war neu am Integrationsgipfel und dem Nationalen Integrationsplan, der 2011 zum Nationalen Aktionsplan Integration führte? (Infos: Fakten zur Regierungspolitik)
2006 fiel das berühmte Wort des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, Politik habe das Thema Integration lange schlicht „verschlafen“. Damit war es nun vorbei. Neu war das Bestreben, Repräsentanten des Bundes und der Länder mit ihren Kommunen in Sachen Integrationspolitik ebenso einzubinden, wie die verschiedensten mit Integration befassten Verbände, Organisationen und Institutionen von Mehrheits- und Einwandererbevölkerung. Man wollte endlich miteinander und weniger übereinander reden, wie die Hauptinitiatorin im Auftrag der Bundeskanzlerin, Staatsministerin Maria Böhmer, das nannte.
Was bringen Dialogforen, Integrations- und Aktionspläne?
Die Integrationsgipfel mit Nationalem Integrations- und Aktionsplan sind Versuche, Konzepte und Antworten auf Herausforderungen in dem spannungsreichen Zusammenwachsen von Mehrheits- und Einwandererbevölkerung zu einer Einwanderungsgesellschaft zu finden. Wie auch immer man die Initiativen im Einzelnen bewerten mag – sicher bleibt: Damit wurden Gestaltungsimpulse gesetzt, hinter die im Kern keine künftige Regierung mehr zurück kann.
Ist das Symbolpolitik – oder kommt dabei auch konkret etwas heraus?
Es gab in der Tat Symbolpolitik. Dazu gehörten zum Beispiel die rund 400 Selbstverpflichtungen von Politik und Bürgergesellschaft auf dem ersten Integrationsgipfel 2006, die zum Teil ohnehin schon laufende Initiativen einschlossen und deren Überprüfung nur durch Selbstberichte erfolgte. Sie sollten anspornend und beispielhaft wirken, blieben aber unverbindlich. Aber auch gute Symbolpolitik kann Türen öffnen, solange sie nicht als Ersatz für die Umsetzung konkreter Maßnahmen verstanden wird.
Wurden die richtigen Themen verhandelt?
Es gab und gibt überprüfbare Zielvorgaben, wie sie etwa auf dem fünften Integrationsgipfel 2012 für elf Themenfelder entwickelt wurden, bei denen Sprache, Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt im Vordergrund standen. Das soll auf dem bevorstehenden sechsten Integrationsgipfel vertieft werden durch die Konzentration auf die Themenfelder „Integration in Arbeitsmarkt und Erwerbsleben“ sowie „Arbeitsmarktintegration durch Sprache, Ausbildung und Qualifikation“. Dieses Engagement ist sachlich wichtig und richtig, wenn auch nicht unbedingt neu. Aber um neue Erkenntnisse geht es hier ja auch gar nicht, denn die Integrationsgipfel mit ihren meist vorverabredeten Redebeiträgen können und sollen die empirische Integrationsforschung oder das wichtige Engagement von Stiftungen ebenso wenig ersetzen, wie die praktische Integrationsarbeit vor Ort.
Was ist aus Ihrer Sicht beim Thema Integration eine der zentralen Herausforderungen für die Zukunft?
Es gibt gerade in der Mehrheitsbevölkerung ohne den sogenannten Migrationshintergrund, besonders bei älteren Menschen, wachsende Kulturängste, mentalen Stress und eine gefährliche gruppenbezogene Ausgrenzung der geschätzt vier Millionen hier lebenden Muslime, von denen rund die Hälfte deutsche Staatsangehörige sind. Diese bis weit in die gebildete Mitte der Einwanderungsgesellschaft hineinreichenden Spalten und Risse werden systematisch durch die Vertreter extremer, insbesondere vulgär-islamkritischer Vorstellungen aufgestemmt. Auch das hat, leider, sehr viel mit Integration, genauer gesagt mit Desintegration zu tun.
Wurden diese Ängste auf den Gipfeln und in den dazugehörigen Integrations-und Aktionsplänen bisher genügend thematisiert?
Diese existenzielle Gefahr für die Einwanderungsgesellschaft spielte auf den Integrationsgipfeln bislang eine zu geringe Rolle. Und die anfangs gesellschaftspolitisch vielversprechende Deutsche Islam Konferenz hinkt hier in ihren Erkenntnisprozessen weit hinter dem einschlägigen Erkenntnisstand her. Wegen des mangelnden Engagements von Integrationsgipfeln und Islamkonferenz in diesem gesellschaftlichen Minenfeld erscheint mir der im Bundesjustizministerium entwickelte Gedanke, neben der Integrationsbeauftragten im Bundeskanzleramt die Stelle eines Extremismusbeauftragten einzurichten, durchaus sinnvoll.
Interview: Rana Göroğlu
Prof. em. Dr. Klaus J. Bade war bis 2012 Gründungsvorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Von 2006 bis 2012 war er zu allen Integrationsgipfeln eingeladen. Im März 2013 erschien sein neues Buch „Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, ‚Islamkritik‘ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft“ (2. Auflage).
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