Seit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 ist ein Jahr vergangen. In der Zwischenzeit gab es den Anschlag in Halle auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss und den Anschlag in Hanau. Alle diese Taten waren rechtsextremistisch motiviert – und kosteten 13 Menschen das Leben. Was kann die Bundesregierung in Anbetracht dieser Bedrohung tun, um Menschen vor rechter Gewalt zu schützen?
Bisherige Maßnahmen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus
Für das Bundesjustizministerium stellt Rechtsextremismus die größte Gefahr für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland dar, so Maximilian Kall, Pressesprecher des Ministeriums beim Pressegespräch. Als Reaktion auf die Taten im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung im Oktober ein Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität vorgestellt; im Februar folgte ein Gesetzentwurf.
Zu dem Maßnahmenpaket zählt neben einer Verschärfung des Waffenrechts auch ein Gesetzentwurf, der hauptsächlich hate speech im Netz bekämpfen soll und beispielsweise eine Meldepflicht bei Hasskriminalität an das Bundeskriminalamt (BKA) und eine Strafverschärfung bei der Androhung von Gewalt vorsieht. Hierfür wurden in den vergangenen Monaten auch verstärkt Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Sonderdezernate eingerichtet. "Wir wollen damit den Nährboden der Gewalt austrocknen – denn aus digitaler Gewalt wird häufig physische Gewalt, wie im Fall des Mordes an Walter Lübcke deutlich wurde", so Kall. Neben dem Maßnahmenpaket wurde ein Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus eingerichtet, der am 20. Mai zum ersten Mal unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel tagte. Mit dem Ausschuss ist das Thema auf höchster politischer Ebene angekommen, betont Kall.
Was der Kabinettausschuss leisten muss
Für Timo Reinfrank kommt das Maßnahmenpaket mindestens fünf Jahre zu spät. „Warum müssen erst Menschen sterben, bevor es dazu kommt?“, so der Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. Er kritisiert, dass der Staat immer noch nicht in der Lage sei, Straftaten in den sozialen Netzwerken zu verfolgen. Und er bedauere, dass Online-Prävention als eigener Programmbereich bei "Demokratie leben" gestrichen wurde. Ein Frühwarnsystem für rechtsextreme Gefährder*innen sollte seiner Meinung nach sehr bald eingeführt werden – nicht erst 2022, wie es die Pläne der Bundesregierung vorsehen.
Neben dem Maßnahmenpaket hat sich Timo Reinfrank auch mit dem Kabinettsausschuss beschäftigt. In einer Expertise für den MEDIENDIENST geben er und sein Kollege Fabian Schroers Empfehlungen, was der Ausschuss leisten kann. So sollten für die bestehenden Anti-Rassismus-Konzepte Ziele formuliert und evaluiert werden. Die Empfehlungen der NSU-Ausschüsse müssten umgesetzt werden – gerade im Bereich der Polizei und Justiz. Und zivilgesellschaftliche Akteur*innen sollten stärker eingebunden werden.
Betroffene von Rassismus fühlen sich nicht sicher
Nadiye Ünsal vom Migrationsrat Berlin beklagt, dass sich rassistische Kontinuitäten in Deutschland über Jahrzehnte verfestigen konnten. Seit den Anschlägen in Halle und Hanau leben ganze Communities in Angst, so Ünsal. "Für die Betroffenen von Rassismus ist die Wut, die Trauer und das Trauma sehr präsent, aber auch die Gewissheit, dass es weitere Taten geben wird." Die Betroffenen fühlten sich nicht sicher, es herrsche kein Vertrauen in die Ermittlungsbehörden.
Das Thema Sicherheit hat für Ünsal zwei Seiten: Einerseits seien Betroffenen von Rassismus von rechter Gewalt bedroht. Andererseits würden sie oft selbst kriminalisiert oder würden Rassismus häufig von Seiten jener Behörden erfahren, die sie eigentlich schützen sollen. Um dieses Problem zu lösen, brauche es mehr Aufklärung. "Die Ermittlungsbehörden müssen wissen, was Rassismus ist, ihn benennen, und die Strafverfolgung danach ausrichten. Und das unter Wahrung der Rechte der Opfer und frei von Diskriminierung."
In der öffentlichen Debatte dürfe nicht weiter von Einzeltäter*innen und Phänomenen am rechten Rand gesprochen werden, die schnell vergessen sind. "Wir sind heute als Gesellschaft keineswegs weiter als vor zwei Jahren oder nach der Selbstenttarnung der NSU", warnte sie.
Von Annabell Lauble
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