Die Bundesregierung hat angekündigt, in den sechs Monaten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) voranzutreiben. Das Bundesinnenministerium (BMI) legte dazu bereits Anfang des Jahres ein Konzeptpapier vor. Es sieht unter anderem eine Vorprüfung von Asylanträgen an den europäischen Außengrenzen vor. Das BMI will dafür das Hotspot-System ausbauen, das es etwa auf den griechischen Inseln gibt.
Kritik am Hotspot-Ansatz
"Der Hotspot-Ansatz ist gescheitert", urteilt Valeria Hänsel, Migrationsforscherin an der Universität Göttingen. Im Pressegespräch stellte sie eine Expertise vor, die sie mit einem Team von Forscher*innen im Auftrag des Rats für Migration erstellt hat.
Hänsels Fazit: Das Konzept funktioniert nicht, wie es vorgesehen war. Die Vorprüfungen führten dazu, dass die Rechte der Geflüchtete stark eingeschränkt werden. "Würde der Hotspot-Ansatz als Blaupause für eine Reform verwendet werden, würde das individuelle Recht auf Asyl weiter schwächen", so die Migrationsforscherin.
Der Hotspot-Ansatz sei unter anderem wegen des Abkommens der europäischen Staaten mit der Türkei 2016 gescheitert, sagt Hänsel. Das Abkommen sieht vor, dass Geflüchtete, die von der Türkei nach Griechenland gelangen, in die Türkei zurückgeführt werden. "Seit dem sogenannten EU-Türkei-Deal werden die Menschen in den Hotspots festgehalten und können nicht weiter nach Europa", so Hänsel. Selbst Personen, die gute Chancen auf Asyl in der EU haben, würden in die Türkei zurückgeschickt.
Die Reform ist ein schwieriges Unterfangen
Das Hotspot-Modell sei nicht per se das Problem, sagt hingegen Anis Cassar, Sprecher des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO). Die Lage auf den griechischen Inseln sei zwar sehr schwieirg, so der EASO-Sprecher, doch das liege nicht an den Hotpots, sondern an der Art und Weise, wie der Hotspot-Ansatz umgesetzt wird. Die Überfüllung der Flüchtlingslager auf den Inseln sei eine Folge davon, dass Geflüchtete nicht auf alle EU-Mitgliedstaaten umverteilt werden.
UNHCR fordert mehr Solidarität
Für Sophie Magennis ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um das Asylsystem zu reformieren – solange die Zahl der Geflüchteten, die nach Europa kommen, niedrig ist. Magennis leitet die Abteilung "Recht und Policy" des UN-Flüchtlingshilfswerks in Brüssel.
Das Reformprojekt sei jedoch schwierig. Zum einen hätten die EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Asylpolitik aussehen sollte. Deutschland sollte sich für eine faire Umverteilung der Asylsuchenden in der EU einsetzen, so Magennis. Zum anderen herrsche Uneinigkeit darüber, wie Geflüchtete in die EU kommen sollen und wo ihre Anträge bearbeitet werden sollen.
Das UNHCR spricht sich für eine Alternative zum EU-Türkei-Deal aus. „Entscheidungen über Asyl müssen innerhalb der EU getroffen werden. Es kann nicht sein, dass die EU diese Verantwortung an Länder außerhalb der EU abtritt, indem sie die Hotspots auslagert.“ Mit der angekündigten Reform müsse man das Recht auf Asyl in der EU wieder stärken und Asylverfahren fair und legal gestalten. Auch müssen Zurückweisungen von Geflüchteten – sogenannte Pushbacks – an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei umgehend gestoppt werden, so Magennis.
Dieser Forderung schließt sich Boris Cheshirkov, Sprecher von UNHCR in Athen an: "Dass Geflüchtete, die die griechischen Gewässer erreicht haben, zum Teil mit Gewalt zurück in Richtung Türkei gedrängt werden, ist eine alarmierende Entwicklung – und verstößt gegen EU-Recht." Es liegen laut Cheshirkov zahlreiche Beweise vor, die nahelegen, dass die griechischen Behörden in die Pushbacks involviert sind – das müsse unbedingt beendet werden.
Von Annabell Lauble
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