Geflüchtete sind stärker von psychischen Belastungen betroffen als die Gesamtbevölkerung – das zeigt eine Auswertung von mehr als 30 Studien: Danach zeigten rund 30 Prozent Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), rund 40 Prozent depressive Symptome. Die Zahlen hängen davon ab, wann man welche Gruppe von Geflüchteten befragt, und können nach Herkunftsland oder Alter stark variieren, wie eine Befragung für Deutschland zeigt. Fachleute gehen als Richtwert davon aus, dass rund 30 Prozent der Geflüchteten potentiell eine psychologische Betreuung benötigen.Quelle
Viele Geflüchtete machen vor und auf der Flucht belastende und traumatisierende Erfahrungen durch Krieg und Verfolgung – einer repräsentative Befragung zufolge trifft das auf 87 Prozent der Geflüchteten zu, die seit 2013 nach Deutschland gekommen sind. In einer weiteren Befragung gaben drei Viertel der Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und dem Irak an, eine Form von Gewalt erlebt zu haben.Quelle
Neben den Erfahrungen vor und während auf der Flucht können auch in Deutschland weitere Belastungen hinzukommen bzw. bestehende sich verschlimmern: etwa durch die Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen mit wenig Raum und Privatsphäre, Diskriminierungserfahrungen sowie unsichere Zukunftsperspektiven. Eine wichtige Rolle spielt die Trennung von der Familie, sie stellt eine große Hürde bei der Genesung dar.Quelle
Welche psychologischen Angebote stehen zur Verfügung?
Einen Therapieplatz bekommen Geflüchtete eher selten: Solange sie Asylbewerberleistungen erhalten, geht dies nur in Ausnahmefällen (mehr dazu unter Rechtslage). Selbst wenn sie krankenversichert sind, ist es schwer, einen Therapieplatz zu finden: Denn es gibt lange Wartezeiten. Die Finanzierung einer Übersetzung scheitert oft an bürokratischen Hürden, zudem sind wenige Therapeut*innen auf die Erfahrungen von Kriegsflüchtlingen spezialisiert oder für den Umgang mit Rassismus sensibilisiert.Quelle
Geflüchtete können Unterstützung bei den Psychosozialen Zentren finden. Davon gibt es deutschlandweit aktuell 71, rund 50 sind in der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) organisiert. Die Angebote sind kostenlos, Übersetzer*innen stehen dort zur Verfügung. In einigen Fällen können die Zentren an Therapeut*innen weitervermitteln.
Es wird geschätzt, dass 30 Prozent der Geflüchteten potentiell eine psychologische Betreuung benötigen. In Deutschland wären das bei 3 Millionen Geflüchteten über 900.000 Personen. Die BAfF-Zentren konnten 2022 rund 28.500 Personen behandeln oder weitervermitteln – und damit nur 3,1 Prozent des Bedarfs abdecken. Es gibt noch rund 20 Zentren, die nicht in der BAfF organisiert, für diese liegen keine Zahlen vor. Eine Therapie über andere Wege zu finden ist für Geflüchtete schwierig, so die Arbetsgemeinschaft.Quelle
Auch eine nicht-repräsentative Studie für Deutschland stellte 2024 fest, dass nur wenige Geflüchtete Unterstützung finden: 7 Prozent der Personen mit Behandlungsbedarf erhielten demnach das Minimum an angemessener Psychotherapie.Quelle
Laut BAfF werden somit viele Erkrankungen nicht oder zu spät behandelt. Sie können sich dadurch verschlimmern und chronisch werden. Die Belastungen erschweren auch soziale Kontakte und die Integration, wie etwa das Erlernen der Sprache.Quelle
Nach Gewalttaten von Asylsuchenden im vergangenen Jahr wurde häufig diskutiert, welche Rolle psychische Erkrankungen und die fehlende Versorgung bei den Taten spielten. Für Geflüchtete liegen dazu kaum Erkenntnisse aus der Forschung vor, so Sarah Wilker, Psychologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Psychologie der Universität Bielefeld. Die klinische Erfahrung zeige, dass Personen nur in Ausnahmen fremdgefährdend werden. "Depression und Posttraumatische Belastungsstörung sind die häufigsten psychischen Störungen, unter denen Geflüchtete leiden. Diese führen häufig zu einer Selbstgefährdung, Gewalttaten sind hingegen extrem selten", erläutert Wilker. Dennoch: Das frühzeitige Erkennen von psychischen Störungen und die Erleichterung des Zugangs zu Hilfsangeboten könne Risiken reduzieren. Maßnahmen hingegen, die die Lebensbedingungen von Geflüchteten verschlechtern, erhöhen den alltäglichen Stress und somit das Risiko psychischer Erkrankungen.
Wie steht es um die Finanzierung der psychologischen Versorgung?
Die Psychosozialen Zentren werden über Projektgelder, Geld von Bund und manchen Bundesländern sowie Spenden finanziert. Rund 6 Prozent kommen von Trägern wie den Krankenkassen, etwa über die Kostenübernahme einer Therapie. Die Bundesmittel wurden mit den Haushaltskürzungen 2025 von rund 13 Millionen auf rund 7 Millionen Euro gesenkt. Laut BAfF wären für eine ausreichende Versorgung 27 Millionen Euro nötig. Aufgrund der schwankenden Mittel ist es schwer, eine dauerhafte Versorgung sicherzustellen.Quelle
Wie ist die Rechtslage?
Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz, welches im Februar 2024 in Kraft trat, erhöhte sich die Zeit, in der Asylsuchende Asylbewerberleistungen empfangen, von 18 auf 36 Monate. Das bedeutet, dass sie in den ersten 3 Jahren in Deutschland nur im Notfall oder bei akuten Erkrankungen zum Arzt gehen können. Eine Psychotherapie können sie nur in Ausnahmen machen und benötigen dafür die Zustimmung der Behörden.Quelle
Im Februar 2024 urteilte das Bundessozialgericht in 2 Fällen, dass auch psychische Erkrankungen als akute Erkrankung gelten können – wenn sie sich ohne Behandlung verschlechtern könnten und deswegen nicht aufgeschoben werden sollten. Bisher hatte das Urteil noch keine Folgen in der Praxis.Quelle
Anerkannte Flüchtlinge und Schutzsuchende, die sich länger als 36 Monate in Deutschland aufhalten, erhalten die regulären Leistungen der Krankenkasse. Die Kassen übernehmen dann auch eine Psychotherapie, jedoch nicht die Kosten für eine Übersetzung. Die kann beim Sozialamt oder beim Jobcenter beantragt werden. Der BAfF zufolge kommt es dabei zu langen Bearbeitungszeiten. Übersetzer*innen kommen selten zum Einsatz. Dabei kann eine fehlende Übersetzung zu Fehldiagnosen oder falscher Behandlung führen.Quelle
Anfang des Jahres beschlossen Bundestag und Bundesrat eine Verordnung, über die mehr Ärzte und Therapeuten zur Behandlung besonders vulnerabler Gruppen zugelassen werden können. Jedoch können sie nur Personen behandeln, die bereits gesetzlich krankenversichert sind – also keine Asylbewerber*innen. Eine ähnliche Verordnung gab es bereits 2015, jedoch waren die Bedingungen so begrenzt, dass kaum Personen darüber behandelt werden konnten.Quelle
Was bringen frühzeitige Screenings?
Derzeit wird häufiger gefordert, bei Asylbewerbern kurz nach der Ankunft ein Screening durchzuführen. Dabei soll festgestellt werden, ob sie eine psychische Belastung oder Gewalterfahrung aufweisen und ob sie Unterstützung benötigen. Die EU-Aufnahmerichtlinie sieht vor, dass besondere Schutzbedarfe bei Asylbewerbern ermittelt werden sollen, dazu gehören auch psychische Belastungen. In Deutschland passiert das bisher nur vereinzelt, wie eine Recherche von Correctiv aus dem April 2025 festgestellt hat. Von Unterkunft zu Unterkunft gibt es teilweise unterschiedliche Ansätze. Auch die Screening-Verordnung, die Teil der europäischen GEAS-Reform ist, sieht ein solches Screening vor, sie muss bis Mitte 2026 umgesetzt werden.
Es gibt bereits Pilotprojekte und verschiedene Vorschläge, wie so ein Screening aussehen könnte, etwa über einen kurzen Fragebogen. Personen, die Anzeichen einer psychischen Belastung zeigen, könnten im ersten Schritt mit Infomaterial versorgt werden oder mit einer Beratung oder einer Begleitung durch eine Art Paten – wie in einem Projekt in Baden-Württemberg. Bei hoher Belastung könnten sie an eine Therapeutin vermittelt werden.
Manche Fachleute warnen vor einer Stigmatisierung und Retraumatisierung von Geflüchteten durch ein kurzes Screening. Sie betonen, dass es vom Asylverfahren getrennt stattfinden muss – und dass nach Auffälligkeiten beim Screening ein weiteres Gespräch mit einer Fachperson erfolgen muss. Ein weiteres Problem: Aktuell stehen nicht genug Therapieplätze zur Verfügung. Der Bedarf wird dann zwar erkannt, kann aber nicht behandelt werden.Quelle
Von Andrea Pürckhauer, Karte: Elisabeth Schmidt-Ott
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