Anlässlich des zehnten Jahrestags der NSU-Selbstenttarnung lud der MEDIENDIENST den Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang, die NSU-Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız und den Rechtsextremismusforscher Matthias Quent zum Pressegespräch ein. Außerdem veröffentlichte der MEDIENDIENST eine neue Recherche zu Rechtsextremen in Sicherheitsbehörden.
REFERENT*INNEN
Thomas Haldenwang
ist seit 2009 im Bundesamt für Verfassungsschutz tätig. Bis Ende 2012 leitete er die Zentralabteilung, dann wurde er zum Ständigen Vertreter des Vizepräsidenten bestellt. Am 1. August 2013 wurde er zum Vizepräsidenten ernannt. Seit dem 15. November 2018 ist er Präsident des Verfassungsschutzes.
Seda Başay-Yıldız
ist Rechtsanwältin. Im Münchner NSU-Prozess vertrat sie als Nebenklageanwältin Angehörige der Opfer des NSU. Sie arbeitet seit 2003 in einer Anwaltskanzlei als Fachanwältin für Strafrecht.
Prof. Dr. Matthias Quent
ist Soziologe und Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Seit Mai 2021 hat er eine Professur an der Hochschule Magdeburg-Stendal inne. Er promovierte über die Radikalisierung des NSU und war Sachverständiger für verschiedene Untersuchungsausschüsse.
Bildergalerie zum Pressegespräch "10 Jahre nach dem NSU-Terror"
STATEMENTS DER REFERENT*INNEN (AUSZÜGE)
Thomas Haldenwang
"Wir trauern um die Toten des NSU und wir denken an die Familien. Sie haben nicht nur ihre Lieben verloren, sondern sie standen selbst - unschuldig – im Fokus der Sicherheitsbehörden und wurden so zu Opfern falscher Verdächtigungen. Wir, die beteiligten Sicherheitsbehörden, die die Taten nicht verhindern konnten und viele Fehler begangen haben, sollten in Demut diese Fehler erkennen und daraus für die Zukunft lernen. Heute würde ich so weit gehen, zu sagen: So etwas wie NSU könnte sich mit den heutigen Methoden der Sicherheitsbehörden nicht wiederholen.
Ich werde nicht müde zu sagen: Die größte Herausforderung für die Sicherheit Deutschlands ist die Bedrohung durch den Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. Das belegen 228 Tote seit 1990, die Opfer rechtsextremistischer Gewalt wurden. Auch die scheinbar nicht gewaltorientierte Rechte stellt eine große Gefahr dar: Sie versucht, an Themen anzudocken, um in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen – wie aktuell zum Beispiel im Kontext der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen."
Seda Başay-Yıldız
"Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU ist die Rolle der deutschen Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden nach wie vor nicht aufgeklärt. Der Verfassungsschutz hat die Aufklärung behindert, zum Beispiel durch Schwärzen der Akten. Ohne echte Aufklärung kann es keine Verbesserung geben.
Die Strafverfolgungsbehörden sind im NSU-Komplex rassistisch vorgegangen – und es bestehen keinerlei Anhaltspunkte zu glauben, dass die Ermittlungsbehörden nicht auch in Zukunft rassistisch ermitteln werden. Ganz im Gegenteil: Die zufällige Enttarnung von hunderten von rassistischen Chatgruppen in Polizei und Bundeswehr in der gesamten BRD in den letzten Jahren zeigen auf, dass weiterhin Rassisten in den Sicherheitsbehörden tätig sind."
Matthias Quent
"Der NSU-Komplex ist nicht aufgelöst und nicht abgeschlossen. Zentrale Kernfragen sind nicht aufgeklärt. Das betrifft unter anderem die Frage der Unterstützungsnetzwerke und die Anwesenheit des Verfassungsschutz-Mannes Andreas Temme bei der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel.
Der NSU-Komplex ist aber nur die Spitze des Eisberges. Zahlreiche rassistische Morde in Deutschland sind bis heute nicht aufgeklärt. Auch das Auffliegen des NSU-Komplexes führte nicht zu einer Zäsur: Vieles von dem, was sich daraufhin im Verfassungsschutz geändert hat, hat sich ja erst in den letzten drei Jahren geändert unter Herrn Haldenwang und nicht vorher, unter Herrn Maaßen."
Von: Donata Hasselmann
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