Mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche, die seit Februar 2022 vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, lernen derzeit an deutschen Schulen. Im März hatten die meisten Bundesländer angekündigt, "Willkommensklassen" für die Schüler*innen einzurichten. Mittlerweile wird in vielen Bundesländern ein Teil der ukrainischen Schüler*innen in Regelklassen unterrichtet, andere in getrennten Klassen. Viele ukrainische Schüler*innen konnten inzwischen in den Regelunterricht wechseln, weil sie ausreichend Deutsch gelernt haben.
Die Aufnahme ukrainischer Schüler*innen hat die bestehenden Probleme der Schulen verschärft – beklagen mehrere Länder und Kommunen: Es fehlen Lehrpersonal und Klassenräume. Was können Bund und Länder tun, um Schüler*innen aus der Ukraine eine langfristige Perspektive im deutschen Schulsystem anzubieten? Darüber haben Expert*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei einem Online-Pressegespräch des MEDIENDIENSTES diskutiert.
Karin Prien – Bildungsministerin (CDU) in Schleswig-Holstein und Präsidentin der Kultusministerkonferenz
Schon in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft in Deutschland konnten viele Geflüchtete aus der Ukraine ihre Kinder an deutschen Schulen anmelden. Aufgrund der Erfahrung mit der Aufnahme von Flüchtlingskindern 2015-2016 waren wir gut vorbereitet, diese Kinder und Jugendlichen schnell einzuschulen. In Schleswig-Holstein konnten wir zum Beispiel mithilfe von speziell ausgebildeten Lehrpersonal sogenannte "DaZ-Klassen" (Deutsch als Zweitsprache) aktivieren. Wir haben zudem auch mehrere hundert ukrainische Lehrer*innen eingestellt. Mir ist aber bewusst, dass in anderen Regionen die Situation aufgrund von fehlender Infrastruktur und Personal deutlich angespannter ist.
Dr. Natalia Roesler – Geschäftsführerin des Vereins Club Dialog und Sprecherin des Bundeselternnetzwerks der Migrant*innenorganisationen
In der Anfangszeit waren viele Familien aus der Ukraine nicht sicher, ob sie in Deutschland bleiben würden oder nicht. Viele Kinder von Geflüchteten haben deshalb mittels Online-Unterricht weiterhin den ukrainischen Unterricht besucht. Inzwischen plant etwa die Hälfte der Geflüchteten, länger in Deutschland zu bleiben. Deshalb wächst auch die Bereitschaft, sich in das hiesige Schulsystem zu integrieren. Es gibt aber immer noch in allen Bundesländern viele ukrainische Kinder, die aufgrund fehlender Schulplätze und Personalmangel keinen Unterricht besuchen können und zu Hause sitzen. Wir wünschen uns, dass unterstützende Strukturen wie Elternlotsen mehr gefördert und finanziert werden. Die Integration wäre nicht möglich ohne die vielen Mitarbeiter*innen und ehrenamtliche Helfer*innen von Migrant*innen-Organisationen, die die Eltern im Austausch mit den Schulen unterstützen.
Prof. Dr. Juliane Karakayali – Soziologin an der Evangelischen Hochschule Berlin
Das Schulsystem ist zu einem Flickenteppich aus verschiedenen Maßnahmen geworden: Intensivklassen, Vorbereitungsklassen, Willkommensklassen. Es gibt kein einheitliches System für die Einschulung von Kindern von Flüchtlingen und Einwanderer*innen. Kein einheitliches Curriculum. Der Unterricht sieht von Bundesland zu Bundesland und von Schule zu Schule sehr unterschiedlich aus. In vielen Bundesländern werden Vorbereitungsklassen dadurch allmählich zu einem parallelen Schulsystem. Auch wissen Eltern und Schüler*innen in der Regel nicht, wann sie aus den Vorbereitungsklassen in den Regelunterricht wechseln können. Das ist besonders belastend, denn zahlreiche Studien haben belegt, dass Schüler*innen in diesen Klassen schlechter lernen als ihre Kommiliton*innen, die den Regelunterricht besuchen.
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