Nach dem Anschlag in Halle wurde deutlich: Synagogen in Deutschland sind nicht gut genug geschützt. Bund und Länder haben versprochen, das zu verbessern. Und Millionen Euro zugesagt. Damit sollen jüdische Gemeinden etwa schusssichere Fenster, Poller oder Videoüberwachung finanzieren. Reicht das aus? Nein, sagen Fachleute auf einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES.
Denn das Geld komme oft nicht bei den Gemeinden an. Das betont der Jurist und Buchautor Ronen Steinke. Er hat für sein neues Buch "Terror gegen Juden" mit vielen jüdischen Gemeinden in Deutschland gesprochen. Die berichten, wie schwer es sei, Gelder zu beantragen. Wenn die Polizei Sicherheitsmängel an Gebäuden feststellt, müssen sich die Gemeinden selbst um alles Weitere kümmern. Das heißt: Angebote einholen, Anträge stellen. Gerade für kleine Gemeinden sei das oft nicht zu meistern. "Es gibt jüdische Gemeinden, die auf 50 Prozent ihrer Sicherheitskosten sitzenbleiben", berichtet Steinke. Das sei nicht akzeptabel: "Gefahrenabwehr ist Aufgabe des Staates und nicht der Betroffenen".
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Da gibt es laut Steinke viele Unterschiede zwischen den Bundesländern. Bayern habe nach dem Anschlag in Halle etwa schnell reagiert, Gelder bereitgestellt, Mängel behoben. In vielen anderen Bundesländern sei immer noch nichts passiert, kritisiert Steinke. Das räumt auch der Vizepräsident des Bundeskriminalamts, Jürgen Peter, ein: "Ein Jahr nach Halle ist der Schutz jüdischer Gemeinden besser als letztes Jahr, aber er ist noch nicht flächendeckend gut".
Der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, betont, dass es nicht bei einmaligen Zusagen bleiben dürfe: "Gerade moderne Sicherheitstechnik muss ständig auf den neusten Stand gebracht werden. Es nützt nichts, wenn fünf Videokameras installiert werden, von denen nach einem Jahr drei nicht mehr funktionieren".
"Es ist überhaupt nicht entspannt"
Bewaffnete Beamt*innen vor Synagogen, hohe Zäune und Videoüberwachung an Schulen: Damit werden Jüdinnen und Juden täglich in Deutschland konfrontiert. "Es ist ein Belagerungszustand, in dem man nur zur Schule und zum Gottesdienst gehen kann, wenn da Menschen mit Pistolen auf einen aufpassen", so Steinke.
Wie bedrückend das ist, beschreibt die angehende Rabbinerin Naomi Henkel-Gümbel. "Wenn ich sehe, dass mehr Sicherheitsbeamte vor den Synagogen zu sehen sind, mit noch größeren Waffen, dann stelle ich mir die Frage: Inwieweit sind wir eigentlich sicher?" Dass jüdische Einrichtungen massive Schutzvorkehrungen brauchen, zeige, dass etwas in der Gesellschaft maßgeblich schief laufe. Und dass die Zivilgesellschaft mehr gegen Antisemitismus und Rassismus tun müsse.
Die Forderung richtet Henkel-Gümbel auch an die Behörden. Sie hat das Attentat auf die Synagoge in Halle überlebt. Und kritisiert, wie die Polizei mit dem Fall umgegangen ist. Sie hat erlebt, wie die Polizeibeamten nach dem Anschlag wenig Empathie mit den Betroffenen gezeigt haben. Zudem sei die Aufarbeitung des Anschlags mangelhaft. "Das ist besorgniserregend", so Henkel-Gümbel.
Für Henkel-Gümbel und andere Betroffene des Anschlags ist es nun eine Art Berufung geworden, rechter Ideologie entgegenzutreten: "Ich muss meinen Teil dazu beitragen zu einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft".
Von Andrea Pürckhauer
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