Internationale Studien – viele aus den USA und Großbritannien – zeigen, dass sich Rassismuserfahrungen negativ auf die Gesundheit auswirken können. Sie können den Selbstwert beeinflussen, zu Stress, Traurigkeit und Angst führen. Auch können sie körperliche Beschwerden wie erhöhten Blutdruck oder Herzerkrankungen zur Folge haben.Quelle
Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) des DeZIM-Instituts hat die Erfahrungen in Deutschland über eine repräsentative Befragung für drei betroffene Gruppen analysiert: 1. Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen sowie 2. muslimische und 3. asiatische Menschen – bzw. Personen, die als solche wahrgenommen werden. Auch für Personen mit Migrationshintergrund liegen Daten vor, ergänzt werden die Ergebnisse durch qualitative Studien.Quelle
Menschen, die Rassismus erleben, laufen Gefahr, einen schlechteren Gesundheitszustand zu entwickeln, so die Studie. Je häufiger Betroffene Rassismus erfahren, desto schlechter bewerten sie ihren Gesundheitszustand. Ohne diese Erfahrungen wäre der Gesundheitszustand genauso gut oder sogar besser als bei weißen Männern, die als Vergleichsgruppe dienen. Dabei gibt es eine Ausnahme: Muslimische Frauen berichten auch ohne die Erfahrung von einem schlechteren Zustand – ein Ergebnis, das auch bei anderen Fragen vorkommt, dazu unten mehr. Zu spezifischen Krankheitsbildern liefert die Untersuchung keine Hinweise.Quelle
Noch deutlichere Ergebnisse finden die Forscher*innen in Hinblick auf die psychische Gesundheit: Rassismuserfahrungen gehen mit gesteigerten Symptomen einer Angststörung oder einer Depression einher.Quelle
Arbeitsbedingungen und soziale Lage beeinflussen Gesundheit
Menschen mit Einwanderungsgeschichte waren in Deutschland häufiger von Corona betroffen. Für Schwarze Personen und Communities, die von Rassismus betroffen sind, gab es vor allem Daten aus den USA und Großbritannien: Sie waren häufiger von Corona und schweren Verläufen betroffen. Auch bei anderen Krankheiten – wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie psychischen Erkrankungen – gibt es Unterschiede zu anderen Gruppen.Quelle
Als Grund werden oft die Arbeitsbedingungen und die soziale Lage genannt: Betroffene sind häufiger prekär beschäftigt und auf der Arbeit höheren Gesundheitsrisiken ausgesetzt; sie leben in engeren Wohnverhältnissen, haben weniger Zugang zu gesunder Ernährung und Erholung. All das kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Studien legen aber nahe, dass auch Rassismuserfahrungen – sowohl im Alltag als auch im Gesundheitswesen – eine Rolle spielen.Quelle
Rassismuserfahrungen im Gesundheitssystem
Viel Wissen zum Thema basiert auf Erfahrungsberichten. Das Projekt Schwarzer Mediziner*innen "Black in Medicine" trägt etwa Erfahrungen von Patient*innen sowie Gesundheitspersonal zusammen. Eine der wenigen Befragungen ist der Afrozensus 2020, bei dem Schwarze und afrodiasporische Menschen in Deutschland befragt wurden. Ein Ergebnis: Sie erleben Rassismus vor allem im Bildungs- und Gesundheitswesen.
Zwei Drittel der Befragten, die in den letzten zwei Jahren Kontakt zum Gesundheitswesen oder der Pflege hatten, haben dort Diskriminierung erfahren. Wiederum 74,4 Prozent von ihnen gaben an, wegen der Hautfarbe diskriminiert worden zu sein. Im NaDiRa berichten viele Menschen von regelmäßigen Rassismuserfahrungen im Gesundheitswesen: Bei muslimischen Personen sind es rund 35 Prozent, bei Schwarzen Männern 24,7 und bei Schwarzen Frauen 38,6 Prozent. Zum Vergleich: Unter nicht rassifizierten Personen sind es 19,7 Prozent bei Männern und 25,5 Prozent bei Frauen.Quelle
Betroffene berichten von Behandlungsfehlern
2022 gingen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) 263 Anfragen zum Bereich Gesundheit und Pflege ein. Auf Anfrage des MEDIENDIENSTES teilte die ADS mit, dass sich etwa die Hälfte davon auf die Kategorie Behinderung bezogen und ein Drittel auf rassistische Gründe.
Betroffene berichten häufig von rassistischer Diskriminierung während einer ärztlichen Behandlung. Sie mussten länger im Warteraum bleiben oder erhielten unangebrachte Fragen und wurden nicht oder falsch behandelt, einige berichten von schweren Behandlungsfehlern und körperlichen Angriffen.Quelle
Betroffene wechseln den Arzt oder verschleppen Behandlungen
Die neue NaDiRa-Studie zeigt: Mehr als jede Dritte Person aus den befragten Gruppen gab an, den Arzt gewechselt zu haben, da Beschwerden nicht ernst genommen wurden. Besonders hoch ist der Wert unter muslimischen und asiatischen Frauen.Quelle
Auch kommt es zur Verschleppung oder Verzögerung einer Behandlung, besonders bei Frauen.
Die Werte liegen deutlich höher für Personen, die häufig Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren haben. Unter Schwarzen Frauen, die häufig Diskriminierung erlebt haben, geben 48 Prozent an, eine Behandlung verzögert oder vermieden zu haben.
Schwarze, muslimische und asiatisch (gelesene) Personen berichten im NaDiRa deutlich häufiger davon, die Suche nach einem Therapieplatz aufgegeben zu haben. Unter Schwarzen Personen sind es über 40 Prozent. Eine Rolle spielen Erfahrungen mit Therapeut*innen: Im Afrozensus berichten über 60 Prozent der Befragten, dass ihre Rassismuserfahrungen in der Therapie nicht ernst genommen werden.Quelle
Das bestätigt die Ergebnisse anderer Studien: Betroffene verlieren wegen Diskriminierungserfahrungen das Vertrauen in das Gesundheitswesen und suchen aus Angst, schlecht behandelt zu werden, keine Ärztin auf oder wechseln diese häufig ("doctor hopping"). Das kann dazu führen, dass Krankheiten verschleppt oder gar nicht behandelt werden.Quelle
Eine Rolle dabei spielen der Studie zufolge Scheindiagnosen (wie der "Morbus Bosporus"): Patient*innen wird dabei ein unter- oder übertriebenes Schmerzempfinden zugeschrieben. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass Krankheiten falsch therapiert oder erst gar nicht behandelt werden.Quelle
Frauen berichten häufiger von Diskriminierungserfahrungen
Schwarze, muslimische und asiatische Frauen berichten besonders häufig davon, eine Behandlung verzögert zu haben; muslimische Frauen besonders häufig von einem schlechteren Gesundheitszustand. Die Autor*innen des NaDiRa legen nahe, dass sich hier Stereotype gegenüber Frauen – etwa, dass sie ihr Schmerzempfinden überbetonen – und rassistische Stereotype vermischen. Andere Studie zeigten etwa, dass Frauen bei gleichen Symptomen andere Verschreibungen und Therapieempfehlungen bekommen; und, dass es zu spezifischen Symptomen bei Frauen weniger Forschung gibt (mehr zum "Gender-Health-Gap" hier).Quelle
Rolle der Ausbildung & institutionelle Hürden
Auf der Suche nach den Gründen bleiben einige offene Fragen. Zu den Perspektiven und Einstellungen des Gesundheitspersonals gibt es kaum Erkenntnisse. Ein Faktor ist die Ausbildung: Eine Analyse von Lehrmaterial zeigt, dass in der medizinischen Ausbildung oft nur anhand eines hellen Hauttyps gelehrt wird; abwertende Darstellungen gegenüber einigen Communities – wie ein vermeintlich erhöhter Alkohol- und Drogenkonsum – finden ebenso statt. Die Auseinandersetzung mit rassistischer Diskriminierung kommt in der Ausbildung nur unzureichend vor, so die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Scheindiagnosen wie der "Morbus Bosporus" oder "Morbus Mediterraneus" – die Betroffene eine übertriebene Schmerzbeschreibung unterstellen – kämen in Lehre und Praxis immer noch vor.Quelle
Hinzu kommen verschiedenen Hürden:
- Sprachbarrieren: Im Afrozensus nennen Betroffene die Sprache als besondere Hürde. Es fehlen mehrsprachige Informationsangebote, und Ärzt*innen und Patient*innen können sich oft schwer verständigen. Das kann beeinflussen, wie dringlich ein Fall wahrgenommen wird und zu Missverständnissen führen. Oft gibt es keine Sprachmittler*innen, und Patient*innen müssen die Kosten für eine Übersetzung selbst übernehmen. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) fordert etwa ein Anrecht auf Dolmetscher.Quelle
- Auch bei der Terminvergabe scheint es Hürden zu geben: Die Forscher*innen des NaDiRa haben ein Experiment mit Terminanfragen bei Praxen der Allgemeinmedizin durchgeführt. Das Ergebnis: Personen mit nicht-deutschen Namen erhalten seltener eine positive Rückmeldung auf ihre Anfrage etwa bei Allgemeinmedizinerinnen oder Psychotherapeuten. Die Studie liefert aber keine Hinweise darüber, warum das der Fall ist.Quelle
- Rechtliche Hürden erschweren, dass Personen überhaupt Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen: Geflüchtete haben zunächst nur eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem; besonders schwer ist es für Menschen ohne Papiere, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die WHO fordert etwa, allen Migrant*innen unabhängig von Aufenthaltsstatus Zugang zum Gesundheitssystem zu geben.
Sprachbarrieren abbauen, rassistische Einstellungen reflektieren
An der Charité läuft aktuell ein Projekt, das diskriminierenden Strukturen an Kliniken entgegenwirken will. Leiterin Theda Borde dazu: "Ein großes Problem sind Sprachbarrieren, oft fehlen Infomaterialien, Personen sind dadurch schlecht informiert und oder gehen aus Angst, sich nicht verständigen zu können, erst gar nicht oder verzögert in Behandlung." Mehrere Kliniken beteiligen sich am Projekt mit konkreten Vorhaben: Sie wollen etwa eine verlässliche Sprachmittlung einführen, schriftliche Materialien verbessern oder Erklärvideos in verschiedenen Sprachen erstellen.
Die zweite große Baustelle ist das Wissen um Rassismus: "Ein kritischer Umgang mit Rassismus kommt in der Ausbildung und im Studium nur am Rande vor. Viele Pfleger*innen und Ärzt*innen können deswegen diskriminierende Alltagssituationen nicht angemessen reflektieren und ihnen entgegenwirken", so Borde. Das Projekt möchte deshalb mit Ausbildungsinstitutionen Material entwickeln und fest in der Lehre und Weiterbildung der Gesundheitsberufe verankern. Eine weitere Idee ist eine Supervision für Fachkräfte: Dort können sie Sensibilität zum Thema entwickeln und das eigene Handeln sowie strukturelle Ausgrenzungsprozesse reflektieren. Dazu Borde: "Kliniken sind aktuell sehr belastet, wir sind sehr froh, dass trotzdem viele von ihnen sehen, dass sich in dem Bereich etwas ändern muss."
Wichtige Quellen
DeZIM/NaDiRA (2023): "Rassismus und seine Symptome" NaDiRa-Bericht, LINK
Kajikhina (2023): "Rassismus und Diskriminierung im Kontext gesundheitlicher Ungleichheit - ein narratives Review", LINK
Bartig et al. (2021): "Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen - Wissensstand und Forschungsbedarf für die Antidiskriminierungsforschung", LINK;
Von Andrea Pürckhauer
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