Corona-Pandemie und Migration
Die Corona-Pandemie wirkt sich auch auf Migrant*innen und Geflüchtete aus. Wegen der Einreisebeschränkungen ist es schwieriger geworden, nach Deutschland zu kommen. Migrant*innen, die hier leben, haben statistisch ein höheres Risiko sich anzustecken. Warum ist das so? Der MEDIENDIENST hat wichtige Informationen zum Themenkomplex Corona-Pandemie und Migration zusammengetragen.
Erkranken Menschen mit Migrationshintergrund häufiger an Corona?
Eine Anfang 2023 vom BAMF und dem IAB veröffentlichte Studie ergab, dass Personen mit Migrationserfahrung bis Oktober 2021 knapp doppelt so häufig eine COVID-19-Infektion durchgestanden hatten als Menschen ohne Migrationserfahrung. Das sei vor allem auf sozio-ökonomische Faktoren wie die Wohnsituation oder die familiäre und berufliche Situation zurückzuführen, nicht auf die Migrationserfahrung.Quelle
Ob sich die schwere der Verläufe in Deutschland zwischen Menschen mit und ohne Migrationshinterfahrung unterschieden hat ist laut Studie unklar, es brauche weitere Forschung. Statistiken aus den USA oder Großbritannien belegen, dass Menschen mit Migrationserfahrung dort häufiger schwere Krankheitsverläufe und einen schlechteren Zugang zum Gesundheitssystem hatten als Personen ohne Migrationserfahrung.Quelle
Das "Kompetenznetz Public Health COVID-19" stellte 2021 auf der Basis von internationalen Studien aus mehreren Ländern ein erhöhtes Infektionsrisiko unter Migrant*innen fest. Dies sei unter anderem durch prekäre Arbeitsverhältnisse und enge Unterbringung bedingt. Krankenhauseinweisung von Migrant*innen seien währenddessen seltener. Die Studien zeigen außerdem eine erhöhte Gesamtsterblichkeit bei Migrant*innen; sowohl im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie als auch zur Allgemeinbevölkerung.Quelle
Konkrete Zahlen für Deutschland gibt für die Übersterblichkeit Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft: Sie starben 2020 und 2021 häufiger an Corona als Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Der Anteil von ausländischen Staatsangehörigen an allen Todesfällen ist im Laufe der Pandemie deutlich gestiegen, so eine Studie, die beim Mediendienst veröffentlicht wurde. Außerdem stieg bei ihnen die Übersterblichkeit auch in jüngeren Altersgruppen stärker – so etwa in der Gruppe zwischen 45 und 64 Jahren.Quelle
Suche nach den Ursachen: Soziale Lage wichtiger als Migrationshintergrund
Die weitere Datenlage ist dünn: In Deutschland erhoben nur zwei Bundesländer (Bremen und Berlin) Zahlen zu diesem Thema, wie Medien berichtet haben. In Berlin etwa waren Corona-Infektionen in solchen Stadtteilen häufiger, in denen viele Menschen mit Migrationshintergrund oder Staatsbürger*innen aus Nicht-EU-Staaten wohnen. Häufig sind das auch Stadtteile mit höherer Arbeitslosigkeit und Bevölkerungsdichte. Menschen, die in sozial benachteiligten Gegenden leben, haben weniger Wohnfläche zur Verfügung, was es erschwert, innerhalb ihres Haushalts Abstand zu halten. Generell kann man sagen, dass Corona-Infektionen dort häufiger auftreten, wo Menschen in schlechterer sozialer Lage wohnen.Quelle
Auch Arbeitslosigkeit und prekäre, unsichere Arbeitsverhältnisse könnten Faktoren sein: So müssen arbeitslose Menschen häufiger wegen einer Corona-Infektion ins Krankenhaus. Das zeigt eine deutschlandweite Auswertung von Krankenkassen-Daten von Mitte 2020. Möglicherweise liegt das an häufigeren Vorerkrankungen in dieser Gruppe. Menschen mit Migrationshintergrund sind häufiger arbeitslos (siehe Rubrik "Arbeitsmarkt") und haben ein höheres Armutsrisiko. Sie könnten deshalb auch häufiger von Corona betroffen sein.Quelle
Sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen haben laut Robert Koch Institut eher schwerere Krankheitsverläufe. Analysen des RKI zeigen, dass in der zweiten Welle die Covid-19 Sterblichkeit in sozial stark benachteiligten Gegenden um 50 bis 70 Prozent Prozent höher lag als in weniger sozial benachteiligten Regionen. Zudem haben Arbeitslose und Menschen in Niedriglohnjobs ein deutlich erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs. Möglicherweise liegt das an häufigeren Vorerkrankungen in dieser Gruppe. Denn: unsichere Lebens- und Arbeitsverhältnisse begünstigen nachweislich Stress und Erkrankungen. Vorerkrankungen können die Immunabwehr schwächen und einen schwereren Verlauf einer Covid-19 Infektion bedingen.Quelle
Riskantere Berufe und seltener Homeoffice
Viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten im Dienstleistungs- und Pflegebereich, wie Studien zeigen. Sie üben somit Tätigkeiten aus, bei denen man sich schlechter vor Covid-19 schützen kann, als zum Beispiel im Homeoffice. Eine Auswertung von Krankenkassen-Daten von März 2020 bis Februar 2021 zeigt: Menschen, die im Pflege- und Gesundheitssektor arbeiten, erkranken bis zu fünfmal häufiger an Covid-19 als Vergleichsgruppen. Ein weiterer Risikofaktor sind Berufe mit prekären Arbeitsverhältnissen, wie zum Beispiel in Lagerhäusern, im Sicherheitsdienst, in der Fleisch- oder Bekleidungsindustrie. Auch hier sind Menschen mit Migrationshintergrund häufiger vertreten.Quelle
Eingewanderte haben deutlich seltener die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, als in Deutschland geborene Personen. Das geht aus einer OECD-Studie zu den Auswirkungen von Covid-19 hervor. Das bedeutet auch: Sie sind häufiger auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen, als Menschen, die von zu Hause arbeiten können, oder ein oder mehrere Fahrzeuge pro Haushalt zur Verfügung haben. So können sie sich schlechter vor Corona schützen.Quelle
Diskriminierung im Gesundheitswesen
Hinzu kommen Diskriminierungen im Gesundheitswesen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnete im Coronajahr 2020 etwa deutlich mehr Beschwerden von asiatisch gelesenen Menschen, unter anderem Terminabsagen beim Arzt.Quelle
Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund lassen sich impfen?
Einwanderer*innen und ihr Nachkommen ließen sich im Durchschnitt seltener gegen das Covid-19-Virus impfen als Menschen ohne Einwanderungsgeschichte: Laut einer Untersuchung des Robert Koch-Instituts (RKI), die im Februar 2022 veröffentlicht wurde, lag die Impfquote unter Menschen mit Einwanderungsgeschichte rund acht Prozentpunkte unter der von Menschen ohne Migrationshintergrund. Bei den Menschen mit Migrationsgeschichte gaben etwa 84 Prozent an, mindestens einmal geimpft zu sein, unter den Befragten ohne waren es 92 Prozent. Etwa 2.000 Personen haben die Forscher*innen für die Studie befragt – rund die Hälfte von ihnen hatte einen Migrationshintergrund.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Anfang 2023 vom BAMF und dem IAB veröffentlichte Studie: Demnach waren bis Oktober 2021 Personen ohne Migrationserfahrung etwas häufiger mindestens einmal geimpft als Menschen mit Migrationserfahrung. Zur zweiten Impfung hatte sich dieser Unterschied fast halbiert. Die Studienautor*innen konnten die Unterschiede jedoch nicht abschließend erklären. Anhand der abgefragten Impfbereitschaft vermuten sie, dass sich die Zahlen der Geimpften zwischen beiden Gruppen bis Ende 2021 und darüber hinaus weiter angeglichen haben.Quelle
Die Impfbereitschaft von den ungeimpften Befragten mit Migrationshintergrund war laut der Studie des RKI signifikant höher als bei denen ohne Migrationshintergrund. Entscheidender als der Migrationshintergrund seien laut RKI die Sprachkenntnisse der Befragten. Bei Personen, die wenig oder kein Deutsch sprechen, liegt die Impfquote bei 75 Prozent. Bei Befragten mit sehr guten Deutschkenntnissen oder Deutsch als Muttersprache waren es 92 Prozent. Der Abbau von Sprachbarrieren und ein besserer Zugang zu Informationen rund um das Thema Prävention seien deshalb entscheidend für erfolgreiche Impfkampagnen
Weitere Faktoren, die die Impfquote beeinflussen, sind Einkommen, Bildungsniveau und Alter der Menschen. Das gilt sowohl für Menschen mit als auch ohne Migrationshintergrund. Diskriminierungserfahrungen wirken sich ähnlich wie Sprachbarrieren negativ auf die Impfbereitschaft von Personen mit Einwanderungsgeschichte aus, fand die Untersuchung heraus. Auch Falschinformationen, die in manchen Einwanderer*innen-Communities kursieren, würden zu weniger Impfungen führen.Quelle
Weitere Untersuchungen ergaben:
- EinerStudie des "Covid-19 Snapshot Monitoring" in Erfurt zufolge haben Ungeimpfte im Durchschnitt häufiger einen Migrationshintergrund, sind zudem jünger und und leben eher in Ost- als in Westdeutschland.
- Eine Studie der Universität Bielefeld zur Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund bestätigt, dass viele Personen mit postsowjetischem und türkischem Migrationshintergrund oftmals nicht wissen, welche Impfungen sie oder ihre Familien benötigen.
- Unsicherheit bei Impfungen geht sehr oft mit Sprachbarrieren einher, wie auch eine Untersuchung der Technischen Universität München unter türkeistämmigen Personen am Anfang der Impfkampagne bestätigt hat.
Eine direkte Korrelation zwischen einem hohen Migrant*innen-Anteil in einer Region und niedrigen Impfquoten gibt es hingegen nicht, wie eine Daten-Auswertung des MEDIENDIENSTES 2022 zeigt. Oftmals sind es Orte, in denen wenige ausländische Staatsbürger*innen wohnen, die die niedrigste Zahl der Impfungen aufweisen.
Rassismus in der Corona-Zeit
Mehr Diskriminierungsfälle
Seit Beginn der Corona-Pandemie gab es deutlich mehr Fälle von Diskriminierung. Das zeigen Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: 2020 hatten sich die Anfragen für Beratungen im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt (von rund 3.600 auf mehr als 6.400). Im Jahr 2021 dürfte diese Zahl etwas niedriger liegen (Ende November 2021: 4.900), wie Medien berichteten.Quelle
Etwa jede vierte Anfrage bezog sich auf Diskriminierungen mit direktem Bezug zum Coronavirus (1.900). Häufig richteten sich die Diskriminierungen gegen Menschen mit einer Behinderung und Menschen, denen eine asiatische Herkunft zugeschrieben wurde. Die Betroffenen schilderten Fälle von rassistischem Verhalten, wie Hassbotschaften am Arbeitsplatz oder Terminabsagen beim Arzt wegen einer vermeintlich chinesischen Herkunft. In einigen Fällen kam es sogar zu körperlichen Angriffe auf der Straße.Quelle
Mehr Hinweise auf anti-asiatischen Rassismus
Die Corona-Pandemie habe die bestehende Ablehnung gegenüber als asiatisch wahrgenommenen Menschen neu ans Tageslicht gebracht - so das Ergebnis mehrerer Forscher*innen, die eine nicht repräsentative Bevölkerungsbefragung unter 4.500 Personen zum Thema durchgeführt haben. Ein Ergebnis der Studie: 15,2 Prozent der Befragten machen asiatisch gelesenen Menschen für die Ausbreitung des Coronavirus verantwortlich (Teilgruppe von 803 Befragten). Die Studie wurde im Rahmen des Forschungsprojekts "Soziale Kohäsion in Krisenzeiten – Die Corona-Pandemie und anti-asiatischer Rassismus in Deutschland" durchgeführt.
In dem Projekt wurden zudem 703 Personen mit asiatischem Migrationshintergrund befragt. Diese Betroffenenbefragung macht deutlich: 49 Prozent der Befragten haben während der Corona-Pandemie anti-asiatische Diskriminierung erlebt.
Die meisten Angriffe fanden im öffentlichen Raum statt, zum Beispiel auf der Straße (62 Prozent) oder im Öffentlichen Nahverkehr (61 Prozent). Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, stellen aber die Sicht von hunderten Betroffenen dar.Quelle
Mehr Zahlen und Fakten zum Thema in unserem Factsheet (2020)
Anfeindungen auch in anderen Ländern
Auch international gab es mehr anti-asiatischen Rassismus und Hate Speech im Zuge der Corona-Pandemie. So berichten Menschenrechtsorganisationen von Anfeindungen und Übergriffen in den USA, Italien, Frankreich, Russland und weiteren Ländern. In den USA sammelte das Projekt "Stop AAPI Hate" bis Ende September 2021 rund 10.400 Hinweise auf rassistische Übergriffe gegen Menschen, denen eine Herkunft aus Asien oder den Pazifikstaaten zugeschrieben wurde.Quelle
> Unter dem Hashtag "#IchbinkeinVirus" berichten Betroffene über persönliche Erfahrungen mit diskriminierenden Übergriffen und Rassismus in Medienberichten.
> Auf der Website "Stop AAPI Hate" werden Zahlen und Berichte zu Übergriffen in den USA gesammelt und ausgewertet.
Antisemitismus in der Corona-Pandemie
Antisemitische Verschwörungserzählungen wurden während der Corona-Pandemie vermehrt verbreitet. Das legen der Verfassungsschutz in seinem "Lagebild Antisemitismus" sowie zivilgesellschaftliche Organisationen in Berichten dar. Die Erzählungen werden insbesondere online verbreitet – etwa über den Messenger-Dienst Telegram – sowie auf Demonstrationen, in Redebeiträgen, auf Kleidungsstücken und Plakaten.
Unter anderem wurden antisemitische Verschwörungserzählungen darüber verbreitet, welchen Ursprung das Virus hat, warum die Präventionsmaßnahmen eingeführt wurden und welchen Zweck die Impfungen haben – darunter zum Beispiel die Vorstellung von einer geheimen Elite, die die Welt kontrollieren wolle. Zum anderen werden Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust verglichen und die Verfolgung von Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten dadurch verharmlost. Besonders häufig ist die Verwendung des David-Sterns mit der Aufschrift "Ungeimpft" oder "Covid19" oder die Aufschrift auf Plakaten "Impfen macht frei".Quelle
Vorfälle und Straftaten
Die Zahl der erfassten antisemitischen Straftaten nahm während der Corona-Pandemie deutlich zu und stieg zwischen 2019 und 2021 von rund 2.000 auf 3.000 jährlich. Fachleuten zufolge sind ein Grund für den Anstieg die Straftaten, die aus den Corona-Demos heraus begangen wurden.Quelle
Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) erfassten im ersten Jahr der Pandemie zwischen März 2020 und März 2021 561 antisemitische Vorfälle – darunter auch nicht strafbare – mit Bezug zur Pandemie. Rund 58 Prozent wurden auf Demonstrationen begangen, rund 23 Prozent online. 21 Prozent hatten einen rechtsextremen Hintergrund, 45 Prozent einen verschwörungsideologischen.Quelle
Strafbarkeit von "Ungeimpft"-Sternen
Wie die Holocaust-Vergleiche durch sogenannte Ungeimpft-Sterne zu beurteilen sind, ist nicht eindeutig: Nicht jede antisemitische Äußerung, nicht jede Holocaust-Verharmlosung ist strafbar. Zwar kommt die Strafbarkeit wegen Volksverhetzung in Betracht. Allerdings kommt es dabei immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Zudem muss laut § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch die Holocaustverharmlosung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören.
Eine MEDIENDIENST-Recherche aus dem Februar 2022 zeigt: Fast alle Bundesländer gehen bei den Sternen mittlerweile von einem Anfangsverdacht der Volksverhetzung aus, in einigen wurden die Sterne verboten. Die Gerichte urteilen bisher unterschiedlich. Für die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden der Bundesländer gibt es daher einen großen Handlungsspielraum: Sie können die "Ungeimpft"-Sterne für grundsätzlich strafbar erachten – oder weitere Gerichtsurteile abwarten. Wenn sie sie für strafbar erachten, bedeutet das: Sie können die Sterne auf Demos verbieten, Ermittlungsverfahren einleiten und die Personen vor Gericht anklagen.
>> Zur Recherche
Auf Anfrage des MEDIENDIENSTES betonen die Justiz- und Innenministerien der Bundesländer, dass letztlich die Gerichte über die jeweiligen Fälle urteilen müssen. Es zeigt sich allerdings eine klare Tendenz hin zur Kriminalisierung der "Ungeimpft"-Sterne. In fast allen Bundesländern wird mittlerweile mindestens von einem Anfangsverdacht der Holocaust-Verharmlosung nach § 130 Abs. 3 StGB ausgegangen.
Wichtige Quellen
RIAS (2020): Antisemitismus im Kontext der Covid-19-Pandemie, LINK
Berlin Ramer Institue (2021): Antisemitische Verschwörungsmythen in Zeiten der Coronapandemie am Beispiel QANON, LINK
Bundesamt für Verfassungsschutz (2022): Lagebild Antisemitismus 2020/21, LINK,
Amadeu Antonio Stiftung (2021): Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus 2021, LINK,
Amadeu Antonio Stiftung: FAQ Verschwörungsideologie, LINK
Ansteckungsgefahr in Flüchtlingsunterkünften
Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete gelten als besonders gefährliche Infektionsherde. Allein in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer gab es seit Beginn der Pandemie laut einer Recherche des MEDIENDIENSTES insgesamt rund 15.000 Fälle (Stand: Dezember 2021). Die Fallzahl hat sich im Durchschnitt verdreifacht seit Anfang des Jahres. Das liegt unter anderem daran, dass viel mehr Menschen in den Aufnahmeeinrichtungen der Bundesländer leben. Zum Zeitpunkt der Erhebung waren in den Einrichtungen rund 70.000 Personen untergebracht. Anfang 2021 waren es ungefähr die Hälfte.Quelle
Deutlich mehr Geflüchtete leben in Gemeinschaftsunterkünften, die in der Zuständigkeit der Kommunen sind. Daten zu den Infektionen in diesen "Anschlussunterbringungen" werden nur in wenigen Bundesländern erhoben.
Bereits früh haben Forscher*innen darauf hingewiesen, dass die Lebensbedingungen in Sammelunterkünften zu einem erhöhten Infektionsrisiko führen würden: Die Bewohner*innen leben dicht nebeneinander. Abstand zu halten ist fast unmöglich.
Impfungen
In allen Bundesländern gibt es seit Mai 2021 Impfprogramme für Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschasftunterkünfte für Geflüchtete. Genaue Daten über Impfquoten in den Wohneinrichtungen gibt es nicht, denn viele Geflüchtete verbringen nur wenige Wochen in den Aufnahmeeinrichtungen – zumeist direkt nach der Einreise.
Einige Bundesländer haben dennoch Daten zur Impfquote in Aufnahmeeinrichtungen erhoben. Diese variieren sehr stark von Land zu Land:
- In Nordrhein Westfalen wird geschätzt, dass rund 18 Prozent der Bewohner*innen geimpft sind,
- in Niedersachsen rund 25 Prozent,
- in Sachsen-Anhalt sind das ungefähr die Hälfte (Erstimpfung),
- In Brandenburg variiert die Impfquote in Aufnahmeeinrichtungen zwischen 50 und 70 Prozent,
- in Schleswig-Holstein 80 Prozent
- und in Hessen sogar mehr als 85 Prozent (Stand: Dezember 2021).
Maßnahmen der Bundesländer
Die Bundesländer haben bereits zu Anfang der Pandemie Maßnahmen ergriffen, um das Infektionsrisiko in Unterkünften zu reduzieren. Dazu zählen:
- Alle Neuankommenden werden auf Covid-19 getestet und müssen in Quarantäne,
- Gemeinschaftsräume bleiben geschlossen,
- Es werden strengere Verhaltens- und Hygiene-Regeln eingeführt.
Die Bundesländer haben ihre Maßnahmen im Laufe des vergangenen Jahres erweitert: Sie haben etwa gesonderte Quarantäne-Räume für Infizierte eingerichtet, wie die Umfrage des MEDIENDIENSTES zeigt. Damit haben die Bundesländer die Empfehlungen des "Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten" umgesetzt.
Zwischen September 2020 und Januar 2021 sind auch fast alle Bundesländer dazu übergegangen, Geflüchtete verstärkt außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen unterzubringen. Das Motto lautet: "Entzerrung der Belegung". In Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen werden beispielsweise Ferienanlagen, Reha-Kliniken, Hotels und Jugendherbergen für die Unterbringung von Geflüchteten genutzt.Quelle
Eine Studie des Kompetenznetz Public Health zeigt: In Aufnahme- und Sammelunterkünften verbreitet sich das Corona-Virus bei einem Ausbruch schneller, wenn die Bewohner*innen gemeinsam unter Quarantäne gestellt werden. Die Ansteckungsgefahr sei geringer, wenn infizierte Personen isoliert und Kontaktpersonen in Quarantäne geschickt werde. Die Forscher*innen empfehlen, dass Verantwortliche weniger Menschen auf engem Raum sowie möglichst in Einzelzimmern unterbringen sollten.Quelle
Folgen der Pandemie für ausländische Arbeitskräfte
Bei Migrant*innen und Geflüchteten stieg die Arbeitslosigkeit während der "ersten Welle" der Corona-Pandemie besonders stark. Mit Erholung der Wirtschaft fanden viele bis zum Ende des Jahres 2020 wieder Arbeit. Inzwischen geht der positive Trend der Vorjahre am Arbeitsmarkt zum Beispiel für Geflüchtete weiter. Quelle
Weniger ausländische Arbeitskräfte reisten ein
Weniger Menschen konnten 2020 zum Arbeiten nach Deutschland kommen. Die Zahl der Langzeit-Visa für Menschen aus Nicht-EU-Staaten ging um 41 Prozent zurück ("Nationale Visa", 2020: 191.000). Davon waren 61.000 Visa für eine Beschäftigung, das waren etwa halb so viel wie im Vorjahr.Quelle
Gründe für den Rückgang waren die Reisebeschränkungen sowie der eingeschränkte Betrieb der Botschaften im Ausland wegen der Corona-Pandemie. Das wirkte sich je nach Herkunftsland unterschiedlich aus: Aus Nicht-EU-Staaten ("Drittstaaten") kamen deutlich weniger Menschen, aus EU-Staaten war der Rückgang nicht ganz so deutlich.Quelle
Mehr Infos zu erteilten Visa finden sich in unserer >> Visa-Rubrik.
Mehr Infos zu den Zahlen des Ausländerzentralregisters in unserer Rubrik >> Bevölkerung.
Zugewanderte stärker betroffen
Studienergebnisse legen nahe, dass Migrant*innen und Geflüchtete besonders von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen sind. Ein Grund: Sie arbeiten häufiger in Branchen, in denen sich die Krise besonders stark auswirkt, zum Beispiel in Hotels oder in der Gastronomie. Außerdem befinden sich Migrant*innen zu einer höheren Wahrscheinlichkeit in befristeten Arbeitsverhältnissen. Mehr Informationen haben wir in einem Artikel zusammengestellt.Quellen
Folgen der Pandemie für Bildungschancen von Kindern mit Einwanderungsgeschichte
Eine OECD-Studie zeigt: Schulschließungen und Home-Schooling in der Corona-Pandemie wirken sich negativ auf die Teilhabechancen von Kindern mit Einwanderungsgeschichte aus. Denn sie kommen häufiger aus sozial benachteiligten Familien. Sie haben etwa zu Hause seltener einen ruhigen Platz zum Lernen oder Zugang zu Computern. Eltern von Kindern mit Einwanderungsgeschichte können diese weniger bei den Hausaufgaben unterstützen - etwa wegen Sprachbarrieren oder fehlender Zeit. Dies kann langfristige Auswirkungen für ihre Bildungschancen haben.Quelle
Rund 96 Prozent der Kinder über 15 Jahren ohne Migrationshintergrund in Deutschland haben laut OECD Zugang zu einem Computer oder zum Internet. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund sind es mit 91 Prozent etwas weniger. Aktuelle Daten des Instituts für deutsche Wirtschaft zeigen, dass Kinder aus Haushalten mit Migrationshintergrund seltener über ein eigenes Zimmer und Zugang zu Lernmaterialien verfügen.Quelle
Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung kommt zum Ergebnis, dass sich Lockdowns, Distanzunterricht und fehlende soziale Kontakte stark auf die psychische Gesundheit und den Lernerfolg junger Menschen mit Migrationshintergrund ausgewirkt haben: Der Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund mit depressiven Symptomen hat sich im ersten Lockdown der Pandemie verdreifacht (von 11 auf 33 Prozent). Im Vergleich: Bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund ist der Wert von 9 auf 21 Prozent gestiegen.Quelle
Eine repräsentative Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung 2022 zeigt: Die Lesekompetenz von Viertklässler*innen ist 2021 deutlich geringer als noch 2016. Grund dafür seien die Einschränkungen während der Corona-Pandemie. Den Schüler*innen fehlt den Autor*innen zufolge etwa ein halbes Lernjahr. Die Lesekompetenz von Kindern mit Migrationshintergrund hat dabei stärker gelitten, der Unterschied zwischen Kindern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte hat sich deutlich vergrößert - das Ergebnis sei aber statistisch nicht signifikant.Quelle
Zu etwas anderen Ergebnissen kommt der IQB-Bildungstrend 2021: Danach erreichen Viertklässler*innen aus zugewanderten Familien im Durchschnitt signifikant schlechtere Werte in den Fächern Deutsch und Mathe als Kinder ohne Migrationsgeschichte. Im Kompetenzbereich Zuhören fallen die Differenzen am größten aus, im Bereich Orthografie am geringsten. Am stärksten ausgeprägt sind die Unterschiede bei Kindern aus der ersten Generation, die nicht in Deutschland geboren, sondern mit ihren Eltern zugewandert sind. Aber auch bei Kindern aus der zweiten Generation waren in den Jahren zwischen 2016 und 2021 deutliche Kompetenzeinbußen zu beobachten. Die Forscher*innen vermuten, dass die ungünstigeren Lernbedingungen während der Corona-Pandemie dazu beigetragen haben, aber auch der geringere sozioökonomische Status von Familien.Quelle
In ihrem Abschlussbericht "Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona" 2023 weist die Bundesregierung darauf hin, dass Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund stärker von gesundheitlichen Erkrankungen betroffen sind und häufiger "psychische Auffälligkeiten" aufweisen als Kinder aus Familien ohne Migrationshintergrund. Dies könne sich auf Bildungschancen sowie den Bildungserfolg der betroffenen Kinder auswirken. Der Effekt verstärke sich, wenn Faktoren wie ein niedriger Bildungsstand und ein schlechter Gesundheitszustand der Eltern sowie beengte Wohnverhältnisse hinzu kämen.Quelle
Die Situation von geflüchteten Kindern
Geflüchtete Kinder sind noch stärker von den Schulschließungen betroffen, da sie seltener ein ruhiges Lernumfeld und Zugang zu Computern haben. Eine Studie des Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) zeigt: 2018 hat nur etwa ein Drittel der geflüchteten Kinder im Alter von 11 bis 17 Jahren in Privatwohnungen ein eigenes Zimmer, in Sammelunterkünften sind es nur 25 Prozent. 70 Prozent der geflüchteten Kinder in Privatwohnungen verfügen über einen eigenen Schreibtisch, in Sammelunterkünften sind es nur knapp ein Drittel. Nur 56 Prozent der Kinder in Sammelunterkünften haben Internetzugang und nur 40 Prozent Zugang zu einem Computer. Falls sie einen Computer haben, müssen sie ihn zum Beispiel mit ihren Geschwistern oder Eltern teilen.Quelle
Welche mehrsprachigen Informationsangebote gibt es zu Corona?
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung stellt alle fremdsprachigen Informationen der Bundesregierung zu Corona zusammen, darunter Beschlüsse der Bundesregierung und der Bundesländer, Reiseinformationen und Informationen zur Schutzimpfung. Ergänzend steht ein Flyer in 22 Sprachen zur Verfügung.
Die Bundesregierung stellt Informationsvideos zu Impfungen bereit. Mediziner*innen beantworten darin in einer Minute Fragen etwa zu Impfreaktionen und verschiedenen Impfstoffen, untertitelt in Englisch, Türkisch und Arabisch.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat eine mehrsprachige Aufklärungskampagne mit grundlegenden Informationen zur Impfung gegen Covid-19 gestartet. In insgesamt 16 Videos sprechen Ärzt*innen über Impfreaktionen, Nebenwirkungen und widerlegen besonders verbreitete Mythen, die rund um die Impfung kursieren. Die Kampagne läuft in sozialen Medien unter dem Hashtag #weexplainforeveryone.
Informationen zur Einreise aus Risikogebieten nach Deutschland gibt das Bundesgesundheitsministerium in neunzehn Sprachen heraus.
Beim Handbook Germany gibt es Informationen zum Virus und zum Krankheitsverlauf in sechs Sprachen. Zudem informiert die Seite über Arbeitsrecht, unter anderem über Kurzarbeit und Home Office sowie über staatliche Hilfen. Die Informationen werden unter anderem vom Robert-Koch-Institut und dem Bundesarbeitsministerium übernommen und laufend aktualisiert.
Ähnliche Informationen stellt der Verein "Ethno-Medizinisches Zentrum" in 36 Sprachen bereit. Der Fokus liegt auf praktischen Hinweisen: Was tun, wenn man zu einer infizierten Person Kontakt hatte? Wie soll man sich in Quarantäne verhalten? Wie kann man sich am besten schützen?
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat Tipps zur Hygiene und Empfehlungen für die häusliche Quarantäne in zwölf Sprachen zusammengestellt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund informiert Arbeiter*innen in sieben Sprachen über ihre Rechte, etwa wenn sie gekündigt werden. Auch eine Hotline ist für Arbeitnehmer*innen aus EU-Staaten auf mehreren Sprachen erreichbar.
Auch beim Berufsverband Österreichischer PsychologInnen gibt es Hinweise, wie man gut durch häusliche Isolation und Quarantäne kommt. Praktischen Tipps in achtzehn Sprachen sollen in der belastenden Situation helfen.
De Johanniter Unfallhilfe stellt Informationen zur Corona-Impfung in fünfzehn Sprachen bereit.
Viele Flüchtlingsräte stellen Informationen für Geflüchtete bereit, etwa zur Lage in den jeweiligen Bundesländern und zur Auswirkung der Pandemie auf das Asylverfahren. Der Berliner Flüchtlingsrat hat zum Beispiel eine Übersicht erstellt, wie die Behörden, die am Asylverfahren beteiligt sind, erreichbar sind und welche Änderungen im Verfahren zu erwarten sind. Auch das BAMF informiert auf mehreren Sprachen darüber, wie sich die Pandemie unter anderem auf die Bearbeitung von Asylverfahren auswirkt.
Das Projekt „Corona stoppen“ der Deutschlandstiftung Integration informiert auf Türkisch, Arabisch und Farsi/Dari, über aktuelle Maßnahmen gegen Corona. Die Informationen gibt es über den türkischsprachigen Radiosender Metropol FM und das Nachrichtenportal „Amal, Berlin!“.
Das Berliner Landesamt für Flüchtlinge bietet in einem Podcast in dreizehn Sprachen Informationen zum Infektionsschutz in Gemeinschaftsunterkünften an. Außerdem stellt das Amt ein Aufklärungsvideo mit Informationen zu Impfungen gegen Covid-19 in fünfzehn Sprachen bereit.
News Zum Thema: Corona-Pandemie
Corona Gezielte Impfkampagnen können viel bewirken
Die Impfquote bei Menschen mit Migrationshintergrund ist niedriger als bei denjenigen ohne Migrationshintergrund. Viele Ungeimpfte ließen sich aber noch überzeugen. Das zeigt eine neue Studie des Robert Koch-Instituts.
Strukturelle Diskriminierung Ausländische Menschen sterben häufiger an Corona
Eingewanderte und "rassifizierte" Menschen waren in vielen Ländern stark von der Covid-19-Pandemie betroffen. Auch in Deutschland und in der Schweiz scheint ihr Risiko höher zu sein, wie ein Team von Forscher*innen in einer neuen Studie feststellt.
Forschungsstand Warum Covid-19 Minderheiten härter trifft
Erkranken Menschen mit Migrationshintergrund besonders häufig an Covid-19? Neuere Forschungsergebnisse lassen das vermuten, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Aleksandra Lewicki in einer Expertise für den MEDIENDIENST. Die Gründe dafür liegen aber nicht in vermeintlichen kulturellen Eigenheiten.