MEDIENDIENST: Herr Neuendorf, ein Ausbilder, der an der Berliner Polizeiakademie lehrt, hat mit einer Audio-Botschaft für Wirbel gesorgt. In einer Voicemail, die zuerst nur intern die Runde machte, warf der anonyme Gastdozent den Polizeischülern mit Migrationshintergrund Gewalt, Respektlosigkeit und mangelnde Eignung für den Beruf vor. Wie bewerten Sie den Fall, der für politische Debatten sorgt?
Thomas Neuendorf: Für problematisches Verhalten ist immer das einzelne Individuum verantwortlich zu machen, ganz egal, ob er oder sie nun einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Und: Wer sich nicht benimmt, hat bei der Polizei nichts zu suchen. Aber das hängt ja nicht von der Herkunft ab. Ich bin deshalb auch über die Medienberichterstattung über diesen Fall teilweise entsetzt. Das kommt einem vor wie eine Migrantenhatz. Da werden Methoden angewandt, wie wir sie von Pegida kennen. Das ist fatal.
Gibt es die beklagten Probleme denn etwa nicht?
Doch, wir haben zum Teil Probleme mit der Disziplin. Aber das hängt mit der Bildung, dem Elternhaus und der Sozialisation der betreffenden Beamten zusammen, nicht mit der Herkunft. Was hier passiert ist aber: Da werden Behauptungen in den Raum gestellt und ungeprüft weiterverbreitet, und durch die ständige Wiederholung werden sie für wahr gehalten. Wenn man dann nachfragt – wer hat’s erlebt, wer war dabei? –, dann wird das häufig relativiert und stellt sich in der Realität weit weniger dramatisch dar, als es ursprünglich den Anschein hatte.
THOMAS NEUENDORF ist stellvertretender Leiter der Pressestelle der Berliner Polizei. Zu "hartnäckigen Falschmeldungen zu den Einstellungsvoraussetzungen und der Situation an der Polizeiakademie Berlin" hat seine Behörde im November 2017 eine sieben Punkte umfassende Erklärung verfasst.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) führt die Probleme an der Polizeiakademie darauf zurück, dass die Zahl der Neuanstellungen in Berlin stark zugenommen habe – von 500 auf 1.200 pro Jahr. Zugleich fehle es an Betreuung, die Qualität der Ausbildung habe gelitten. Was ist da dran?
In der Tat wurde die Polizeiakademie völlig umstrukturiert und in ihrer Ausbildungsform umgebaut. Da wurde quasi am offenen Herzen operiert. Parallel dazu gab es einen starken Anstieg der Schülerzahl. Wir müssen offensichtlich viele Ausbilder noch mehr unterstützen, damit sie mit diesen Veränderungen besser zurecht kommen.
Ein anderer anonymer Polizeibeamter hat jetzt in einem offenen Brief davor gewarnt, die Berliner Polizei könnte durch Angehörige krimineller arabischer Familienclans unterwandert werden. Was hat es mit diesem Vorwurf auf sich?
Es scheint bei manchen Kolleginnen und Kollegen eine latente Angst zu geben, dass kriminelle Mitglieder arabischer Clans bei der Polizei an Einfluss gewinnen könnten. Da werden vereinzelte Beispiele, die man zu Recht kritisieren kann, als Beleg für einen allgemeinen Trend genommen. Der RBB hat über den Fall eines Polizeischülers berichtet, der bei einer Polizeikontrolle durch Kollegen in einer Kneipe angetroffen wurde, die dem Rockermilieu zugerechnet wird, und der sich nicht angemessen verhalten hat. Es ist klar, dass so etwas kritisch gesehen wird und Fragen aufwirft. So etwas wird auch von uns genau beobachtet. Aber er hat keine Straftat begangen. Jetzt wird überprüft, inwieweit diese Vorwürfe einer charakterlichen Eignung widersprechen. Auch da müssen wir uns vor pauschalen Verdächtigungen hüten.
Berlin liegt, was den Anteil von Polizeibeamten mit Migrationshintergrund unter den Neuanstellungen betrifft, im bundesweiten Vergleich weit vorne. Unter den neu angestellten Polizisten kommt fast jeder Dritte aus einer Familie mit Einwanderungsgeschichte. Ist der Konflikt an der Polizeiakademie symptomatisch dafür, dass sich mancher altgediente Polizist mit der wachsenden Vielfalt schwer tut?
Das ist anzunehmen. Es gibt immer welche, die sich gegen Veränderungen und Umbrüche wehren. Und dann handelt es sich ja oft um gefühlte Wahrheiten. Diejenigen, die so etwas äußern, sind ja davon überzeugt, dass es so ist, wie sie es empfinden. Bei solchen gefühlten Wahrheiten ist es manchmal schwer, mit Fakten dagegen zu halten.
Kritiker fürchten, wegen der „interkulturellen Öffnung“ würden die Anforderungen im Auswahlverfahren heruntergeschraubt und zum Beispiel auf Deutschkenntnisse weniger wert gelegt. Ist das richtig?
Das stimmt so nicht. Unsere Einstellungskriterien haben sich seit 2010 nicht geändert. Und wer diese Kriterien nicht erfüllt, der wird nicht genommen. Natürlich macht es einen Unterschied, ob man die besten 500 oder die besten 1.200 Bewerber eines Jahrganges nimmt. Aber noch mal: alle Bewerber, die angenommen wurden, haben die Einstellungskriterien erfüllt. Man kann durch Kenntnisse einer Fremdsprache zwar zusätzliche Punkte erlangen. Aber die gleichen mangelnde Deutschkenntnisse nicht aus. Bei unseren Tests an der Akademie kann man auch nicht schummeln. Und wer beim Schummeln erwischt wird, fliegt raus.
Was hat ein Ausbilder zu befürchten, der sich dazu versteigt, Polizeischüler aus Einwandererfamilien als „Feind in den eigenen Reihen“ zu bezeichnen?
Das ist eine unmögliche Pauschalisierung, die strikt zurückgewiesen werden muss. Mit diesem Polizeibeamten muss gesprochen werden, wie er zu solchen Aussagen kommt. Was diese Voicemail betrifft, so muss man aber auch dazu sagen, dass sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Wir gestehen jedem zu, in seinem privaten Umfeld auch mal seinen Frust abzuladen. Und für uns als Polizei macht es mehr Sinn aufzuklären, wie es zu solchen Aussagen kommt, als mit Disziplinarmaßnahmen dagegen vorzugehen. Sonst bestärkt man noch diejenigen, die behaupten, jede Kritik werde unterdrückt und die Probleme würden totgeschwiegen.
Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt nannte die Unterwanderungs-Vorwürfe gegen die Polizei „haltlos, diffamierend und strafrechtlich relevant.“ Wird es Konsequenzen geben?
Strafrechtlich relevant ist der offene Brief. Da wurde namentlich Frau Margarete Koppers, Berlins Polizei-Vizepräsidentin, unterstellt, sie habe es ermöglicht, dass kriminelle Clans bei der Berliner Polizei Fuß fassen. Das bewegt sich im Bereich der üblen Nachrede und da kann man schon prüfen, ob es sich im juristischen Sinne um eine ehrabschneidende Behauptung handelt.
Welche Lehren ziehen Sie aus diesen Vorkommnissen?
Wir haben vor, einen internen Blog einzurichten, eine Art Gesprächsportal, um darüber mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. Bei 24.000 Mitarbeitern kann die Behördenleitung nicht mit jedem einzelnen sprechen. Aber unsere Erkenntnis aus diesem Vorfall lautet: Es muss mehr kommuniziert werden, um Probleme anzusprechen, aber auch, um offensichtlich vorhandene Vorbehalte auszuräumen. Dazu gehört auch, klar zu machen, dass Verfehlungen eines einzelnen Individuums nicht einer ganzen Gruppe angelastet werden dürfen.
Interview: Daniel Bax
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