In den vergangenen zehn Jahren gab es zahlreiche Reformen des deutschen Migrationsrechts, die sich das Ziel gesetzt haben, Rückführungen von Personen mit „schlechter Bleibeperspektive“ zu erleichtern. Dabei wurde wiederholt das Instrument der Abschiebungshaft (in seinen verschiedenen Erscheinungsformen) gestärkt und erweitert. So wurden zum Beispiel die Haftgründe (insbesondere) der Sicherungshaft und der Dublin-Haft umfassend neu geregelt und ausgeweitet – und die zulässigen Inhaftierungszeiträume zunehmend ausgeweitet.
Mit der nationalen Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sind weitere Änderungen zu erwarten: Vorgesehen sind etwa weitere Haftarten, wie eine Inhaftierung während des Asylverfahrens, eine Haft im Rückkehrgrenzverfahren und eine Haft während einer Überprüfung an den Außengrenzen.
Wie sich die bisherigen Reformen auf den Vollzug von Abschiebungen ausgewirkt haben, hat die Rechtswissenschaftlerin Hannah Franz in einer Expertise für den Mediendienst evaluiert.
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Aus der Analyse der aktuellen Daten geht hervor:
- Die Zahl der Inhaftnahmen in größeren Abschiebehafteinrichtungen ist zwischen 2021 und 2024 um rund 63 Prozent gestiegen.
- Es lässt sich kein direktes Verhältnis zwischen der Zahl der Inhaftnahmen und der Zahl der Abschiebungen feststellen.
- Nicht alle Personen, die in Haft genommen werden, werden auch abgeschoben: Abschiebungen aus der Haft stehen in einem Verhältnis von 4 zu 5 (80 Prozent) zu den Inhaftnahmen.
- Es lässt sich nicht ermitteln, wie viele Straftäter abgeschoben wurden. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Personen, die aus der Strafhaft abgeschoben wurden, gesunken.
Zahl der Inhaftnahmen steigt
Bei den Zahlen der Inhaftnahmen in Abschiebehafteinrichtungen haben sich in den vergangenen Jahren erhebliche Schwankungen ergeben. So wurden im Jahr 2008 noch rund 8.800 Personen in Haft genommen. Die Inhaftierungen gingen dann bis 2014 auf etwa 2.100 Personen im Jahr zurück. Zwischen 2015 und 2019 stieg die Zahl der Inhaftnahmen wieder.
Sie sank dann aufgrund der Präventionsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie 2020. Seitdem steigt sie wieder. Nimmt man nur die Zahl der Inhaftnahmen in größeren Hafteinrichtungen (zu den Problemen bei der Datenerhebung s. unten), stiegen sie zwischen 2021 und 2024 um rund 63 Prozent von rund 3.800 auf etwa 6.200.
Zur Methodik
Eine bundesweite Datenerhebung zur Zahl der Inhaftnahmen in Abschiebehafteinrichtungen (Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam) ist sehr komplex. Das liegt unter anderem daran, dass nicht alle Bundesländer eigene Hafteinrichtungen haben – und dass diese in der Zuständigkeit von verschiedenen Ministerien liegen. Zehn Bundesländer (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein) verfügen über eigene Abschiebehafteinrichtungen mit einer Gesamtkapazität von rund 800 Plätzen (Stand: Juni 2025). Hier werden auch Personen in Haft genommen, die aus Ländern kommen, die keine eigenen Hafteinrichtungen haben. Für unsere Analyse im Zeitraum 2021-2025 haben wir uns deshalb auf die Daten zu Inhaftnahmen in größeren Hafteinrichtungen fokussiert (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein).
Führen mehr Inhaftierungen zu mehr Abschiebungen?
Nach den vorhandenen Daten kann man kein proportionales Verhältnis zwischen der Zahl der Inhaftierungen und der Zahl der Abschiebungen feststellen. Tendenziell sind in den vergangenen fünf Jahren sowohl die Zahl der Inhaftnahmen als auch die der Abschiebungen gestiegen.
Ein Grund ist, dass die Zahl der Asylbewerber*innen zwischen 2021 und 2023 deutlich gestiegen ist: Asylbewerber*innen, deren Antrag abgelehnt wurde, werden zur Ausreise aufgefordert – und eventuell abgeschoben. Wie bereits nach dem „Flüchtlingsjahr 2015“ ist auch zwischen 2022 und 2024 die Zahl der Abschiebungen von Drittstaatsangehörigen weitestgehend parallel zur Zahl der Ausreiseaufforderungen gestiegen.
Die Abschiebungshaft dient den erklärten Gesetzeszwecken zufolge dazu, die Durchführung der Abschiebung vorzubereiten bzw. zu sichern. Wenn mehr Personen abgeschoben werden sollen, werden also auch mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Personen in Haft genommen. Ein proportionaler Einfluss der Inhaftnahmen auf die Zahl der Abschiebungen lässt sich aber nicht feststellen, wie eine Analyse der Daten der einzelnen Bundesländer zeigt.
In Bayern stieg etwa die Zahl der Inhaftnahmen zwischen 2021 und 2022 um 74 Prozent, die Zahl der Abschiebungen um 7 Prozent. In Hamburg ging im selben Zeitraum die Zahl der Abschiebungen zurück – trotz mehr Inhaftnahmen. Die Zahl der Abschiebungen kann auch bei rückgängigen Inhaftnahmen steigen: So etwa in Nordrhein-Westfalen zwischen 2021 und 2022 (ca. 16 Prozent weniger Inhaftnahmen, sieben Prozent mehr Abschiebungen) – und in Sachsen zwischen 2023 und 2024 (25 Prozent weniger Inhaftnahmen, 11 Prozent mehr Abschiebungen).

Auch im historischen Rückblick lässt sich kein direktes Verhältnis zwischen der Zahl der Inhaftnahmen und der der Abschiebungen feststellen. So stieg etwa im Jahr 2019 die Zahl der Inhaftierungen bundesweit um 25 Prozent, während die Zahl der Abschiebungen um 6,4 Prozent zurückging.
Werden alle inhaftierten Personen auch abgeschoben?
Nicht alle Inhaftierungen führen auch zu einer Abschiebung. Das Verhältnis zwischen Inhaftierungen und Abschiebungen aus der Haft beziehungsweise Entlassungen ohne Abschiebung variiert je nach Jahr und Bundesland. In Bayern (dem Land mit dem höchsten Anteil an Haftplätzen) wurden zum Beispiel 2024 rund 400 Personen ohne Abschiebung aus der Haft entlassen – das sind knapp 20 Prozent der Inhaftnahmen für das Jahr.
Ein ähnliches Verhältnis lässt sich auch für Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen feststellen. Im Schnitt kann man sagen, dass für den untersuchten Zeitraum (2021-2025) in fast allen Bundesländern mit Hafteinrichtungen Abschiebungen aus der Haft in einem Verhältnis von 4 zu 5 (80 Prozent) zu den Inhaftnahmen stehen.
Abschiebungen aus der Strafhaft
Im Zusammenhang mit Abschiebung wird oft die Frage thematisiert, ist, wie viele Abschiebungen Straftäter*innen betreffen. Daten zur Zahl der Personen, die etwa aufgrund einer Straftat ausgewiesen und im Anschluss abgeschoben wurden, werden nicht erhoben. Es gibt allerdings Daten zu Personen, die direkt aus der Strafhaft abgeschoben wurden.
Ausländische Straftäter*innen können vor Ende ihrer Haftstrafe direkt aus der Strafhaft abgeschoben werden – sogenannte Teilverbüßung. In allen Bundesländern, die Angaben zu Abschiebungen aus der Strafhaft gemacht haben, blieb die Zahl der Abschiebungen aus der Strafhaft im Zeitraum 2021-2024 weitestgehend konstant.
Der Anteil der Abschiebungen aus der Strafhaft im Verhältnis zur Gesamtzahl der Abschiebungen ging jedoch mit der Zunahme der Abschiebungen tendenziell zurück:
- In Bayern sank der Anteil von etwa 22 Prozent auf 13 Prozent,
- in Bremen: 80 Prozent auf 21 Prozent,
- in Niedersachsen: 30 auf 12 Prozent,
- in Rheinland-Pfalz: 12 auf 7 Prozent,
- im Saarland: 39 auf 9 Prozent.
Daten-Recherche und Analyse: Johanna Koppmann, Merle Kohring
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