Die gegenwärtige Flüchtlingskrise stellt das Integrationssystem und die Gesellschaft vor bedeutende Herausforderungen – in Deutschland und in anderen OECD-Ländern. Zudem lassen die Erfahrungen aus der Vergangenheit und die desolate Lage in den Hauptherkunftsländern darauf schließen, dass sich viele Flüchtlinge dauerhaft in den Aufnahmeländern niederlassen werden.
Es ist unbestritten, dass die Flüchtlinge und ihre Kinder bei der Integration in den Arbeitsmarkt, in das Bildungssystem und in die Gesellschaft Unterstützung brauchen. Das darf jedoch nicht auf Kosten anderer benachteiligter Gruppen geschehen – einschließlich bereits ansässiger Migranten und deren Kinder. Um diesen Balanceakt erfolgreich zu bewältigen, muss die Unterstützung bei Unterbringung, psychologischer Betreuung, Sprachunterricht, Bildung und Gesundheitsversorgung konsequent ausgebaut werden. Gleichzeitig müssen Kompromisse zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren gefunden werden.
Nicht jeder, der einen Asylantrag stellt, ist auch tatsächlich schutzbedürftig. Deshalb sollten nur diejenigen, auf die letzteres zutrifft, als "Flüchtlinge" bezeichnet werden. Auch Integrationsfragen betreffen im Wesentlichen nur Asylsuchende, denen ein Schutzstatus zuerkannt wird und die somit eine längere Bleibeperspektive haben. Angesichts knapper Mittel – nicht nur in finanzieller Hinsicht – und einer hohen Zahl Schutzsuchender sollte man hier eine klare Trennlinie ziehen.
Ist ein vorübergehender Schutz sinnvoll?
Gleichzeitig ist es wichtig, dass Konflikte klar benannt werden. Nicht nur in Deutschland wird kontrovers diskutiert, wie sinnvoll es ist, nur vorübergehenden Schutz zu erteilen, bei dem die Lage im Herkunftsland nach einem gewissen Zeitraum erneut geprüft wird. Dass manche es bevorzugen, statt dauerhaftem nur vorübergehenden Schutz zu gewähren, mag mit der Hoffnung verknüpft sein, dass dadurch die Rückkehr erleichtert und die Zahl der Asylsuchenden verringert werden könnte.
Dr. THOMAS LIEBIG ist Leitender Ökonom in der Abteilung für Internationale Migration der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris. Er ist seit 2004 bei der OECD tätig, für die er zahlreiche Studien zur vergleichenden Migrations- und Integrationspolitik verfasst hat.
Allerdings könnte ein vorübergehender Schutzstatus bei den Betroffenen den Eindruck erwecken, dass man nicht damit rechnet, dass sie länger bleiben. Das könnte einerseits ihre Motivation schwächen, sich in die Gesellschaft des Aufnahmelandes zu integrieren. Andererseits könnte es potenzielle Arbeitgeber davon abhalten, sie einzustellen und auszubilden. Eine ähnliche Problemlage gibt es beim Familiennachzug. Im Falle von Kindern kommt hier noch hinzu, dass sich ein verspäteter Familiennachzug negativ auf die schulischen Leistungen auswirkt.
Neben diesen schwierigen Abwägungsfragen gibt es eine Reihe von weitgehend unbestrittenen Leitlinien, die zu beachten sind, damit die Integration von Flüchtlingen gelingt. Seitens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben wir über viele Jahre in Länderstudien die Integration von Flüchtlingen untersucht.
Was kann Deutschland von anderen Ländern lernen?
Die Erkenntnisse haben wir in dem Leitfaden „Erfolgreiche Integration: Flüchtlinge und sonstige Schutzbedürftige" zusammengestellt. Demnach ist wichtig:
- Der Integrationsprozess für Flüchtlinge sollte möglichst umgehend beginnen – denn das ist auch für den längerfristigen Integrationserfolg entscheidend. Dafür sollten Asylentscheidungen schnell gefällt werden.
- Wo das nicht möglich ist, sollte für Gruppen mit hoher Bleibeperspektive bereits im Asylverfahren Zugang zu Integrationsangeboten (wie etwa Sprachkursen) und unter bestimmten Voraussetzungen auch zum Arbeitsmarkt gewährt werden.
- Die schulischen und beruflichen Qualifikationen der Antragsteller sollten dafür bereits im Asylverfahren ermittelt werden.
- Wird über den Asylantrag positiv entschieden, müssen die Integrationsmaßnahmen dann auf die Kompetenzen der Flüchtlinge zugeschnitten sein und darauf aufbauen.
Unsere Forschungen zeigen, dass vor allem die Arbeitsmarktintegration von niedrig qualifizierten Flüchtlingen oft ein langer Weg ist. In vielen OECD-Ländern wird das berücksichtigt, indem spezielle Fördermaßnahmen und längere Integrationsprogramme für Niedrigqualifizierte durchgeführt werden. Die Erfahrungen der skandinavischen Länder zeigen, dass diese Gruppe schrittweise an den Arbeitsmarkt herangeführt werden muss, um eine dauerhafte Integration zu gewährleisten.
Die Krise als Chance verstehen
Das ist mit erheblichen Kosten verbunden, die jedoch als Investition verstanden werden müssen. Eine Investition, die sich langfristig auszahlt – nicht zuletzt für die Kinder der Flüchtlinge. Denn auch deren Integrationserfolg hängt maßgeblich davon ab, ob ihre Eltern die Grundkenntnisse haben, die für eine langfristige Integration in Arbeit und Gesellschaft notwendig sind.
In vielen dieser Bereiche hat Deutschland in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht – auch wenn im Detail noch vieles verbessert werden kann und muss. Die Krise wird durchaus als Chance verstanden und genutzt, um die Integrationsmaßnahmen weiter zu verbessern. Allerdings sind viele Angebote (noch) nicht flächendeckend verfügbar. Hier gilt es, sie weiterhin konsequent auszubauen – nicht zuletzt um zu vermeiden, dass das bessere Integrationsangebot in den Städten ein zusätzlicher Anreiz ist, dorthin zu wandern.
Insgesamt aber wird deutlich: Durch ein stark verbessertes Integrationssystem und die günstige Lage auf dem Arbeitsmarkt ist Deutschland wesentlich besser aufgestellt für eine nachhaltige Integration als bei der letzten großen Migrationswelle Anfang der 1990er Jahre.
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