Seit 2015 können Menschen aus Westbalkanstaaten einfacher zum Arbeiten nach Deutschland kommen. Die Regelung galt als "Blaupause", wie man die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten ("Drittstaaten") vereinfachen und fair gestalten kann.Quelle
Ziel war es, die Zahl der Asylanträge zu reduzieren und gleichzeitig die reguläre Arbeitskräfte-Zuwanderung wegen des Arbeitskräftemangels zu erleichtern. Das wurde weitgehend erreicht: Viele Personen fanden einen Job, Asylanträge gingen zurück. Zum 1. Juni 2024 wurde die Westbalkanregelung entfristet und das jährliche Kontingent verdoppelt. Nun soll dieses wieder zurückgefahren werden.
Was ist die Westbalkanregelung?
Die Westbalkanregelung (§) wurde Ende 2015 eingeführt mit dem Ziel, potentiellen Arbeitskräften aus sechs Westbalkanstaaten einen vereinfachten Weg für eine Beschäftigung in Deutschland zu eröffnen – und gleichzeitig die Zahl der Asylanträge aus diesen Ländern zu reduzieren.Quelle
Die Westbalkanregelung gilt grundsätzlich für jede Art der Beschäftigung und erlaubt Personen mit einer verbindlichen Job-Zusage in Deutschland aus diesen Staaten einzureisen – ohne Anerkennung eines Berufsabschlusses oder ähnliche Voraussetzungen, die sonst gelten.Quelle
Voraussetzung ist nur eine Vorabzustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Bis 2024 galt hier ein Limit von 25.000 Zustimmungen pro Jahr. Seit Juni 2024 gilt ein Limit von 50.000 Zustimmungen pro Jahr. Deshalb gibt es monatliche Quoten für die einzelnen Länder, die nicht überschritten werden dürfen. Laut dem Koalitionsvertrag von Union und SPD soll ihre Zahl wieder auf 25.000 reduziert werden.Quelle
Die Westbalkanregelung trat 2015 in Kraft und lief 2020 aus. Seit Anfang 2021 gilt eine Nachfolgeregelung. Die war ursprünglich bis Ende 2023 befristet. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2023 wurde die Westbalkanregelung entfristet.Quelle
Welche Änderungen plant die neue Bundesregierung?
Laut dem Koalitionsvertrag will die nächste Bundesregierung die "reguläre Migration" im Rahmen der Westbalkanregelung auf 25.000 Personen pro Jahr begrenzen. Seit Mitte 2024 galt ein Limit von 50.000 Personen, das nun wieder reduziert wird. Weitere Details sind noch nicht bekannt. Unsere Recherche zeigt: Auch bislang kamen nie mehr als 25.000 Personen pro Jahr über diese Regelung ins Land.Quelle
Wie viele Personen kamen über die Westbalkanregelung?
Das Interesse an der Westbalkanregelung war groß: Nach einem Corona-Rückgang kamen in den letzten Jahren im Schnitt etwa 15.000 Personen jährlich mit einem Aufenthaltstitel im Rahmen der Westbalkanregelung nach Deutschland. Insgesamt leben rund 76.000 Personen in Deutschland, die in den letzten Jahren über die Westbalkanregelung eingereist sind. Gleichzeitig gab es kaum noch Asylanträge.Quelle
Das Interesse an der Westbalkanregelung war sogar noch deutlich größer: Im Rahmen der Einreise benötigen potentielle Arbeitskräfte zuerst eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit und danach ein Visum zur Einreise. Von Beginn an gab es deutlich mehr Anträge und Zustimmungen als Einreisen. Im Jahr 2023 waren es rund 60.000 Zustimmungen. Letztlich eingereist sind aber nur 16.000 Personen.Quelle
Probleme bei der Visa-Vergabe
Ein Grund könnte in der Verwaltung liegen. Die Westbalkanregelung führte laut Bundesregierung zu einem "massiven Anstieg" der Visumanträge. Die deutschen Botschaften in den Ländern konnten viele Anträge nicht zeitnah bearbeiten, so dass es zu langen Wartezeiten kam. In diesen Wartezeiten können sich Personen umentscheiden, so dass sie – trotz Job-Zusage und Visum – nicht nach Deutschland einreisen.Quelle
Wer ist gekommen?
Über die Westbalkanregelung kommen vor allem Personen nach Deutschland, die auf Fachkräfte-Niveau arbeiten – das zeigen Auswertungen, unter anderem aus den Jahren 2020 und aktuell von 2025. Sie arbeiten häufig in Engpassberufen mit großem Arbeitskräftemangel, besonders häufig im Baugewerbe (97.000 Beschäftigte, häufig Männer) oder im Gesundheitswesen und der Pflege (46.000 Beschäftigte, häufig Frauen). Die starke Abwanderung von Pflegekräften führte sogar dazu, dass Serbien 2021 aus einem Anwerbeabkommen für Pflegekräfte mit Deutschland ausstieg.Quellen
Westbalkanregelung nicht Hauptweg
Die Westbalkanregelung ist nicht der einzige Weg nach Deutschland: Aktuell leben rund 76.000 Personen in Deutschland, die in den letzten Jahren über die Westbalkanregelung eingereist sind. Zum Vergleich: Die Beschäftigtenzahl aus diesen Ländern stieg seit 2019 um rund 166.000. Insgesamt arbeiteten im September 2024 rund 517.600 Beschäftigte aus Westbalkanstaaten in Deutschland.Quelle
Die meisten arbeiten als Fachkräfte
Am Arbeitsmarkt sind Arbeitskräfte aus Westbalkanstaaten ähnlich erfolgreich wie EU-Ausländer und Deutsche: Aktuell arbeiten etwa 61 Prozent aller Beschäftigten aus Westbalkanstaaten auf Fachkräfte-Niveau. Ihre Beschäftigungsquote liegt bei 59 Prozent und damit leicht höher als bei EU-Ausländern (58 Prozent) und etwas unter der von allen Beschäftigten (69 Prozent).Quelle
Die Zahl der Beschäftigten aus den Ländern ist in den letzten Jahren stark gestiegen. In einigen Fällen gab es Hinweise, dass der vereinbarte Lohn nicht gezahlt wurde oder die Arbeitsbedingungen andere waren als vereinbart.Quellen
Was sagen Forscher*innen dazu?
Dr. Wido Geis-Thöne, Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
"In der Gesamtsicht dürfte der überwiegende Teil der in den letzten Jahren aus den Westbalkanländern nach Deutschland gekommenen Personen deutlich mehr Steuern und Abgaben leisten als staatliche Leistungen beziehen. Damit gibt es nach derzeitigem Stand auch keinen Grund für Maßnahmen zur Begrenzung [...]"
Dr. Holger Kolb, Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR)
"Die Westbalkanregelung, die vor zehn Jahren noch als innovativ gelten konnte, ist mittlerweile als überholt anzusehen. Das seit 2015 mehrfach reformierte Erwerbsmigrationsrecht bietet inzwischen zahlreiche Möglichkeiten, die sich auch an Personen richten, deren Qualifikation nicht als gleichwertig mit deutschen Standards anerkannt ist. Eine solche Option ist vor allem der neu geschaffene § 6 BeschV, der berufsgruppen- und herkunftsländerübergreifend die Möglichkeit schafft, auch ohne anerkannte ausländische Qualifikation nach Deutschland zum Arbeiten zu kommen. Dafür braucht man nur einen im Herkunftsland anerkannten Hochschul- oder Berufsabschluss sowie einschlägige Berufserfahrung von mindestens zwei Jahren.
Die Verringerung des Kontingents für die Westbalkanregelung ist deshalb richtig. Nicht, weil Einwanderung aus diesen Ländern reduziert werden sollte. Aber weil man bei der Arbeitsmigration nicht fragen sollte: Woher kommst du? Es sollte stattdessen um die Fähigkeiten einer Person gehen. Die Westbalkanregelung steht im Widerspruch zu diesem Grundgedanken."
Quellen
- Kurzbericht 33/2025 des IW Köln (2025): Zuwanderung aus dem Westbalkan, Link
- Bericht zur Erwerbsmigration nach Deutschland (2022) des IAB für den Wirtschaftsrat, Link
- Debattenbeitrag: Die Westbalkanregelung als Blaupause? (2022), Link
- Forschungsbericht für das BMAS: Evaluation der Westbalkanregelung (2020), Link
- Kurzbericht 16/2020 des IAB (2020): Erwerbsmigration über die Westbalkanregelung, Link
- Bundesregierung (2019): Bundestags-Drucksache 19/8229, Seite 8, Link
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