Nach der Sommerpause wird sich der Bundestag mit einem neuen Gesetz beschäftigen, das das Ziel hat, mehr Arbeitnehmer*innen aus dem Ausland anzuwerben. Menschen, die einen Arbeitsvertrag in Deutschland vorweisen, sollen einen Aufenthaltstitel bekommen – auch wenn ihre Qualifikationen noch nicht anerkannt sind. Es würde sich um die fünfte derartige Reform in zehn Jahren handeln.
Das Gesetzesvorhaben geht in die richtige Richtung – wird alleine aber nicht reichen, um dem zunehmenden Arbeitskräftemangel entgegenzutreten, sagen Expert*innen bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES. "Deutschland steht vor zwei Krisen", sagt Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). "Zum einen gehen immer mehr Arbeitskräfte in Rente – und der Nachwuchs reicht nicht aus. Zum anderen ist die Zahl der Menschen, die aus anderen EU-Ländern zum Arbeiten nach Deutschland kommen, stark zurückgegangen."
In vielen EU-Ländern, aus denen früher viele Arbeitsmigrant*innen nach Deutschland kamen (wie etwa Polen), werden inzwischen Arbeitskräfte auch händeringend gesucht, so Brücker. Deutschland müsse sich deshalb aktiv darum kümmern, Arbeitnehmer*innen aus Nicht-EU-Staaten (sogenannten Drittstaaten) anzuwerben.
Viele Fehlentscheidungen bei den Behörden
Die größten Probleme sehen die Expert*innen bei der Verwaltung. "Viele Ausländer*innen, die bereits Arbeitsverträge haben, haben große Schwierigkeiten, Termine bei den Botschaften zu bekommen, um ein Visum zu beantragen. Auch die Prüfverfahren können Monate dauern", sagt Rechtsanwälktin Bettina Offer. Sie berät deutsche und ausländische Unternehmen, die Fachkräfte aus dem Ausland für den deutschen Arbeitsmarkt anwerben möchten.
"Durch die vielen Gesetze der vergangenen Jahre wissen Sachbearbeiter*innen in den deutschen Ausländerbehörden in vielen Fällen nicht, ob eine Antragsteller*innen einen Aufenthaltstitel bekommen kann oder nicht", sagt Offer. Das führe zu Fehlentscheidungen. Die Folgen davon würden sowohl Arbeitnehmer*innen als auch Arbeitgeber*innen tragen: "Es sollte deshalb Sanktionen gegen Behörden geben, die zu langsam oder zu restriktiv entscheiden"
Ein "Arbeitskräfte-Einwanderungsgesetz"
Auch Markus Winter, Geschäftsführer des Industriedienstleisters IDS und Mitglied der Unternehmer-Initiative "Bleiberecht durch Arbeit" sieht die größten Probleme bei der Verwaltung. "Es gab viele Versuche, Arbeitskräfte durch staatlich geleitete Programme wie etwa das Portal 'Make it in Germany' anzuwerben. Diese haben nur bedingt Wirkung gezeigt", sagt Winter. Viel besser wäre es, wenn sich private Initiativen um die Rekrutierung von Arbeitskräften im Ausland kümmen würden – diese seien flexibler und könnten sich schneller an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes anpassen.
Im neuen Gesetzentwurf gibt es gute Ansätze, sagt Winter. Das Problem: Bis jetzt habe sich die deutsche Arbeitsmigration-Politik dennoch fast ausschließlich darauf konzentriert, Fachkräfte anzuwerben. "Wir brauchen aber auch sehr dringend Menschen, die in systemrelevanten Berufen wie auf dem Bau oder in der Logistik arbeiten", so Winter: "Wir brauchen deshalb kein Fachkräfte- sondern eher ein Arbeitskräfte-Einwanderungsgesetz."
Im Fokus: die wichtigsten Reformen zum Thema Arbeitsmigration
Seit Mitte der 2000er Jahre hat Deutschland angefangen, den eigenen Arbeitsmarkt für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten (sogenannte Drittstaaten) zu öffnen. Seitdem gab es zahlreiche Gesetzesreformen, die die Zuwanderung von Arbeitskräften erleichtern sollten. Die Zahl der einwandernden Fachkräfte blieb jedoch überschaubar. In einem Interview 2021 schätzte der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, dass Deutschland 400.000 Zuwanderer pro Jahr (Netto) braucht, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen.
Blaue Karte EU
Die Blaue Karte EU ist ein Aufenthaltstitel, der es Hochqualifizierten aus Nicht-EU-Staaten erlaubt, in einem EU-Staat zu arbeiten. Wer einen Job in Aussicht hat, kann so für zunächst vier Jahre nach Deutschland kommen. Im Jahr 2021 erhielten insgesamt fast 25.000 Personen zum ersten Mal eine Blaue Karte EU. Mehr als die Hälfte von ihnen hatte allerdings bereits einen anderen Aufenthaltstitel, etwa weil sie in Deutschland studiert haben. Deutschland ist der EU-Mitgliedstaat, der die meisten Blauen Karten in der EU ausstellt.Rechtsgrundlage
Beschäftigungsverordnung
Die Beschäftigungsverordnung, die im Juli 2013 in Kraft getreten ist, regelt, welche Voraussetzungen Arbeitnehmer*innen aus Drittstaaten erfüllen müssen, um in Deutschland zu arbeiten. Durch die Verordnung sollten hochqualifizierte Fachkräfte, Saisonarbeiter*innen und bereits in Deutschland lebende Ausländer*innen einen erleichterten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen. Fachkräfte benötigen demnach keine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit mehr, um einen Aufenthaltstitel zu erwerben.Rechtsgrundlage
Westbalkanregelung
Seit 2016 können Menschen aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien ein Visum zum Zweck der Erwerbstätigkeit in Deutschland beantragen. Die Bedingung hierfür ist, dass sie ein konkretes Arbeits- oder Ausbildungsplatzangebot aus Deutschland haben, dem die Bundesagentur für Arbeit zustimmt. Ursprünglich war die Regelung nur bis 2020 vorgesehen. Im Oktober 2020 wurde sie bis 2023 mit einem reduzierten Jahreskontingent von 25.000 Personen verlängert. Bis 2020 wurden im Rahmen der Westbalkan-Regelung insgesamt etwa 98.000 Visa erteilt.Rechtsgrundlage
Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Im März 2020 ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes ist, dass Menschen aus Drittstaaten in Zukunft einfacher in Deutschland arbeiten können. Neben Akademiker*innen sollen auch Fachkräfte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung bessere Chancen haben, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Bisher galt das fast ausschließlich für sogenannte Engpassberufe ¬– etwa Berufe im Bauwesen und in der Pflege. Auch entfällt größtenteils die sogenannte Vorrangprüfung – also die Regel, nach der Deutsche und EU-Bürger*innen bei Einstellungen bevorzugt werden sollten. Zudem haben qualifizierte Ausländer*innen jetzt die Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen, um hier einen Arbeitsplatz zu suchen. Es wird aber erwartet, dass sie fortgeschrittene Sprachkenntnisse sowie Abschlüsse haben, die mit den deutschen vergleichbar sind.Rechtsgrundlage
Von Christina Mecke, Fabio Ghelli
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