Eine Recherche des MEDIENDIENST INTEGRATION zeigt: In vielen Bundesländern fehlt es an strukturellen Maßnahmen gegen Rassismus und Antisemitismus bei der Polizei. Unabhängige Polizeibeschwerdestellen gibt es in acht Bundesländern und seit März 2024 auch für Bundespolizei und Bundeskriminalamt. Doch die Forschung zeigt: Die Beschwerdestellen sind kaum bekannt, nur wenige Rassismusbetroffene melden dort ihre Fälle.
Die Recherche "Rassismus und Antisemitismus bei der Polizei: Was tun Bund und Länder?" finden Sie hier im Überblick und hier im Detail für jedes Bundesland.
Wie viel Diversität und Expertise zu Antidiskriminierung braucht es bei den Polizei-Beschwerdestellen? Wie können sie das Vertrauen der Betroffenen erlangen? Und welche strukturellen Probleme bei der Polizei begünstigen Racial Profiling und Diskriminierung? Darüber sprachen Fachleute bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENST INTEGRATION.
Uli Grötsch
seit März 2024 unabhängiger Polizeibeauftragter des Bundes, ehem. Bundestagsabgeordneter
der SPD und Beamter im Polizeidienst
"In meinem Team diskutieren wir die Beschwerden über die Polizei, die uns erreichen, aus allen Perspektiven. Wir haben einen Polizeibeamten im Team, aber genauso wichtig ist die Betroffenenperspektive. Idealerweise brauche ich Mitarbeitende, die aus Communities kommen, die häufig von Diskriminierung betroffen sind - ich hätte gerne eine Schwarze Person im Team, jemanden aus dem arabischen Raum und auch jemanden aus der LGBTQIA-Community. In meinem Stab sind zehn von 18 Stellen besetzt, bisher ist niemand mit Migrationsgeschichte oder einer anderen Hautfarbe dabei. Ich will alles daran setzen."
Hartmut Aden
Professor für Öffentliches Recht, Europarecht, Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
"Wir beobachten in der Ausbildung von Polizist*innen, dass junge Auszubildende wesentlich kritischer geworden sind. Vor 15 Jahren war es noch ein großes Tabu, das Thema Polizei und Rassismus in der Ausbildung überhaupt anzusprechen. Jetzt wollen angehende Polizist*innen darüber Bachelorarbeiten schreiben. Und es gibt zunehmend Polizeiauszubildende, die das Thema aus Rassismus aus eigener Betroffenheit kennen, denn die Polizei ist wesentlich diverser geworden."
Sermin Riedel
seit 2022 unabhängige Polizeibeauftragte für die Freie Hansestadt Bremen
"Meine Aufgabe ist es, strukturelle Probleme bei der Polizei sichtbar zu machen, auch Rassismus. Dafür brauchen wir viele Hinweise von Betroffenen darüber, wie sie Rassismus und Diskriminierung durch die Polizei erleben. Es ist eine Herausforderung, Betroffene dazu zu bewegen, uns von ihren Erlebnissen zu berichten. Menschen, die teilweise auch täglich von Rassismus betroffen sind, fällt es nicht immer leicht, darüber zu sprechen, weil es auch um Verletzungen geht. Aus der Polizei erleben wir immer noch Abwehrreaktionen, wenn es um das Thema Rassismus geht. Hier braucht es ein Bewusstsein, dass nicht nur organisierte Rechtsextremisten rassistisch sind. Auch unbewusste oder unbeabsichtigte Vorurteile von Beamt*innen können dazu führen, dass Polizeihandeln sich rassistisch auswirkt."
Abdou Rahime Diallo
Geschäftsführer und Fachreferent für Antirassismus bei Diaspora Policy Interaction, berät u.a. Bundespolizei und Bundeskriminalamt
"Nicht überall in der Polizei wird anerkannt, dass dort Rassismus wie in anderen Institutionen ein strukturelles Problem ist. Die Frage ist: Was für eine Polizei wollen wir? Wollen wir eine Behörde, bei der Betroffenenmilieus keine Angst mehr davor haben, mit ihr in Kontakt zu sein? Und wie kommen wir da hin? In der Polizei braucht es Mut zur Wahrheit, um Rassismusvorwürfe aufzuklären und kritisch den eigenen strukturellen Rassismus zu reflektieren. Hier können Fachorganisationen von Betroffenen einen großen Beitrag leisten. Gleichzeitig könnte ehrliche Auseinandersetzung mit solchen Vorwürfen das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit verbessern. Hier gibt es noch deutlich Luft nach oben."
Miriam Kruse
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