Die Fotografin Lia Darjes hat 2011 für ihre Diplomarbeit 20 weibliche und männliche Konvertiten porträtiert. Rausgekommen sind 20 sehr unterschiedliche Geschichten. „Einer hat in den 50er Jahren einen Koran im Bus gefunden und fand einfach toll, was er gelesen hat. Eine andere wiederum war vor der Wende aktive Kommunistin und über das Scheitern des Systems, an das sie geglaubt hatte, so verzweifelt, dass sie darüber zum Islam kam. Eine Dritte fand im Islam ökologische Antworten auf Fragen zur Ernährung, dem Leben mit den Jahreszeiten und zur Mutterschaft“, sagt Darjes.
Mit ihrer Arbeit, die im Online-Magazin für Fotojournalismus "emerge" veröffentlicht wurde, wollte sie ein „Umschiffen der gängigen Sehgewohnheiten schaffen“. Es sei für den Betrachter heutzutage schon eine Herausforderung, ein Zeitungsfoto, das eine Muslimin mit Kopftuch zeigt, nicht als Symbol für Unterdrückung zu sehen, sondern möglicherweise als Bild einer starken Frau.
Darjes musste viele Gespräche führen, bis sie endlich Protagonisten für ihr Projekt fand – zu negativ waren deren Erfahrungen mit Journalisten. Den Umgang mit Konversionen in der deutschen Gesellschaft bezeichnet die Fotografin als „subtil tendenziös“. Medienstudien wie „The Media Visibility of Converts to Islam in Germany“ bestätigen diesen Eindruck. Bei der Analyse der Leitmedien Frankfurter Allgemeine und Süddeutsche Zeitung fanden die Medienwissenschaftlerin Keren-Miriam Tamam und die Politologin Milena Uhlmann heraus, dass seit dem 11. September Konvertierte vor allem unter dem Stichwort "Terror" behandelt und als religiöse Extremisten porträtiert wurden.
Zahl der Konvertiten unbekannt
Wer hierzulande zum Islam übertritt, wurde bisher nicht umfassend untersucht. Wie viele Konvertiten es in Deutschland gibt, ist somit unbekannt. In den Medien und öffentlichen Debatten wird ihre Zahl mal auf 10.000, mal auf 100.000 geschätzt. Die Konfession Islam wird hierzulande statistisch nicht erfasst. Hinzu kommt, dass man sehr unbürokratisch Moslem werden kann. „Es gibt bei uns keine Taufe, man kann also morgens aufwachen, das Glaubensgebet sprechen und ist Moslem“, sagt Bekir Alboğa vom Vorstand der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), einem der größten muslimischen Dachverbände in Deutschland. „Manche Menschen kommen gar nicht zu den Religionsgemeinschaften, um sich das schriftlich bestätigen zu lassen“, so der Islamwissenschaftler. Das mache es für die Gemeinden quasi unmöglich, eine Statistik zu führen.
Dennoch ist in der Presse immer wieder von einem dramatischen Anstieg der Konversionen die Rede. So berichtete etwa der Spiegel über eine Vervierfachung der Übertritte innerhalb eines Jahres – dem Blatt zufolge ein Phänomen, "das in Zeiten von Terrorangst, Zwangsehen-Debatten und Ehrenmord-Prozessen erstaunen mag". Dabei stützen sich die Journalisten auf die Schätzungen des Islam-Archivs in Soest. Deren Leiter Salim Abdullah spricht von einer regelrechten Konvertitenwelle nach 9/11: „Damals sind in nur einem Jahr rund 4.000 Deutsche zum Islam konvertiert, zuvor waren das pro Jahr nur etwa 300“, sagt er auch gegenüber dem Mediendienst. Man stütze die Schätzungen auf die Befragung der muslimischen Gemeinden und Verbände, so Abdullah. Verbansvertreter Alboğa hält dagegen: „Wir können die Zahlen vom Islam-Archiv nicht so ohne Weiteres bestätigen.“ Auch der Zentralrat der Muslime (ZMD) kann keinen signifikanten Anstieg an Konversionen feststellen.
Lückenhafte Forschung zu Motiven
Gabriele Boos-Niazy ist katholisch-traditionell aufgewachsen. Heute trägt sie ein Kopftuch. Dazwischen lag eine jahrelange Suche nach einem Glauben, der sie erfüllt, erklärt sie. „Ich habe schon als Kind nicht verstanden, wie ein Priester nach einer Beichte sagen konnte: Deine Sünden sind Dir vergeben, denn: woher konnte er das wissen?" Den Islam habe sie auf Anhieb verstanden. „Vor allem aber hat mich fasziniert, dass alle Menschen gleich sind – unabhängig von Nation, sozialem Status oder Geschlecht.“ Mittlerweile engagiert sich die Sozialwissenschaftlerin im Vorstand des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen, der fast zur Hälfte aus Konvertitinnen besteht.
Insgesamt ist die Forschung über die Beweggründe der Konvertiten noch sehr beschränkt. Aus den wenigen vorliegenden Studien ist lediglich erkennbar: Mit Radikalisierung hat es nur in den seltensten Fällen zu tun, wenn Menschen Muslime werden wollen. Selbst Verfassungsschützer, die regelmäßig auf die Bedrohung durch extremistische Konvertiten hinweisen, stellen fest, dass der überwiegende Teil der Übertritte „nicht islamistisch motiviert ist“.
Auch die komplett verschleierte Frau ist eher die Ausnahme als die Regel. „Konvertiten sind genauso vielfältig und heterogen wie die restliche muslimische Community“, sagt die Politikwissenschaftlerin Nilden Vardar. Für ihre Promotion führt sie seit 2011 Gespräche mit Konvertierten – das Thema: „Politische Selbstverständnisse und davon ausgehendes Engagement muslimischer Konvertierter.“ Ob Akademiker oder spirituell interessierter Teenager – es sei ein vielfältiger Ausschnitt der Gesamtbevölkerung. „Gemein ist den meisten, dass sie auch vorher bereits gläubige Menschen waren“, so Vardar.
Zu den wichtigsten Studien gehört das Buch „Konversion zum Islam in Deutschland und den USA“ der Soziologin Monika Wohlrab-Sahr von 1999. Ihr Fazit: Der Glaubensübertritt dient vor allem der Kompensation und Überbrückung persönlicher Krisen oder Verunsicherungen im Leben.
Nilden Vardar indes hat bei den Gesprächen mit Konvertierten von ganz unterschiedlichen Motiven erfahren: „Konversion ist ein komplexer Prozess, bei dem viele Faktoren wie Persönlichkeit, struktureller, geografischer und sozialer Kontext eine Rolle spielen können.“ Einschneidende Erlebnisse könnten von Bedeutung sein, seien aber nicht der ausschlaggebende Punkt für den Wechsel in eine neue Religion.
Mehr Zulauf gerade durch Ausgrenzung?
Einen positiven Effekt könnte die negative Berichterstattung über Islam und Konvertiten aber doch haben: „Manche Leute solidarisieren sich mit gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppen“, so die Politologin Vardar. Und man setze sich im Zuge dessen mit dem Islam auseinander. Nach dem Motto: Eine Religion, die vom Mainstream verteufelt wird, könnte ja auch cool sein. Auch die Konvertitin Iman Andrea Reimann glaubt, dass sich die gesellschaftliche Debatte über eine wachsende Islamisierung in gewisser Weise positiv auswirkt: „Das führt natürlich dazu, dass mehr Leute zu uns in die Gemeinde kommen.“ Doch nicht jeder werde gleich Moslem.
Reimann ist seit 1994 Muslima und heute Vorstandsvorsitzende im Deutschsprachigen Muslimkreis Berlin (DMK). Mit den Klischees über Muslime und Konvertiten wird sie immer wieder konfrontiert. Bei vielen Gesprächen im Alltag schwinge das Thema Terrorismus mit. Und auch das Klischee der Frau, die nur ihrem muslimischen Partner zuliebe konvertiert, kennt sie gut. Bei Iman Andrea Reimann war die Liebe tatsächlich ein erster Berührungspunkt, den Freund aber hat sie schon lange nicht mehr. Der Islam sei dagegen weiterhin ihr täglicher Begleiter.
Von Lisa Wandt
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