Über Sinti und Roma berichten
Seit Jahrhunderten leben Sinti und Roma in Deutschland und anderen europäischen Ländern - heute sind es etwa 60.000 deutsche Sinti und 10.000 Roma. Mit 10 bis 12 Millionen Angehörigen sind sie die größte Minderheit Europas.Quelle
Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage (2024) zeigt, wie tief antiziganistische Vorurteile in der Gesellschaft verankert sind: In Deutschland gaben rund 45 Prozent der Befragten an, sie hätten ein Problem damit, wenn sich Angehörige von Sinti und Roma in ihrer Umgebung aufhielten. 49 Prozent der Befragten glauben, dass Sinti und Roma zu Kriminalität neigen.Quelle
Wie können Journalisten sachlich über Sinti und Roma berichten? Das neue Mediendienst-HowTo gibt Tipps und nützliche Quellen.
RECHERCHE & ARTIKEL
Bildauswahl: Die gängigen Bilderdatenbanken enthalten Bildmaterial, das stark stereotypisierend ist. Die Sinti und Roma Organisation Amaro Foro e.V. berät Redaktionen und bietet Workshops zur diskriminierungssensiblen Bilder-Auswahl an. Perspektivisch ist eine spezielle Bilderdatenbank geplant.
Zugehörigkeit: Ob jemand Roma ist oder nicht, können nur die betroffenen Personen selbst definieren. Auch die gängige Bezeichnung „Sinti und Roma" ist nicht immer korrekt: Sie wird vor allem im deutschen Kontext verwendet, trifft aber oft nicht zu – etwa wenn von geflüchteten Roma aus der Ukraine die Rede ist. In solchen Fällen ist es meist präziser, von „Roma" oder „Rom*nja" zu sprechen, da Sinti meist deutsche Staatsbürger*innen sind und seit Generationen in Deutschland leben. Fragen Sie die betroffenen Personen, wie sie bezeichnet werden möchten.Quelle
Begriffe: Der Begriff „Antiziganismus" ist umstritten, da er eine rassistische Fremdbezeichnung beinhaltet. Einige Roma-Selbstorganisationen bevorzugen deshalb Alternativen wie „Antiromaismus", „Gadje-Rassismus" oder „Rassismus gegen Sinti und Roma", während andere den Begriff als Projektion der Mehrheitsgesellschaft beibehalten. Journalist*innen sollten sich kritisch mit der Begriffsverwendung auseinandersetzen, Kontexte berücksichtigen und – wenn möglich – die Präferenzen der betroffenen Gruppen einholen.Quelle
Stigmatisierung: In der Berichterstattung werden Roma meist in Zusammenhang mit Kriminalität genannt. Oft wird bereits ihre Migration kriminalisiert, wobei auf historische, antiziganistische Stereotype zurückgegriffen wird. Dies hat konkrete Folgen: Roma sehen sich häufig Diskriminierung ausgesetzt, etwa durch Vorurteile bei der Arbeitssuche. Die Berichterstattung sollte diese Stereotype nicht reproduzieren, sondern sie kritisch hinterfragen.Quelle
Schuldzuweisungen: Sinti und Roma kommen häufig in Berichten über Problem- oder Schrottimmobilien vor. Oft wird ihnen die Verantwortung für den Zustand der Wohnungen zugeschrieben. Dabei fehlt eine Einordnung, warum Roma (oder dafür gehaltene Menschen) in prekären Verhältnissen leben müssen. Oft hängt ihre Situation mit Diskriminierungen zusammen, die sie auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt, im Bildungsbereich und bei Behörden erleben.Quelle
Sinti und Roma als Protagonisten: In Berichten über Nachbarschaftskonflikte werden oft nur nicht-Roma als Anwohner befragt. Medien sollten Sinti und Roma selbst zu Wort kommen lassen, um ihre Perspektiven und Erfahrungen direkt einzubringen und so eine differenzierte Darstellung zu gewährleisten.
Expertise einholen: Sinti und Roma sind Personengruppen, die eine lange Diskriminierungsgeschichte haben und über die oft klischeebehaftet berichtet wird. Um in der Recherche nicht Klischees nachzuhängen, leitet die Roma-Selbstorganisation Amaro Foro e.V. ein Modellprojekt, das Medienschaffende zu Antiziganismus sensibilisieren will. Weitere Kontakte zu Organisationen finden Sie hier oder weiter unten im Artikel. Der Mediendienst Integration vermittelt innerhalb von einer halben Stunde Kontakte zu Beratungsstellen und Experten.
KONTAKTE ZU SINTI UND ROMA ORGANISATIONEN
In Deutschland und Europa gibt es eine Vielzahl von Roma-Vertretungen und Forschungsinstituten, die für die Berichterstattung kontaktiert werden können:
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Der Zentralrat ist die wohl bekannteste Selbstorganisation und oftmals erste Anlaufstelle für Medien. Seine Mitglieder verstehen sich als politische Interessenvertretung der seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Sinti und der seit dem 19. Jahrhundert hier lebenden Roma, die so gut wie alle deutsche Staatsbürger sind. Für den Kontext von Roma aus Osteuropa ist er deshalb nicht immer der richtige Ansprechpartner. Der Dachverband wurde 1982 mit Sitz in Heidelberg gegründet und vereint elf Landesverbände und regionale Zusammenschlüsse. Der Zentralrat ist Träger des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti*zze und Rom*nja.
Amaro Drom / Amaro Foro e.V. (Berlin)
Amaro Drom ist eine bundesweite Jugend-Selbstorganisation von Roma und Nicht-Roma. Amaro Foro ist ihr Berliner Landesverband. Der Verein bietet unter anderem Beratung an und setzt sich besonders für die Belange rumänischer und bulgarischer Roma ein.
RomnoKher
RomnoKher Mannheim trägt den Namenszusatz „Haus für Kultur, Bildung und Antiziganismusforschung“ und wird vom Landesverband Deutscher Sinti Baden-Württemberg, der Freudenberg Stiftung und der Gesellschaft für Antiziganismusforschung getragen. Das Kulturhaus beherbergt die Hildegard Lagrenne Stiftung. Mittlerweile ist RomnoKher Mannheim Teil einer "Bundesarbeitsgemeinschaft RomnoKher" mit Mitgliedsvereinen in acht Bundesländern.
Hildegard Lagrenne Stiftung
Die Hildegard Lagrenne Stiftung mit Sitz in Mannheim setzt sich für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland ein. Die Stiftung berät Vereine der Roma und Sinti, Einzelpersonen sowie Politik und Medien. Zudem fördert sie mit einem Stipendienprogramm Bildungswege von Menschen mit Romno-Hintergrund.
Gesellschaft für Antiziganismusforschung e.V.
Die Gesellschaft ist eine der wenigen Forschungseinrichtungen speziell zum Thema. Die Wissenschaftler*innen arbeiten zu Antiziganismus in allen gesellschaftlichen Bereichen und stellen ihre Ergebnisse in der Öffentlichkeit zur Diskussion.
Forschungsstelle Antiziganismus
Die Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg beschäftigt sich mit grundlegenden Studien zu Ursachen, Formen und Folgen des Antiziganismus in Europa vom Mittelalter bis in die Gegenwart.
RomaTrial e.V.
RomaTrial ist eine transkulturelle Selbstorganisation von Roma und Nicht-Roma. Der Verein sitzt in Berlin. Schwerpunkte der Arbeit sind die Förderung von außerschulischer Bildungs- und Kulturarbeit. Romatrail hat unter anderem 2017 Deutschlands erstes Roma-Filmfestival AKE DIKHEA? organisiert.
Sinti-Allianz Deutschland (SAD)
Im Gegensatz zu anderen Organisationen vertritt die Allianz den Standpunkt, dass Roma und Sinti keine gemeinsame Minderheit sind. Der Verein ist gegen eine spezielle staatliche Förderung ihrer Sprache und Kultur und lehnt, entgegen der meisten anderen Roma- und Sinti-Organisationen, das "Z-Wort" als Selbstbezeichnung nicht ab.
European Academic Network on Romani Studies
Das englischsprachige Netzwerk vereinigt Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen wie der Politologie, Soziologie, Ethnologie und Geschichtswissenschaft. Das Netzwerk ging 2009 aus einer Initiative des Europarats und der Europäischen Union hervor.
Roma Education Fund (REF)
REF ist eine NGO mit Sitz in der Schweiz, die sich mit Projekten und Strategiepapieren für Roma im Bereich Bildung stark macht. Die Organisation ist mit ihren Angeboten international aktiv, unter anderem in Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Montenegro.
Roma Center Göttingen e.V.
Das Roma Center Göttingen wurde 2006 von Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien gegründet. Sein Fokus liegt auf der Arbeit mit Flüchtlingen aus dieser Region. Bekannt wurde der Verein in einigen Kreisen, weil er die Kampagne "Alle bleiben!" ins Leben gerufen hat, für ein "Bleiberecht für Roma und alle langjährig geduldeten Flüchtlinge in Deutschland".
Verein für Geschichte und Leben der Sinti und Roma in Niedersachsen e.V. (Hannover)
Der Verein macht Öffentlichkeitsarbeit zu Geschichte und Alltag von Sinti und Roma in Niedersachsen. Er arbeitet eng mit dem Niedersächsischen Verband Deutscher Sinti e.V. zusammen.
Rom und Cinti Union e.V. (RCU)
Der Verein fungiert sowohl als erste Anlaufstelle für viele Roma-Einwanderer als auch als Beratungsstelle für deren Nachkommen. Die Mitglieder helfen vorwiegend in sozialen und rechtlichen Belangen, treten aber auch zu Bleiberechtsfragen an die Öffentlichkeit. Die Union wurde 1983 gegründet und hat ihren Sitz in Hamburg. "Cinti" ist übrigens eine der verschiedenen Schreibweisen für Sinti.
European Roma Institute for Arts and Culture (ERIAC)
ERIAC ist eine gemeinsame Initiative des Europarates, der Open Society Foundations und der "Allianz für das European Roma Institute for Arts and Culture". Seit Mitte 2017 setzt sich der Verein in den Bereichen Kunst, Kultur, Geschichte und Medien gegen Antiziganismus und für ein positives Selbstbild von Sinti und Roma ein.
RomArchive
RomArchive ist ein internationales, digitales Archiv für Kunst und Kulturen der Sinti und Roma. Die Organisation archiviert Kulturgüter der Minderheit und kontextualisiert diese mit zeitgeschichtlichen Dokumenten und wissenschaftlichen Positionen.
ternYpe - International Roma Youth Network
Das International Roma Youth Network vereint Roma-Jugendorganisationen aus Albanien, Bulgarien, Deutschland, Ungarn, Italien, Mazedonien, der Slowakei, Spanien und Polen. Das Netzwerk setzt sich für das Gedenken an den Porajmos an den Sinti und Roma im Nationalsozialismus ein und organisiert Zusammenkünfte für Roma in Europa.
European Roma Grassroots Organisations Network (ERGO Network)
Das ERGO Network ist ein Zusammenschluss von 31 NGOs in Europa, das sich für die politische Berücksichtigung alltäglicher Lebensrealitäten der Sinti und Roma, von struktureller Benachteiligung und Antiziganismus auf nationaler und europäischer Ebene einsetzt.
Romea.cz
Romea.cz ist eine englische und tschechische Nachrichtenseite, die Nachrichten mit Roma-Bezug aus Zentraleuropa, vorwiegend in Tschechien und der Slowakei, sammelt.
LINKS
Presserat Richtlinien zum Thema Herkunftsnennung bei Straftaten
• MEDIENDIENST Integration (2023): Sinti und Roma
• MEDIENDIENST Integration (2023): Antiziganismus in Deutschland
• MEDIENDIENST Integration (2021): Antiziganismus in der Berichterstattung vermeiden
• Amaro Foro e.V. (2024): Rom*nja in den Medien. Ein Handbuch für diskriminierungskritischen Journalismus. Berlin.