Dieser Artikel wurde am 27. Juni 2019 aktualisiert.
Die große Koalition hat eine Reihe von Gesetzentwürfen vorgelegt, die Änderungen im Migrations- und Asylrecht beinhalten. Darunter ist das umstrittene "Geordnete-Rückkehr-Gesetz", das weitreichende Verschärfungen bei Abschiebungen vorsieht. Zugleich soll nach jahrelangen Debatten ein Einwanderungsgesetz kommen, das die Zuwanderung von Fachkräften erleichtert.
Die Gesetze sollen noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet werden. Für die meisten Gesetze finden am 7. Juni 2019 die abschließenden Beratungen im Bundestag statt. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben mehrfach kritisiert, dass das Zeitfenster für die Gesetzgebung sehr eng ist. Vor kurzem boykottierten Oppositionsfraktionen im Bundestag eine Anhörung, da diese zu kurzfristig angekündigt worden war.
Dass die Bundesregierung so hastig vorgeht, führt der Migrationsforscher Jochen Oltmer auf die aktuelle innenpolitische Debatte zurück: "Im Koalitionsvertrag steht, dass sich die Flüchtlingssituation von 2015 nicht wiederholen dürfe. Obwohl die Zahl der Schutzsuchenden seitdem zurückgegangen ist, will die große Koalition zeigen, dass sie politisch handlungsfähig ist, Migration steuern kann und mit harter Hand regiert." Ähnliche politische Reaktionen habe es Anfang der 1980er und 1990er Jahre gegeben, so Oltmer. "Es ist ein relativ schlichtes Muster erkennbar: Immer wenn die Zahl der Schutzsuchenden ansteigt und das von einer gesellschaftlichen Debatte begleitet wird, in der sich viele für eine Schließung des Zugangs zum Asyl aussprechen, bringt die Regierung Gesetzesverschärfungen auf den Weg, die die Lebensverhältnisse von Geflüchteten verschlechtern sollen."
Die Gesetze im Überblick
Was genau beinhalten die geplanten Gesetze? Wo gibt es Verschärfungen, wo Erleichterungen? Und was sagen Fachleute zu den Vorhaben? Der MEDIENDIENST hat die wichtigsten Neuerungen zusammengefasst – mit Verweis auf die Originalquellen.
Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Akademikerinnen und Akademiker aus Nicht-EU-Staaten haben schon heute gute Chancen, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Das Gesetz sieht nun auch für beruflich Qualifizierte Erleichterungen vor:
- Menschen mit beruflichen Qualifikationen sollen in Zukunft in Deutschland arbeiten können, wenn sie einen Arbeitsvertrag und eine anerkannte Qualifikation vorweisen können. Das gilt für alle Berufe. Die Begrenzung auf sogenannte Engpassberufe entfällt.
- Menschen mit Berufsausbildung können für sechs Monate zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, wenn sie über deutsche Sprachkenntnisse verfügen.
- Fachkräfte, die in Deutschland arbeiten, sollen schneller einen unbefristeten Aufenthaltstitel erhalten.
- Die sogenannte Vorrangprüfung wird grundsätzlich abgeschafft. Sie kann aber kurzfristig wiedereingeführt werden, sollte sich die Arbeitsmarktlage verschlechtern.Quelle
Kritik: Fachleute bemängeln, dass das Gesetz zu wenig auf die praktischen Hürden bei der Fachkräfteeinwanderung eingeht – und fordern etwa mehr Maßnahmen zur Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen.Quelle
Das Gesetz soll im März 2020 in Kraft treten. Nach Auffassung der Bundesregierung muss der Bundesrat dem Gesetz nicht zustimmen, der Bundesrat hat dem in einer Stellungnahme widersprochen.Quelle
Zum Gesetzentwurf
Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz
Das Gesetz soll Geflüchtete und andere Migrantinnen und Migranten beim Spracherwerb und der Ausbildung unterstützen:
- Asylsuchende, die arbeitssuchend gemeldet sind, sollen nach neun Monaten Aufenthalt in Deutschland an Integrationskursen teilnehmen können – unabhängig von ihrer Bleibeperspektive.
- Geduldete , die arbeitssuchend gemeldet sind, erhalten nach sechs Monaten in der Duldung Zugang zu berufsbezogenen Deutschkursen.
- Während der Sprachkurse können die Teilnehmenden Arbeitslosengeld beziehen. Bisher war das in den meisten Fällen ausgeschlossen.
- EU-Bürgerinnen und -Bürger sowie Geflüchtete sollen bei der Ausbildung und Berufsvorbereitung stärker unterstützt werden.Quelle
Kritik: Verbände kritisieren die Wartezeiten und fordern, die Integrationskurse auch für Geduldete zu öffnen. Zudem bemängeln sie, dass Maßnahmen zur "Ausbildungsförderung" weiterhin an die Bleibeperspektive gekoppelt sind.Quelle
Das Gesetz soll bis 1. August 2019 in Kraft treten. Der Bundesrat muss nicht zustimmen.
Zum Gesetzentwurf
"Geordnete-Rückkehr-Gesetz"
Das "Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" sieht weitreichende Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht vor. Kurz vor der Abstimmung im Bundestag hat sich die Große Koalition auf zusätzliche Restriktionen geeinigt. Unter anderem müssen alle Asylsuchenden künftig bis zum Ende ihres Asylverfahrens in Erstaufnahme-Einrichtungen bleiben – längstens allerdings 18 Monate. Das galt bisher nur für Menschen aus "sicheren Herkunftsstaaten". Abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht ausreichend kooperieren, können sogar länger als 18 Monate in den Einrichtungen bleiben. Auch sollen Ausländerbehörden künftig die Möglichkeit haben, Ausreisepflichtige ohne richterliche Anordnung festzunehmen – etwa wenn sie annehmen, dass die Person untertauchen will. Zudem ist geplant:
LEISTUNGSKÜRZUNGEN
Menschen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits als Flüchtlinge anerkannt wurden, erhalten keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Maximal für zwei Wochen soll es eine "Überbrückungsleistung" geben – allerdings nur einmal innerhalb von zwei Jahren.Quelle
Kritik: Menschenrechtsorganisationen halten diese Reform für verfassungsrechtlich problematisch: Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2012 festgestellt, dass Leistungskürzungen nicht als Druckmittel eingesetzt werden können. Außerdem dürfen Leistungen nicht unter dem sogenannten Existenzminimum liegen.Quelle
"DULDUNG LIGHT"
Geduldete, deren Identität nicht geklärt ist oder denen vorgeworfen wird, bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht ausreichend mitzuwirken, erhalten künftig eine eingeschränkte Duldung („Duldung light“). Das bedeutet: Sie dürfen ihren Wohnort nicht frei wählen, bekommen weniger Sozialleistungen und dürfen nicht arbeiten.Quelle
Kritik: Schon jetzt können Ausländerbehörden gegen Geduldete, die ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen, Leistungskürzungen und Arbeitsverbote verhängen. Neu ist: Die Zeit, in der Menschen diese sogenannte "Duldung light" haben, wird nicht angerechnet, wenn sie etwa eine "Ausbildungsduldung" oder "Beschäftigungsduldung" (s. unten) beantragen wollen. Das würde ihre Integration erschweren, so das "Forum für Menschenrechte". Quelle
ABSCHIEBEHAFT
- Ausreisepflichtige, die einen Botschafts-Termin zur Feststellung ihrer Identität nicht wahrnehmen, können für 14 Tage in Haft genommen werden ("Mitwirkungshaft").Quelle
- Ausreisepflichtige sollen künftig bis zu zehn Tage in "Ausreisegewahrsam" genommen werden können – unabhängig davon, ob eine Fluchtgefahr besteht.Quelle
- Ausreisepflichtige sollen bis 2022 auch in normalen Gefängnissen untergebracht werden können, allerdings getrennt von Strafgefangenen.Quelle
- Sogenannte Gefährder können in Sicherungshaft genommen werden – auch wenn ihre Abschiebung nicht unmittelbar bevorsteht.Quelle
- Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die Informationen über eine geplante Abschiebung weitergeben, machen sich strafbar.Quelle
Kritik: Rechtswissenschaftler betonen, dass die Regelungen verfassungs- und europarechtlich problematisch sind: Sowohl das Grundgesetz als auch die EU-Rückführungsrichtlinie stellten hohe Hürden für die Abschiebungshaft. Elf von 16 Bundesländern haben angekündigt, das Gesetz nicht umzusetzen.Quelle
VERLÄNGERUNG DER WIDERRUFSPRÜFUNG
Drei Jahre nach einem positiven Asylbescheid prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ob der Asyl- oder Flüchtlingsstatus widerrufen wird. Wegen der großen Zahl an Asylbescheiden, die das BAMF in den vergangenen drei Jahren erstellt hat, wird die Dauer dieser Prüfung auf fünf Jahre erhöht.Quelle
Drei Ausschüsse des Bundesrates haben empfohlen, das Gesetz in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zu überweisen. Der Bundesrat entscheidet am 28.6.2019, ob das Gesetz im Vermittlungsausschuss nachverhandelt werden muss.
Zum Gesetzentwurf
Gesetz zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung
Das Gesetz regelt, unter welchen Bedingungen Geduldete, die arbeiten oder eine Ausbildung machen, Chancen auf einen sichereren Aufenthalt haben.
- Bereits heute können Geduldete, die eine Ausbildung machen, eine „Ausbildungsduldung“ erhalten ("3+2-Regelung"). Das Gesetz sieht jetzt bundesweit einheitliche Regeln dafür vor. Demnach haben Ausreisepflichtige nach drei Monaten in der Duldung Aussicht auf eine Ausbildungsduldung.
- Neu ist die sogenannte "Beschäftigungsduldung". Sie gilt für Ausreisepflichtige, die seit zwölf Monaten geduldet sind, 18 Monate mindestens 35 Stunden pro Woche sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben, ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können und "hinreichend" Deutsch sprechen. Zudem müssen sie vor dem 1. August 2018 nach Deutschland eingereist sein.
- Menschen, die ein Arbeitsverbot wegen mangelnder Kooperation bei der Identitätsfeststellung haben, haben keinen Zugang zu diesen Maßnahmen.Quelle
Kritik: Fachleute begrüßen zwar, dass die neue Regelung mehr Klarheit für Geduldete und Arbeitgeber schafft. Sie kritisieren aber, dass die Hürden für eine "Beschäftigungsduldung" zu hoch sind. Zudem hänge der Zugang nach wie vor stark vom Ermessen der Ausländerbehörde ab. Insgesamt brächten die Neuerungen keine Rechtssicherheit für die Betroffenen.Quelle
Der Bundesrat muss dem Gesetz nicht zustimmen. Das Gesetz soll voraussichtlich Anfang 2020 in Kraft treten.
Zum Gesetzentwurf
Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Die Leistungen für Asylsuchende wurden zuletzt 2015 erhöht. Mit dem Gesetz sollen die Bedarfssätze an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst werden. Zudem sind Verbesserungen für Asylsuchende und Geduldete geplant, die eine Ausbildung oder ein Studium anfangen. Das Gesetz sieht jedoch auch Kürzungen vor – etwa für alleinstehende Erwachsene, die in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen. Zudem sollen bestimmte Leistungen "zwingend" als Sachleistung erbracht werden.Quelle
Kritik: Flüchtlingsorganisationen nennen das Gesetz ein "Nullsummenspiel": Die Leistungssätze werden zwar erhöht, durch die Kürzungen bleibe der Gesamtbetrag jedoch für viele unverändert. Zudem führe die Gewährung von Sachleistungen in Gemeinschaftsunterkünften zu einer Unterversorgung der Betroffenen.Quelle
Der Bundesrat muss dem Gesetz zustimmen.
Zum Gesetzentwurf
Entfristung des Integrationsgesetzes
Seit 2016 gilt für anerkannte Flüchtlinge die sogenannte Wohnsitzauflage. Demnach dürfen anerkannte Flüchtlinge drei Jahre lang ihren Wohnort nicht frei wählen. Eigentlich sollte die Wohnsitzauflage im August 2019 auslaufen. Mit dem Gesetz soll die Regelung jedoch dauerhaft eingeführt werden. Je nach Bundesland gilt die Wohnsitzauflage für das gesamte Bundesland oder eine bestimmte Kommune.Quelle
Kritik: Laut Fachleuten ist es völkerrechtlich problematisch, die Freizügigkeit von Geflüchteten einzuschränken. Zudem sei es mit der Wohnsitzauflage für Geflüchtete schwerer, Arbeit zu finden.Quelle
Der Bundesrat muss dem Gesetz nicht zustimmen.
Zum Gesetzentwurf
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Menschen mit Doppelpass sollen die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren können, wenn sie sich im Ausland an Kampfhandlungen einer Terrormiliz wie dem "Islamischen Staat" beteiligen. Sie dürfen dadurch aber nicht staatenlos werden. Zudem sieht das Gesetz vor, dass eine Einbürgerung unter anderem von einer "Einordnung in die Deutschen Lebensverhältnisse" abhängen soll. Die Frist zur Rücknahme einer Einbürgerung soll von fünf auf zehn Jahre verlängert werden.Quelle
Kritik: Zur Regelung für Menschen mit Doppelpass kritisieren Fachleute, dass es solche Fälle in der Praxis kaum gebe. Das Gesetz sei daher nur eine symbolische Handlung. Zudem warnen sie davor, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft schlechter zu stellen. Zur Regelung zu Einbürgerungen geben Organisationen zu bedenken: Es sei unklar, was mit "deutschen Lebensverhältnissen" gemeint ist. Die Formulierung gebe den Behörden zu viel Spielraum bei der Entscheidung über eine Einbürgerung.Quelle
Der Bundesrat muss dem Gesetz nicht zustimmen.
Zum Gesetzentwurf
"Datenaustauschverbesserungsgesetz"
Der Entwurf sieht weitgehende Änderungen bei der Datenspeicherung und -nutzung im "Ausländerzentralregister" (AZR) vor:
- Im AZR sollen mehr Daten gespeichert werden – zum Beispiel Angaben zum Asylverfahren, zur Abschiebung oder zur Teilnahme an "freiwilligen" Rückkehrprogrammen.
- Ganze Abteilungen sollen Daten aus dem AZR automatisiert abrufen können. Bisher war das nur Einzelpersonen gestattet.
- Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen schneller in das AZR aufgenommen werden. Die Abnahme von Fingerabdrücken soll bereits ab dem sechsten Lebensjahr möglich sein – statt bislang ab dem 14. Lebensjahr.Quelle
Kritik: Fachleute sehen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gefährdet. Das Gesetz berge die Gefahr, den Datenschutz für Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit zu verschlechtern.Quelle
Der Bundesrat muss dem Gesetz zustimmen.
Zum Gesetzentwurf
Von Andrea Pürckhauer und Fabio Ghelli
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.