Rechtsextremismus
Die Gefahr durch Rechtsextremismus in Deutschland ist hoch. Das zeigen unter anderem die jüngsten Anschläge in Kassel, Halle und Hanau. Zu einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild gehört laut Fachleuten die Ablehnung von ethnischen und religiösen Minderheiten. Zu verstehen, was Rechtsextremismus ausmacht und wie er sich äußert, ist in der Einwanderungsgesellschaft daher wichtig.
Was ist Rechtsextremismus?
Rechtsextremismus – als Sammelbegriff – beschreibt neofaschistische, demokratie- und verfassungsfeindliche Ideologien. Eine Definition bietet die Website des Projekts "Mut gegen rechte Gewalt", ein Projekt des Stern-Magazins und der Amadeu Antonio Stiftung.Quelle
Oft wird Rechtsextremismus mit Rechtsradikalismus gleichgesetzt. Die Begriffe beschreiben jedoch zwei unterschiedliche Phänomene: Während Rechtsextremismus verfassungsfeindlich ist, bewegt sich Rechtsradikalismus im Rahmen der Verfassung – wenn auch oft an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit.Quelle
Der Politikwissenschaftler Richard Stöss unterscheidet bei Rechtsextremismus zwischen Einstellungen und Verhalten. Das rechtsextremistische Einstellungspotenzial sei "wesentlich größer" als das Verhaltenspotenzial, da vergleichsweise wenige Menschen politisch aktiv seien und entsprechend handeln.Quelle
Rechtsextremistische Einstellungen äußern sich etwa im Bejahen von
- Nationalismus,
- antisemitischen Grundhaltungen,
- diktatorischen Herrschaftsformen (Autoritarismus),
- der Ablehnung ethnischer und religiöser Minderheiten
- und der Verharmlosung des Nationalsozialismus.Quelle
Wie verbreitet sind rechtsextremistische Einstellungen in der Gesellschaft?
Die "Mitte-Studie" 2022/2023 zeigt: 8,3 Prozent der Bevölkerung haben ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Das ist ein erheblicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren, in denen der Anteil zwischen zwei und drei Prozent lag. Auch der Anteil der Menschen, die rechtsextreme Einstellungen nicht eindeutig ablehnen und damit offen oder anfällig für rechte Einstellungen sind, hat zugenommen. Er liegt bei 20,1 Prozent im Vergleich zu 12,1 Prozent bei der Erhebung 2020/21.Quelle
Großen Zuspruch erhalten der Mitte-Studie zufolge einzelne Aussagen, die auf rechtsextreme Einstellungen hindeuten. Ein Beispiel: Rund 40 Prozent sind der Meinung "Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben." 27 Prozent stimmen teilweise zu, teilweise nicht. Knapp 24 Prozent finden, Deutschland brauche "eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert." Quelle
Laut der Autoritarismus Studie 2024 der Universität Leipzig stieg der Anteil von Menschen mit geschlossen rechtsextremem Weltbild erstmals wieder leicht an (von 3 auf 4,5 Prozent in Ost- und Westdeutschland). Vorher war er jahrelang zurückgegangen: von fast zehn Prozent 2002 auf knapp drei Prozent 2022. Außerdem stimmt inzwischen jede*r fünfte Befragte ausländerfeindlichen Positionen zu (21,8 Prozent), im Osten ist es knapp jeder dritte (31,5 Prozent). Eine weitere Studie stellte 2023 fest, dass sieben Prozent der Bevölkerung in Ostdeutschland ein geschlossen rechtes Weltbild vertreten.Quelle
Warum kommen die "Autoritarismus"-Studie und die "Mitte"-Studie zu unterschiedlichen Ergebnissen?
Es gibt mehrere Studien, die rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung untersuchen. Die beiden größten Studien sind die Mitte-Studie (Friedrich-Ebert-Stiftung und Universität Bielefeld) und die Autoritarismus-Studie (Heinrich-Böll-Stiftung und Universität Leipzig). Beide sind repräsentativ, werden jeweils etwa alle zwei Jahre durchgeführt und erscheinen abwechselnd. Obwohl sie teilweise exakt dieselben Fragestellungen haben, kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Dies liegt an den unterschiedlichen Befragungsmethoden: Bei der Autoritarismus-Studie und der Studie zu rechtsextremen Einstellungen in Ostdeutschland kommen die Forschenden zu den Befragten nach Hause und übergeben ihnen einen Papierfragebogen. Die Befragten beantworten die Fragen schriftlich und können im Anschluss den Fragebogen in einem verschlossenen Briefumschlag zurückgeben. So erfahren die Forschenden nicht, welche Antworten die Befragten geben.
Die Befragung der Mitte-Studie hingegen wird telefonisch durchgeführt: Hier müssen die Befragten den Forschenden direkt sagen, was sie denken. In den Telefoninterviews fällt die Zustimmung zu vielen Aussagen anders aus, da die Menschen ihre Ansichten einer fremden Person gegenüber am Telefon nicht so offen zugeben. Die Autor*innen der Mitte-Studie gehen zudem davon aus, dass rechtsextreme oder wissenschaftsfeindliche Personen seltener an derartigen Studien teilnehmen. Das führe dazu, dass die Mitte-Studie das Ausmaß rechtsextremer Einstellungen eher unterschätzt.Quelle
Wie viele Rechtsextreme gibt es in Deutschland?
2023 gab es laut Verfassungsschutzbericht 40.600 Rechtsextremist*innen in Deutschland. Das sind 1.800 mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremen ist gestiegen: Von 14.000 im Jahr 2022 auf 14.500 im Jahr 2023. Bereits 2022 war die Anzahl der Rechtsextremist*innen gestiegen - unter anderem, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft hatte.Quelle
Der Verfassungsschutzbericht enthält auch Angaben darüber, wie sich Rechtsextreme organisieren:
- 2023 waren 16.300 Rechtsextreme in Parteien organisiert. Das sind 800 mehr als im Vorjahr.
- 8.500 gehörten parteiunabhängigen Strukturen an – zum Beispiel der "Identitären Bewegung", der "Compact Magazin GmbH" oder dem "Institut für Staatspolitik".
- 17.000 Rechtsextreme konnten keiner Organisation zugerechnet werden.Quelle
Fahndungen nach Rechtsextremen
Zum Stichtag 28. März 2024 fahndete die Polizei nach 606 Personen aus dem rechten politischen Spektrum. Gegen sie liegt jeweils mindestens ein offener Haftbefehl vor. Im Vorjahr lagen Ende März gegen 619 rechte Personen offene Haftbefehle vor, Ende März 2022 waren es 568.Quelle
Waffenbesitz von Rechtsextremen
Wie viele Rechtsextremist*innen illegal Waffen besitzen, ist nicht bekannt. Aber es gibt Zahlen zum legalen Waffenbesitz: Ende 2022 besaßen 1.051 Rechtsextremisten eine waffenrechtliche Erlaubnis. 2.080 erlaubnispflichtige Schusswaffen waren Ende 2022 auf rechtsextreme Personen registriert. Im Jahr 2022 wurden 181 rechtsextremistischen Personen waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen oder freiwillig zurückgegeben. Etwa 400 „Reichsbürger und Selbstverwalter“ haben eine solche Erlaubnis.Quelle
Rechtsextreme Aufmärsche
Im ersten Quartal 2024 zählten die Behörden 12 rechtsextreme Aufmärsche. Die Zahlen sind vorläufig, es können Nachmeldungen folgen.Quelle
2023 gab es in Deutschland 196 rechtsextreme Aufmärsche. Das ist ein deutlicher Anstieg um mehr als ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr 2022 mit 143 solcher Aufmärsche. 2023 richteten sich viele rechte Versammlungen gegen Geflüchtete oder Flüchtlingsunterkünfte, im Vorjahr spielte das Thema bei rechten Aufmärschen eine geringe Rolle. Die Zahlen sind vorläufig, es können Nachmeldungen folgen.Quelle
Rechtsextremistische Straftaten und Gewalttaten
Im ersten Quartal 2024 gab es 4.766 rechtsmotivierte Straftaten, darunter 159 Gewaltdelikte. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die rechten Straftaten damit um 49 Prozent gestiegen. Die Zahlen sind vorläufig, es können Nachmeldungen folgen.Quelle
2023 zählte das Bundesinnenministerium 28.945 rechte Straftaten, die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent gestiegen. Mehr als die Hälfte der Straftaten waren Propagandadelikte (rund 58 Prozent). Bereits 2022 hatte die Zahl rechtsmotivierter Straftaten zugenommen.Quelle
2022 zählte das Bundesinnenministerium 23.493 rechtsmotivierte Straftaten. Das waren etwa sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anteil der rechtsmotivierten Straftaten an der Gesamtzahl politisch motivierter Delikte betrug rund 40 Prozent. 1.170 der rechten Straftaten waren Gewalttaten, also etwa Körperverletzungen, darunter auch zwei versuchte Tötungsdelikte.Quelle Fachleute und Opferberatungsstellen weisen darauf hin, dass rechtsmotivierte Straftaten nicht ausreichend erfasst werden.
Laut einer Studie des Center for Research on Extremism der Universität Oslo verzeichnete Deutschland 2019 im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten die höchste Zahl an rechtsextremen Gewalttaten. Die absoluten Zahlen weichen wegen einer anderen Zählweise etwas von den Zahlen der deutschen Behörden ab.Quelle
Rechte Straftaten gegen Medien
Für den Zeitraum Anfang 2015 bis März 2020 zählt das "European Centre for Press & Media Freedom" 119 tätliche Angriffe auf Medienschaffende. Mit 77 Prozent ging die Mehrheit der Angriffe auf rechte Tatverdächtige zurück. Letzteres zeigt auch eine Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2020, die in Zusammenarbeit mit dem MEDIENDIENST entstanden ist: Von den befragten Journalist*innen, die 2019 angegriffen wurden, vermuten 82 Prozent, dass die Angreifer*innen aus dem politisch rechten Milieu stammen.Quelle
Warum ist es schwierig, eine Straftat als "rechts" einzuordnen?
In den letzten Jahren hat die Zahl der Straftaten, die die Behörden keinem politischen Spektrum zuordneten, deutlich zugenommen. 2022 galten mehr als 24.000 und somit rund 41 Prozent der politisch motivierten Straftaten als "nicht zuzuordnen". Als "rechts" wurden etwas weniger Straftaten eingestuft (rund 23.500). Damit machten 2022 nicht wie in den letzten Jahren die rechts motivierten, sondern die nicht zuzuordnenden Straftaten die größte Gruppe der politisch motivierten Delikte aus.Quelle
Eine wichtige Rolle spielen dabei Straftaten mit Bezug zur Corona-Pandemie, sie machten rund die Hälfte der Straftaten aus, die nicht zuzuordnen sind. Dazu gehören etwa Straftaten, die im Rahmen von Demonstrationen gegen die Covid-19-Maßnahmen begangen wurden. Eine weitere Rolle spielen Straftaten mit Bezug zum Ukraine-Krieg sowie gegen Politiker*innen. Auch Straftaten von Reichsbürger*innen werden meist keinem politischen Spektrum zugeordnet (rund 95 Prozent).Quelle
Bei den meisten politischen Straftaten, die 2022 nicht zuzuordnen waren, handelte es sich um Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (9.193) und Sachbeschädigungen (2.825). Dazu kamen Propagandadelikte (1.798), Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (1.790) und Gewaltdelikte (1.608). Quelle
Wie werden politisch motivierte Straftaten erfasst?
Die örtliche Polizeidienststelle prüft, unter welchen Umständen eine Straftat begangen wurde und welche Motive die/der Täter*in hatte. Beamt*innen müssen dazu einen Fragenkatalog ausfüllen, in dem sie die Straftaten auch Themen, darunter etwa "Hasskriminalität", "Ukraine" oder "Corona-Pandemie", und sogenannten Angriffszielen wie etwa Gedenkstätte zuordnen.
Falls die Polizeibeamt*innen den Verdacht haben, dass die Tat politisch motiviert war, wird das an die polizeiliche Staatsschutzabteilung weitergeleitet, die das prüft. Von dort geht die Straftat weiter ans Landeskriminalamt, danach ans Bundeskriminalamt, das sie in die PMK-Statistik mit aufnimmt. Falls die Tat weder rechts noch links oder einer "im Ausland begründeten Ideologie" oder "religiösen Ideologie" zugeordnet werden kann, fällt sie unter "nicht zuzuordnen".Quelle
Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Zuordnung der Straftaten?
Es gibt zwei Gründe, warum so viele Straftaten als nicht zuzuordnen gelten: Zum einen sind es die allgemeinen Schwächen der Erfassung politisch motivierter Taten. Zum anderen sind einige Straftaten tatsächlich schwer einzuordnen.
Die Schwächen der PMK: Untererfassung rechter Straftaten
Fachleute weisen aber immer wieder auf Probleme in der PMK hin. Die erschweren teilweise auch eine Zuordnung von Straftaten:
- Fehlende Sensibilisierung: Ob eine Straftat als politisch motiviert eingestuft wird, hängt Fachleuten zufolge maßgeblich von der Einschätzung der zuständigen Beamt*innen ab. Wie sie eine Tat bewerten, liegt auch an ihrer Sensibilisierung, zum Beispiel ob sie bestimmte Codes erkennen. Das macht eine Einschätzung schwer, wenn Täter*innen etwa keine typischen Rechtsextremist*innen sind, sondern wie "normale Bürger*innen der Mitte" wirken.
- Uneinheitliches Vorgehen: Die Kriterien für die PMK sind zwar bundesweit abgestimmt, es gibt aber keine einheitlichen Formulare. Das genaue Vorgehen zur Einstufung von Straftaten variiert teilweise unter den einzelnen Polizeidienststellen. Dadurch kann es auch zu deutlichen Unterschieden der Einstufungen in den einzelnen Bundesländern kommen.
- Untererfassung rechter Straftaten: Verbände weisen immer wieder darauf hin, dass die PMK rechte Straftaten nicht ausreichend erfasst. Das liegt unter anderem daran, dass Betroffene oft wenig Vertrauen in Behörden haben und diese nicht zur Anzeige bringen.
- Ungenaue Definitionen: Die politische Motivation muss tatauslösend sein, damit eine Straftat in der PMK gelistet wird. Genau diese Motivation ist aber oft schwer zu bestimmen, etwa wenn Beschuldigte keine ausreichenden Angaben dazu machen. Zudem werden Fachleuten zufolge bei rechten Straftaten politische Absichten nicht zielgerichtet umgesetzt, "häufig schlägt sich eher eine schlichte aber deutliche Gesinnung mit ausgeprägten Feindbildern nieder". Unklar ist auch, ob nur die Motivation während der Tat heranzuziehen ist, oder auch das sonstige Verhalten oder Vorstellungen mit in die Bewertung einfließen.Quelle
Eine klare Zuordnung macht nicht immer Sinn
Seit Beginn der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen gibt es Schwierigkeiten, Straftaten aus diesem Kontext politisch zuzuordnen. Es ist bekannt, dass rechte Gruppen häufig zu Corona-Protesten mobilisiert haben, ihre Teilnahme wurde oft toleriert. Jedoch gab es lokale Unterschiede, viele verschiedene Gruppen und Milieus nahmen an den Protesten teil, sie politisch eindeutig zuzuordnen ist schwierig. Das Problem zeigt sich teilwese auch bei der Zuordnung der Straftaten, die dort begangen werden.
Zudem sei eine Zuordnung auch nicht immer sinnvoll, sagen Fachleute. Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) etwa dokumentieren antisemitische Vorfälle – dazu gehören auch solche im nicht strafbaren Bereich. 2022 war rund die Hälfte der Vorfälle, die RIAS erfasste, nicht zuzuordnen. RIAS ordnen Vorfälle nur dann einem bestimmten politischen Hintergrund zu, wenn es dafür eindeutige Belege gibt.Quelle
Was ist die Statistik zu "Politisch motivierter Kriminalität" (PMK)?
In der Statistik zur PMK erfasst das Bundeskriminalamt Straftaten, die politisch motiviert sind. Das bedeutet, dass die Umstände der Tat oder die Einstellung des/der Täter*in darauf hindeuten, dass mit der Tat politische Ziele erreicht, politische Entscheidungen verhindert oder der politische Willensbildungsprozess beeinflusst werden soll – etwa durch die Beschädigung von Wahlplakaten oder Angriffe auf Politiker*innen.
Ein großes Feld ist Hasskriminalität: Das sind Straftaten, die sich gegen eine Person etwa wegen ihrer Einstellungen, ihrer Nationalität, Hautfarbe oder Religion wenden.
Die PMK ist eine Eingangsstatistik, im Gegensatz zur Polizeilichen Kriminalstatistik. Straftaten werden also schon zu Beginn der polizeilichen Ermittlungen in die PMK aufgenommen. Die Einordnung als etwa rechts oder links erfolgt also zu einem sehr frühen Zeitpunkt, spätere Erkenntnisse werden oft nicht mehr berücksichtigt.
Wie ist die PMK-Statistik aufgebaut?
Jede Straftat wird einem Phänomen- und einem Deliktsbereich zugeordnet. Zudem werden sie Themenfeldern und Angriffszielen zugeordnet – hier sind Mehrfachnennungen möglich und es wird bestimmt, ob sie extremistisch sind oder nicht.
Themenfelder sind unter anderem:
• „Hasskriminalität“: Dazu gehören Straftaten gegen Personen etwa aufgrund ihrer (zugeschriebenen oder tatsächlichen) Nationalität, sozialem Status, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Hautfarbe, sexueller Orientierung, körperlicher Beeinträchtigung oder dem äußeren Erscheinungsbild. Unterthemenfelder sind etwa: „Antisemitisch“, „Antiziganistisch“, „Rassismus“, „Fremdenfeindlich“.
• „Ausländer- & Asylthematik“ Unterthemenfelder sind u.a. Straftaten gegen Unterkünfte, aber auch „Kirchenasyl“ und „Abschiebung“,
• „Befreiungsbewegungen/Internationale Solidarität“ (Unterthemen u.a. „PKK“ oder „Kurden“),
• "Ukraine" oder "Versorgungsengpässe" im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine,
• „Straftaten im Kontext der Covid-19-Pandemie“ (ab 2022 eigenes Themenfeld, die
Straftaten wurden aber schon unter dem Schlagwort „cov#19“ gesammelt).
Außerdem: „Nationalsozialismus“, „Kommunismus“, „Antimilitarismus“, „Islamismus“, „Reichsbürger/Selbstverwalter“, „Antirassismus“.
Chronik rechtsextremistischer Anschläge
Bei vielen rechtsextremistischen Straftaten sind in den vergangenen Jahren Menschen ums Leben gekommen. Oft stuften Sicherheitsbehörden die Delikte zunächst nicht als rechtsextremistisch ein. In einigen Fällen ermittelten sie sogar jahrelang in die falsche Richtung. Das habe das Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigt, kritisieren Fachleute.Quelle
Die folgende Chronik führt rechtsextremistische Anschläge seit dem Jahr 2010 auf, bei denen Menschen gestorben sind. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Am 04. Dezember 2021 werden eine Frau und ihre drei Töchter in ihrem Wohnhaus in Königs Wusterhausen (Brandenburg) von ihrem Ehemann bzw. Vater erschossen. Der Täter tötet sich anschließend selbst. Er bewegte sich im verschwörungsideologischen Coronaleugner*innen-Milieu. Sowohl sein Abschiedsbrief als auch seine Online-Aktivitäten geben Hinweise auf ein antisemitisches Tatmotiv.Quelle
- Am 19. Februar 2020 tötet ein Rechtsextremist neun Menschen in Hanau. Anschließend erschießt er seine Mutter und sich selbst. Bis auf die Mutter hatten alle Opfer einen sogenannten Migrationshintergrund.Quelle
- Am 12. Februar 2020 töten zwei junge Männer einen 52-Jährigen in dessen Wohnung in Altenburg (Thüringen). Die Täter werfen dem Opfer ohne Grundlage Pädophilie vor und bezeichnen ihn mit abwertenden Begriffen, die in der rechtsextremen Szene häufig beleidigend für Homosexuelle verwendet werden. Das rechtsextreme und schwulenfeindliche Tatmotiv wird nicht anerkannt. Die Täter werden wegen "gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge" verurteilt.Quelle
- Am 9. Oktober 2019, dem jüdischen Feiertag Jom Kippur, erschießt ein Rechtsextremist zwei Menschen in Halle (Saale). Sein ursprünglicher Plan, in eine Synagoge einzudringen, scheitert. Der Attentäter wird zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.Quelle
- Am 2. Juni 2019 wird der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) vor seinem Haus erschossen. 2015 hatte sich der Politiker bei einer Veranstaltung für die Aufnahme von Geflüchteten ausgesprochen – und war danach massiv von Rechten angefeindet worden. Der mutmaßliche Täter, ein Rechtsextremist, gestand die Tat, hat das Geständnis aber inzwischen widerrufen. Der Prozess gegen ihn und einen mutmaßlichen Unterstützer läuft. Stephan E. wird auch vorgeworfen, 2016 versucht zu haben, einen irakischen Flüchtling umzubringen.Quelle
- In der Nacht zum 18. April 2018 prügeln drei Rechtsextremisten einen Mann in Aue (Sachsen) zu Tode. Zuvor hatten sie ihn wegen seiner Homosexualität gedemütigt. Die Täter werden zu Haftstrafen zwischen elf und 14 Jahren verurteilt. Laut Gericht ist das Motiv der Täter unklar. Die Bundesregierung hingegen bezeichnet die Tat als rechtsextremistisch.Quelle
- Am Abend des 17. April 2018 setzen zwei Männer einen Kinderwagen im Hausflur eines Wohnhauses in Neunkirchen-Wiebelskirchen (Saarland) in Brand, in dem Geflüchtete untergebracht waren. Dabei kommt ein 38-Jähriger Mann ums Leben. Das rassistische Tatmotiv wird vor Gericht nicht anerkannt. Der Täter wird zu acht Jahren Haft verurteilt. Sein Mittäter bekommt nach Jugendstrafrecht wegen Beihilfe zur Brandstiftung mit Todesfolge eine Betreuungsanweisung für ein Jahr.Quelle
- Am 8. Dezember 2017 wird ein 37-jähriger Mann in Katlenburg-Lindau (Niedersachsen) von einem Mann, der der rechten Esoterik-Sekte "Deutscher Hüterorden" angehört, ermordet. Das sozialdarwinistische Motiv des Täters wird vom Gericht nicht anerkannt. Er wird wegen Totschlags und Störung der Totenruhe zu acht Jahren Haft verurteilt.Quelle
- Am 1. März 2017 setzt eine Frau in Döbeln (Sachsen) ihr Nachbarhaus in Brand. Sie will damit einem Geflüchteten aus dem Iran schaden, der kurz zuvor eingezogen war. Bei dem Brand kommt eine 85-jährige Frau ums Leben. Die Täterin wird zu neun Jahren Haft verurteilt.Quelle
- Am 19. Oktober 2016 schießt ein sogenannter Reichsbürger in Georgensgmünd (Bayern) auf vier Polizisten. Einer der Beamten stirbt einen Tag später an seinen Verletzungen. Der Täter erhält eine lebenslange Freiheitsstrafe.Quelle
- Am 17. September 2016 verprügelt der Leiter einer Berliner Supermarkt-Filiale einen Obdachlosen aus Moldawien. Der Mann hatte versucht, Alkohol zu stehlen. Drei Tage später erliegt das Opfer seinen Verletzungen. Der Täter hatte die Tat rassistisch kommentiert. Er wird zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.Quelle
- Am 22. Juli 2016 erschießt ein 18-jähriger Rassist in München neun Menschen und sich selbst. Alle Opfer sowie der Täter hatten einen Migrationshintergrund. Die Behörden stufen die Tat erst 2019 als rechtsextremistisch ein.Quelle
- In der Nacht zum 01. Februar 2016 ermorden zwei Männer einen 47-Jährigen in einem Berliner Hostel aus homofeindlichen Motiven. Sie werden wegen besonders schweren Todschlags zu 13 und 14 Jahren Haft verurteilt.Quelle
- Am 23. Oktober 2014 prügeln drei Rechtsextremisten einen Obdachlosen aus Ruanda in Limburg(Hessen) zu Tode. Zwei Täter werden zu zwölf und zehn Jahren Haft verurteilt, der dritte Täter nimmt sich in der Untersuchungshaft das Leben.Quelle
- Am 30. September 2012 tötet ein Rechtsextremist den Vater seiner Freundin in Butzow(Mecklenburg-Vorpommern). Das Landgericht Stralsund verurteilt den Täter zu elf Jahren Haft und nennt als Motiv unter anderem seine rechtsextreme Gesinnung.Quelle
- Am 16. Juni 2012 verprügeln drei Jugendliche in Suhl (Thüringen) einen 59-jährigen Mann in dessen Wohnung. Am Tag darauf stirbt das Opfer an den Verletzungen. Die Täter werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Richterin sagt später, dass sie aus einer "sozialdarwinistischen Lebenseinstellung" heraus gehandelt haben.Quelle
- Am 27. Mai 2011 wird ein Obdachloser in Oschatz (Sachsen) von fünf Männern schwer misshandelt. Wenige Tage später stirbt er in einem Krankenhaus. Die Täter erhalten mehrjährige Haft- und Bewährungsstrafen. Obwohl zwei von ihnen mit der rechten Szene sympathisieren, erkennt das Gericht kein rechtsextremistisches Motiv.Quelle
- Am 27. März 2011 wird ein Obdachloser mit vietnamesischem Migrationshintergrund in Neuss(NRW) von zwei Männern zu Tode geprügelt. Der Haupttäter wird zu einer Jugendstrafe von neuneinhalb Jahren verurteilt, der Komplize zu neun Jahren Haft. Obwohl der Haupttäter Kontakte zur Neonazi-Szene hat und Migrant*innen als "Kanacken" bezeichnet, erkennt das Gericht kein rassistisches Motiv.Quelle
- Am 24. Oktober 2010 stirbt ein Iraker in Leipzig, nachdem er von zwei Rechtsextremisten brutal attackiert wird. Der Haupttäter wird zu 13 Jahren Haft verurteilt, der Komplize zu drei Jahren.QuelleLeipziger Volkszeitung (2012): "BGH entscheidet: Urteil wegen Mordes an Iraker Kamal K. in Leipzig ist rechtskräftig"
- Am 14. Mai 2010 tötet der Betreiber eines illegalen Neonazi-Clubs einen Mann in Hemer (Nordrhein-Westfalen). Der Täter wird zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.Quelle
Darüber hinaus gibt es mehrere Verdachtsfälle – also Taten, bei denen das Motiv nicht geklärt ist, es aber Indizien für einen rechten Hintergrund gibt. Ein Beispiel hierfür ist der Mord an Burak Bektaş, der im April 2012 in Berlin erschossen wurde.Quelle
Hinzu kommen unzählige rechtsextremistische Anschläge, bei denen Menschen verletzt wurden. Dazu zählen etwa die Messerangriffe auf die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Oktober 2015 und auf den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein (CDU), im November 2017. Beide wurden angegriffen, weil sie sich für Geflüchtete engagiert hatten.Quelle
Auch vor 2010 gab es zahlreiche rechtsextremistische Terroranschläge, bei denen Menschen ums Leben kamen. Zu den bekanntesten Fällen gehören die Mordserie des Terrornetzwerks "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) (2000 bis 2007), der Mord an der Pharmazeutin Marwa El-Sherbini (2009), die Brandanschläge in Solingen (1993) und Mölln (1992) sowie das Oktoberfest-Attentat in München (1980), das als größter rechtsextremistischer Anschlag der Nachkriegsgeschichte gilt.Quelle
Was sind die wichtigsten rechtsextremistischen Parteien?
Ist die AfD rechtsextrem?
Der Verfassungsschutz stuft die AfD als "rechtsextremen Verdachtsfall" ein. Siehe dazu ausführlich "Ist die AfD rechtsextrem?"
Im Verfassungsschutzbericht 2023 führt das Bundesinnenministerium vier rechtsextremistische Parteien auf:
1. "Die Heimat" (ehemals NPD)
Die Partei "Die Heimat" wurde 1964 gegründet, bis Juni 2023 hieß sie "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD). Sie ist mit etwa 2.800 Mitgliedern (2022: 3.000) die älteste und bislang mitgliederstärkste Partei in Deutschland, die als rechtsextremistisch eingestuft wird. Sie ist in allen 16 Bundesländern mit Verbänden vertreten.Quelle
Wahlergebnisse:
- Im Bundestag ist "Die Heimat" nicht vertreten. Bei der Wahl 2021 kam sie auf 0,1 Prozent der Zweitstimmen. 2017 waren es noch 0,4 Prozent. Damit verlor die Partei die Anspruchsgrundlage für staatliche Teilfinanzierung der politischen Parteien.
- Im Europäischen Parlament hat "Die Heimat" keine Sitze. Bei der Wahl 2024 erlangte die Partei 0,1 Prozent. 2019 verlor sie ihr einziges EU-Parlamentsmandat.
- 2023 trat die Partei bei den Landtagswahlen in Hessen, Bremen und Bayern nicht an. Bei der Wiederholungswahl in Berlin erhielt sie 0,1 Prozent der Zweitstimmen.Quelle
Verbotsverfahren & Parteienfinanzierung
2017 ist das zweite NPD-Verbotsverfahren gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 17. Januar: Die NPD verfolge zwar "verfassungsfeindliche Ziele", aktuell gebe es jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie diese Ziele erfolgreich durchsetzen kann.Quelle
Seit Januar 2024 ist die NPD für sechs Jahre von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen, weil sie verfassungsfeindliche Positionen vertritt.Quelle
2. "Freie Sachsen"
Die Partei "Freie Sachsen" wurde 2021 gegründet und ist somit die jüngste rechtsextremistische Partei in Deutschland. 2023 hatte sie 1.000 Mitglieder in vier Kreisverbänden in Sachsen. Sie ist für zahlreiche Demonstrationen, u.a. vor geplanten Unterkünften für Geflüchtete in Sachsen verantwortlich. Die Partei sieht sich selbst im "Widerstand" gegen den demokratischen Staat und strebt einen Autonomiestatus für Sachsen bis hin zum Austritt aus der Bundesrepublik Deutschland an. In der Führungsebene der Partei gibt es viele Überschneidungen mit Aktivisten aus anderen rechtsextremen Gruppen und Parteien, wie etwa der NPD-Sachsen ("Die Heimat"), der rechtsextremen Vereinigung "Pro-Chemnitz" und mit "Reichsbürgern".Quelle
3. "Der III. Weg"
"Der III. Weg" wurde 2013 gegründet. 2023 betrug die Mitgliederzahl 800 (2022: 700). Die ideologischen Aussagen der Partei „Der III. Weg“ sind geprägt vom historischen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus. In ihrem „Zehn-Punkte-Programm“ propagiert die Partei unter anderem die Schaffung eines „Deutschen Sozialismus“ sowie die Entwicklung und Erhaltung der „biologischen Substanz des Volkes“.Quelle
4. "Die Rechte"
2023 hatte die "Die Rechte" 300 Mitglieder und zwei Landesverbände (Niedersachen und "Südwest"). Den Parteivorsitz hat seit 2021 wieder der Parteigründer Christian Worch inne. "Die Rechte" macht vor allem durch rassistische Agitation, geschichtsrevisionistische Thesen und antisemitische Positionen auf sich aufmerksam. Seit Parteigründung 2012 ist "Die Rechte" ein Auffangbecken für Neonazis. Zuletzt verlor sie an Einfluss, zahlreiche Mitglieder traten der Partei "Die Heimat" bei. Bei der Europawahl 2024 trat die Partei nicht an. 2019 war die inhaftierte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel Spitzenkandidatin – ohne Erfolg.Quelle
Ist die AfD rechtsextrem?
Der Verfassungsschutz stuft die Partei "Alternative für Deutschland (AfD) als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Die AfD hatte dagegen geklagt, doch im Mai 2024 entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW: Diese Einstufung der Partei durch den Verfassungsschutz ist rechtens. Laut OVG gibt es in der AfD ausreichend konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, die sich etwa gegen Menschen mit Migrationshintergrund richten.
Das OVG bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanz – ein Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts von März 2022. Damit sind Klagen der AfD vorerst gescheitert, mit denen sie die Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst verhindern wollte. Laut Medienberichten will die Partei jedoch auch die Entscheidung des OVG anfechten.
Zunächst hatte der Bundesverfassungsschutz die Partei im Februar 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Dagegen ging die AfD vor: Sie stellte einen Antrag beim Verwaltungsgericht Köln, das im März 2021 die Einstufung als Verdachtsfall aussetzte. Ein Jahr später hat das Gericht die Beobachtung wieder erlaubt.Quelle
Die AfD hatte 2023 nach eigenen Angaben rund 40.000 Mitglieder und 16 Landesverbände.Quelle
Gruppierungen der AfD, die der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft:
- Die Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gelten als erwiesen rechtsextrem.Quelle
- Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Jugendorganisation der Partei ("Junge Alternative", JA) als gesichert rechtsextrem ein. Die Organisation verfügt über 16 Landesverbände und hatte 2023 eigenen Angaben zufolge rund 4.000 Mitglieder, das sind doppelt so viele wie 2022 (2.000). Über die Einstufung der Landesverbände entscheiden die Landesämter für Verfassungsschutz. Der thüringische Landesverband der JA gilt seit März 2024 als gesichert rechtsextrem, der sächsische seit April 2023, der Brandenburger Landesverband seit Juli 2023.Quelle
- Auch den "Flügel" in der AfD stufte der Verfassungsschutz als Gruppierung mit "gesichert rechtsextremistischer Bestrebung" ein. Nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz die Einstufung der Gruppierung im März 2020 bekanntgab, löste sich der "Flügel" zum 30. April offiziell auf.Quelle
Gruppierungen der AfD, die der Verfassungsschutz als rechtsextreme Verdachtsfälle beobachtet:
- Der Landesverband der JA in Nordrhein-Westfalen wird als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft.Quelle
- Außerdem beobachtet der Verfassungsschutz die Landesverbände der AfD in Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hessen und Bayern als rechtsextreme Verdachtsfälle.Quelle
Expert*innen bestätigen die Radikalisierung der Partei: Die AfD erkenne zwar die Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung an und versuche sich vom Rechtsextremismus abzugrenzen. Sie stelle jedoch die Gleichheit aller Menschen in Frage und greife mitunter auf rechtsextreme Begriffe zurück. Mittlerweile ordnen zahlreiche Expert*innen auch die Gesamtpartei als rechtsextrem ein. Das Deutsche Institut für Menschenrechte etwa beobachtet "offen ausgesprochene Drohungen" von Führungspersonen und Mandatsträger*innen der AfD, "in denen sie der Gewalt zur Erreichung ihrer politischen Ziele das Wort reden."Quelle
Rechtsextreme Einstellungen unter AfD-Anhänger*innen
21 Prozent der AfD-Anhänger haben ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Unter Anhänger*innen anderer Parteien sind es sechs Prozent. Das zeigen Befragungen für die Mitte-Studie von 2023. 90 Prozent der AfD-Anhänger*innen stimmen rassistischen und national-chauvinistischen Aussagen eindeutig oder teilweise zu. 60 Prozent befürworten eine Diktatur eindeutig oder teilweise. 52 Prozent billigen Gewalt eindeutig oder teilweise.Quelle
Rechtsextreme Mitarbeiter*innen von AfD-Abgeordneten
AfD-Bundestagsabgeordnete beschäftigen in ihren Büros Medienrecherchen zufolge mehr als 100 Mitarbeitende aus dem rechtsextremen Milieu. Darunter sind Neonazis, Aktivisten aus dem Umfeld der "Identitären Bewegung" und Ideologen aus der Neuen Rechten. Mehr als die Hälfte der AfD-Abgeordneten beschäftigt Personen von Organisationen, die der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft.Quelle
Dürfen AfD-Mitglieder Beamt*innen sein?
Beamt*innen müssen sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen. Eine Mitgliedschaft in der AfD, die als rechtsextremer Verdachtsfall gilt, könnte für Beamt*innen Konsequenzen haben, etwa Geldbußen oder Entlassungen. Wie der Verfassungsschutz die Partei einstuft ist nicht entscheidend für disziplinarrechtliche Verfahren, seine Beurteilung kann aber zur Begründung herangezogen werden.Quelle
Zur Frage, unter welchen Bedingungen Beamt*innen in der AfD um ihre Stellen fürchten müssen, gibt es unterschiedliche Einschätzungen:
- Im Juni 2020 stellte das Bundesinnenministerium klar: Allein die Mitgliedschaft in einer Partei, die der Verfassungsschutz als "Prüffall" oder "Verdachtsfall" beobachtet, hat keine beamtenrechtlichen Konsequenzen.Quelle
- Ein von der AfD in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten kommt zu demselben Schluss.Quelle
- Eine Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte sieht hingegen juristische Möglichkeiten, um disziplinarrechtliche Sanktionen für Beamt*innen, die Mitglied der AfD sind, zu verhängen. Nur wenn sie sich aktiv in der Partei gegen verfassungsfeindliche Positionen einsetzen, wäre eine AfD-Mitgliedschaft mit der Pflicht zur Verfassungstreue vereinbar. Quelle
- Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, erwartet, dass es "Einzelfallprüfungen" geben werde, ob Mitglieder der AfD Beamt*innen bleiben können.
Wer sind die "Reichsbürger" und "Selbstverwalter"?
"Reichsbürger" und "Selbstverwalter"
Die Begriffe "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" bezeichnen eine heterogene Gruppe von Einzelpersonen und Splittergruppen, die eine Mischung aus rechtsextremistischen, antisemitischen und verschwörungstheoretischen Ideologien verfolgen. Gemein ist ihnen, dass sie die Bundesrepublik nicht anerkennen. Teils behaupten sie, das "Deutsche Reich" bestehe bis heute fort. Viele "Reichsbürger" verweigern daher die Zahlung von Steuern, stellen sich eigene Dokumente aus oder setzen Behördenmitarbeiter*innen unter Druck. "Selbstverwalter" bezeichnen ihr Haus oder Grundstück meist als eigenes Hoheitsgebiet, das sie im Zweifelsfall auch mit Waffen verteidigen würden.Quelle
Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt die Zahl der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" bundesweit auf etwa 25.000 (2022: 23.000), davon sind 2.500 gewaltorientiert – der Verfassungsschutz spricht von einem hohen Gewaltpotential. Bei 1.350 von ihnen handele es sich um Rechtsextremist*innen. Laut den Behörden sind nicht alle "Reichsbürger" rechtsextremistisch eingestellt. Fachleute betonen jedoch, dass die Ideologie der "Reichsbürger" im Kern rechtsextrem sei.Quelle
Im März 2020 hat das Bundesinnenministerium erstmals eine Reichsbürgervereinigung verboten: den Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme" und ihre Teilorganisation "Osnabrücker Landmark". Weiterhin aktiv sind rund 30 länderübergreifende Gruppierungen wie "Staatenbund Deutsches Reich", "Verfassungsgebende Versammlung" sowie "Bismarcks Erben".Quelle
Straftaten
2023 zählte das Bundesinnenministerium 1.300 Straftaten durch sogenannte Reichsbürger bzw. Selbstverwalter – ein Rückgang um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2022 war die Zahl der Delikte um etwa 40 Prozent gestiegen. Unter den Straftaten waren 2023 vor allem Nötigungen und Bedrohungen (474) sowie Beleidigungen (173). Gemeldet wurden auch 159 Gewaltdelikte. Der Großteil der Straftaten (1.065) wurde in der Kategorie "Politisch motivierte Kriminalität - sonstige Zuordnung" eingruppiert. Nur 227 Fälle stuften die Behörden als rechtsmotiviert ein.Quelle
2022 zählte das Bundesinnenministerium 1.865 Straftaten durch Reichsbürger/Selbstverwalter. Die Zahl der Delikte war im Vergleich zum Vorjahr um etwa 40 Prozent gestiegen. Bei den meisten Straftaten handelte es sich um Nötigungen, Bedrohungen und Beleidigungen. 333 davon waren Gewaltdelikte, darunter hauptsächlich Erpressungen und Widerstandsdelikte. Der Großteil der Straftaten (rund 86 Prozent, 1.603 Fälle) wurde in der Kategorie "Politisch motivierte Kriminalität - nicht zuzuordnen" eingruppiert. Nur 253 Fälle stuften die Behörden als rechtsmotiviert ein.Quelle
Fahndungen und Waffenbesitz
Zum Stichtag 28.3.2024 lagen der Polizei 231 offene Haftbefehle gegen 182 Personen vor, die den "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" zugerechnet werden. Davon werden 23 Personen eindeutig dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität rechts" zugeordnet.
Ende 2023 verfügten etwa 400 "Reichsbürger" bzw. "Selbstverwalter" über eine Waffenerlaubnis. Im selben Jahr wurde rund 200 "Reichsbürgern" oder "Selbstverwaltern" die Waffenerlaubnis entzogen bzw. freiwillig abgegeben. Wie viele Reichsbürger illegal Waffen besitzen, ist nicht bekannt. Quelle
Welche rechtsextremistischen Gruppen und Netzwerke gibt es?
"Reichsbürger" und "Selbstverwalter"
Informationen zu "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" finden Sie hier.
"Graue Wölfe"
Die "Grauen Wölfe" (Selbstbezeichnung: "Ülkücü-Bewegung") sind eine rechtsextreme Gruppierung. Sie kommt ursprünglich aus der Türkei. Laut Verfassungsschutz haben die "Grauen Wölfe" in Deutschland rund 12.500 Anhänger*innen. Etwa 10.500 von ihnen sind in drei großen Dachverbänden organisiert.Quellen
Die wichtigsten Organisationen sind laut Verfassungsschutz:
- der Dachverband ADÜTDF ("Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V."), mit rund 200 lokalen Vereinen und 7.000 Mitgliedern,
- der Dachverband ATIB ("Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.") mit rund 24 lokalen Vereinen und 2.500 Mitgliedern sowie
- der Dachverband ANF ("Föderation der Weltordnung in Europa") mit etwa 1.000 Mitgliedern, die in 15 Ortsvereinen organisiert sind.
- Etwa 2.000 weitere Personen sind in weiteren "Ülkücü"-Strukturen oder gar nicht organisiert.Quelle
Die "Grauen Wölfe" entwickelten in den 1960ern und 1970ern erste Strukturen in Deutschland mit kleineren Vereinsgründungen. Sie institutionalisierten sich 1978 mit der Gründung der ADÜTDF. Politisch stehen sie der türkischen rechtsextremen Partei MHP nahe. Die MHP ist seit 2018 in einem Wahlbündnis mit der Regierungspartei AKP, zusammen stellen sie die Mehrheit im Parlament.Quellen
Laut Verfassungsschutz sind die Aktivitäten der "Grauen Wölfe" nationalistisch bis rechtsextremistisch und rassistisch motiviert, sie würdigen etwa Kurd*innen, Armenier*innen, Griech*innen und Jüdinnen und Juden herab und sprechen von einem pantürkischen Großreich.Quelle
Ende 2020 forderten mehrere Parteien im Bundestag, ein Verbot der "Grauen Wölfe" zu prüfen. Zuvor wurden sie in Frankfreich verboten. Ein Verbot in Deutschland scheint Medienberichten zufolge allerdings schwierig, da zentrale Strukturen fehlen und es hunderte Vereine mit unterschiedlichen Ausrichtungen gibt.Quelle
"Identitäre Bewegung"
Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) ist eine rechtsextremistische Gruppierung, die vor allem gegen Muslim*innen und Flüchtlinge hetzt. Laut Verfassungsschutz zählte die IBD wie in den beiden Vorjahren rund 500 Mitglieder, 2018 sowie 2019 waren es jeweils noch etwas über 600. Sie stammt ursprünglich aus Frankreich und konnte sich 2012 auch in Deutschland etablieren.Quelle
"Identitäre" verfolgen die Idee eines auf den ersten Blick harmlos wirkenden "Ethnopluralismus". Dahinter steht jedoch die Vorstellung, dass jedes "Volk" eine eigene Kultur oder Identität hätte, die sich nicht mit anderen mischen sollte. Vor diesem Hintergrund bezeichnen "Identitäre" Einwanderung nach Europa als Bedrohung.Quelle
Laut Verfassungsschutz sind die Positionen der Identitären nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie ziele darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft und Muslim*innen auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren.Quelle
Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin darf die „Identitäre Bewegung“ als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnet werden. Das Gericht hatte einen Antrag auf Unterlassung dieser Einstufung im Verfassungsschutzbericht 2019 abgelehnt. Daraufhin hatte die Identitäre Bewegung im November 2020 einen Antrag auf Berufung gestellt. Den lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Juni 2021 ab.Quelle
Weitere rechtsextremistische Gruppen
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer rechtsextremistischer Akteur*innen und Gruppierungen, die kleiner sind als die oben genannten Gruppen – aber nicht weniger gefährlich. Einige Beispiele:
- Das "Compact Magazin" produziert antisemitische und geschichtsrevisionistische Inhalte.
- Das Künstlerkollektiv "KVLTGANG" verbreitet rechtsextreme Grafiken und Symbole.
- Der Webblog "PI-News" veröffentlicht rassistische und migrationsfeindliche Beiträge und Desinformation über den Angriffskrieg gegen die Ukraine.
- Der Verein "Ein Prozent e.V." ist laut Bundesamt für Verfassungsschutz gesichert rechtsextrem. Er fördert und vernetzt rechte Organisationen und Einzelpersonen.
- Im April 2023 stufte das Bundesamt das sogenannte Institut für Staatspolitik als gesichert rechtsextremistisch ein. Im Mai 2024 löste sich der dahinterstehende Verein auf. Medienberichten zufolge ersetzen neugegründete Unternehmen den Verein.
- Der neurechte Verlag Antaios gilt seit Juni 2024 als gesichert rechtsextrem.Quelle
Rechtsextremistische Verdachtsfälle
Es gibt mehrere Gruppen oder Netzwerke, die der Verfassungsschutz als rechtsextremistische Verdachtsfälle führt, etwa die "Anastasia-Bewegung" in Brandenburg.Quelle
Terrornetzwerk "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU)
Selbstenttarnung
Am 4. November 2011 töteten sich die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im thüringischen Eisenach, nachdem sie von Polizisten in ihrem Wohnmobil entdeckt worden waren. Dort hatten sie sich nach einem Banküberfall versteckt, um den Fahndungsmaßnahmen zu entgehen. Kurze Zeit später legte Beate Zschäpe einen Brand in einer Zwickauer Wohnung, die den dreien über Jahre als Versteck diente. Durch gefundene und verschickte Bekennervideos wurde klar, dass sich die mutmaßlichen Terrorist*innen als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bezeichneten. Das Kürzel steht für einen der größten Skandale der Nachkriegszeit – auch, weil Polizei und Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zur rassistischen Mordserie eklatant versagten: Jahrelang haben sie Angehörige und Bekannte der Opfer verdächtigt. Zudem wurden Akten geschreddert sowie Hinweise von V-Leuten nicht weitergegeben.
Straftaten
Bisher werden dem "Nationalsozialistischen Untergrund" zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle sowie eine Brandstiftung zugerechnet. Hinzu kommen mehrere Mordversuche. Neun der zehn Mordopfer kamen aus Einwandererfamilien.Quelle
Der Sprengstoffanschlag in Nürnberg vom Juni 1999 ist im Münchener NSU-Prozess nicht zur Anklage gekommen: Die Bundesanwaltschaft leitete zwar Ermittlungen ein, verzichtete aber aus "verfahrensökonomischen Gründen" darauf, die Tat anzuklagen.Quelle
Die Morde
- Enver Şimşek (9. September 2000, Nürnberg)
- Abdurrahim Özüdoğru (13. Juni 2001, Nürnberg)
- Süleyman Taşköprü (27. Juni 2001, Hamburg)
- Habil Kılıç (29. August 2001, München)
- Mehmet Turgut (25. Februar 2004, Rostock)
- İsmail Yaşar (9. Juni 2005, Nürnberg)
- Theodoros Boulgarides (15. Juni 2005, München)
- Mehmet Kubaşık (4. April 2006, Dortmund)
- Halit Yozgat (6. April 2006, Kassel)
- Michèle Kiesewetter (25. April 2007, Heilbronn)
Die Sprenstoffanschläge
- Sprengstoffanschlag in einem Lokal, das von einem Türkeistämmigen betrieben wurde (23. Juni 1999, Nürnberg)
- Sprengstoffanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft, das von einer iranischstämmigen Familie betrieben wurde (19. Januar 2001, Köln)
- Nagelbombenanschlag in der Keupstraße, in der überwiegend türkeistämmige Menschen lebten und arbeiteten (9. Juni 2004, Köln)
Die Raubüberfälle
- Edeka-Markt (18. Dezember 1998, Chemnitz)
- Postfiliale (6. Oktober 1999, Chemnitz)
- Postfiliale (27. Oktober 1999, Chemnitz)
- Postfiliale (30. November 2000, Chemnitz)
- Postfiliale (5. Juli 2001, Zwickau)
- Sparkasse (25. September 2002, Zwickau)
- Sparkasse (23. September 2003, Chemnitz)
- Sparkasse (14. Mai 2004, Chemnitz)
- Sparkasse (18. Mai 2004, Chemnitz)
- Sparkasse (22. November 2005, Chemnitz)
- Sparkasse (5. Oktober 2006, Zwickau)
- Sparkasse (7. November 2006, Stralsund)
- Sparkasse (18. Januar 2007, Stralsund)
- Sparkasse (7. September 2011, Arnstadt)
- Sparkasse (4. November 2011, Eisenach)
Die Brandstiftung
Nachdem Beate Zschäpe von dem Tod ihrer beiden Komplizen erfahren hatte, setzte sie am 4. November 2011 die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand. Die anschließende Explosion zerstörte große Teile des Wohnhauses.
Der Prozess
Am 6. Mai 2013 begann vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche Unterstützer des Terrornetzwerks. Sie wurden von insgesamt 14 Anwält*innen vertreten. 91 Opfer und Angehörige waren Nebenkläger*innen im Verfahren, sie wurden von 58 Rechtsanwält*innen vertreten.Quelle
Am 11. Juli 2018 verkündete das Oberlandesgericht München sein Urteil. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt – unter anderem wegen mehrfachen Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Gericht stellte die besondere Schwere ihrer Schuld fest. Drei Mitangeklagte wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie das Terrornetzwerk unterstützt und/oder Beihilfe zum Mord geleistet haben: Ralf W. zu zehn Jahren, Holger G. zu drei Jahren und André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten. Der vierte Mitangeklagte, Carsten S., erhielt eine Jugendstrafe von drei Jahren. André E. und Ralf W. wurden kurze Zeit nach der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassen. Am 12. August 2021 folgte dann der schriftliche Beschluss: alle Urteile sind rechtskräftig, bis auf das gegen André E. Gegen das Urteil vom 19.08.2021, das ihn von den weiteren Vorwürfen "Beihilfe zum versuchten Mord", "Beihilfe zum Raub", "weitere Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" teilweise freispricht, haben sowohl der Angeklagte als auch der Generalbundesanwalt Revision eingelegt. André E. wendete sich gegen seine Verurteilung. Der Generalbundesanwalt griff hingegen den Teilfreispruch an. Im Revisionsverfahren bestätigte der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts München am 15. Dezember 2021. Für André E. gibt es demnach keine weitere Haftstrafe. Alle Urteile des NSU-Prozesses sind somit rechtskräftig und die juristische Aufarbeitung des Komplexes wohl abgeschlossen.Quelle
Frühestens nach 15 Jahren kann die lebenslange Haft zur Bewährung ausgesetzt werdenihrer Schuld fest. Drei Mitangeklagte wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt: Ralf W. zu 10 Jahren, Holger G. zu 3 Jahren und André E. zu 2 Jahren und 6 Monaten. Der vierte Mitangeklagte, Carsten S., erhielt eine Jugendstrafevon 3 Jahren. André E.und Ralf Wohllebenwurden kurze Zeit nach der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassen.Quelleihrer Schuld fest. Die Verteidiger aller Angeklagten haben Revisiongegen die Urteile eingelegt. Das heißt: Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig und müssen vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe geprüft werden. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ist unklar. Auch die Bundesanwaltschaft hat Revision eingelegt, allerdings nur gegen das Urteil gegen André E.: Für ihn hatte die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Haft gefordert.Quelleihrer Schuld fest.
Vertreter*innen der Nebenklage haben den Ausgang des Prozesses deutlich kritisiert: Die Urteile gegen André E. und Ralf W. seien zu milde ausgefallen. Zudem seien im Prozess viele Fragen unbeantwortet geblieben. So sei bis heute unklar, nach welchen Kriterien der NSU seine Opfer ausgesucht hat und inwieweit staatliche Behörden für die Taten mitverantwortlich waren. Zudem habe die Bundesanwaltschaft zu wenig getan, um Unterstützer*innen oder Mittäter*innen aus der rechten Szene ausfindig zu machen. Stattdessen habe sie an ihrer These festgehalten, der NSU habe lediglich aus dem "Trio" Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bestanden.Quelle
Untersuchungsausschüsse
Unabhängig vom Gerichtsverfahren in München wurden auf Bundes- und Landesebene mehrere Untersuchungsausschüsse eingerichtet. Sie befass(t)en sich mit der Aufarbeitung der Fehler, die bei der Fahndung nach dem Terrornetzwerk und bei den strafrechtlichen Ermittlungen passiert sind. Die meisten Untersuchungsausschüsse haben ihre Arbeit bereits abgeschlossen. Nur in Mecklenburg-Vorpommern ist noch ein Ausschuss im Einsatz. Die anderen Ausschüsse im Überblick:
- Auf Bundesebene tagten bereits zwei NSU-Untersuchungsausschüsse. Der Abschlussbericht des ersten Ausschusses wurde im August 2013 veröffentlicht. Der zweite Ausschuss legte im Juni 2017 seinen Bericht vor. Darin kritisiert er vor allem die von der Generalbundesanwaltschaft vertretene These, der NSU sei lediglich ein "Trio" gewesen. Zudem stellt der Ausschuss weitreichende Mängel bei der strafrechtlichen Aufklärung der Mordserie fest.
- Untersuchungsausschüsse auf Länderebene:
- In Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen tagten bereits jeweils zwei Ausschüsse. Die Abschlussberichte für Baden-Württemberg können hier eingesehen werden, die Berichte für Thüringen hier und die Berichte für Sachsen hier.
- Der Untersuchungsausschuss in Bayern legte 2013 seinen Abschlussbericht vor. In Nordrhein-Westfalen legte das Gremium 2017 seinen Schlussbericht vor, in Hessen präsentierten die beteiligten Landtags-Fraktionen 2018 jeweils eigene Berichte. Der Ausschuss in Brandenburg folgte 2019 mit seinem Abschlussbericht. In Mecklenburg-Vorpommern legten die Abgeordneten 2021 einen Zwischenbericht vor.
Straftaten mit Bezug zum NSU
Seit der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 haben die Behörden mehr als 450 Straftaten registriert, bei denen die Tatverdächtigen auf den NSU und/oder auf dessen Mordserie Bezug genommen haben (Stand: August 2019). 14 dieser Straftaten waren Gewalttaten.Quelle
Weitere Informationen
- Die Website "NSU-Watch" begleitete den NSU-Prozess in München und hat Protokolle zu fast allen Verhandlungstagen veröffentlicht.
- Auf der Website "NSU Nebenklage" berichteten zwei Nebenklage-Anwälte vom Prozess.
- Weitere Blogs zum Prozess finden sich bei Zeit Online und beim Bayerischen Rundfunk (BR).
- Wie Betroffene den NSU-Prozess und die Arbeit der Untersuchungsausschüsse wahrnehmen, hat der Historiker Massimo Perinelli im Interview mit dem MEDIENDIENST erklärt.
- Welche Lehren die Sicherheitsbehörden gezogen haben, haben wir 2021 in diesem Artikel erläutert.
- Bei Zeit Online gibt es eine interaktive Karte zu den "Orten des NSU-Terrors".
- Einen Überblick von Büchern zum NSU bieten zwei Artikel des MEDIENDIENSTES.
Anschlag von Halle am 9. Oktober 2019
Am 9. Oktober 2019 versuchte ein bewaffneter Rechtsextremer, in die Synagoge in Halle einzudringen. Kurz darauf griff er Menschen in einem Imbiss und auf der Straße an, er tötete zwei Personen. Eine Übersicht über den Anschlag und seine Folgen.
Der rechtsextreme Anschlag in Halle und Wiedersdorf
Am 9. Oktober 2019 versuchte ein bewaffneter Rechtsextremer in die Synagoge in Halle (Saale) einzudringen und die Besucher zu töten. In der Synagoge feierten 51 Personen einen Gottesdienst. Es war Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag. Neben Gemeindemitgliedern aus Halle waren Gäste aus anderen Städten und Ländern anwesend. Der Attentäter versuchte, durch die Tür der Synagoge einzudringen, um die Anwesenden zu töten. Er warf Brand- und Sprengsätze über die Mauer der Einrichtung. Er erschoss die Passantin Jana L.Quelle
Nachdem es ihm nicht gelang, in die Synagoge einzudringen, fuhr er weiter und griff Menschen im Imbiss "Kiez Döner" an – diesen wählte er aus, um Muslime zu töten. Dort erschoss er den Gast Kevin S. Am Imbiss und der darauffolgenden Flucht verletzte er mit den selbstgebauten Waffen und einem Mietwagen weitere Personen in Halle sowie in Wiedersdorf, einige von ihnen schwer.Quelle
Die Polizei verhaftete den Täter nach rund eindreiviertel Stunden auf einer Bundesstraße. Vor der Tat veröffentlichte er ein Bekennerschreiben, in dem er sein antisemitisches Weltbild darlegte und dazu aufforderte, Personen ihm verhasster Bevölkerungsgruppen zu töten, darunter Juden, Muslime und Schwarze Menschen. Die Tat streamte er live im Internet.Quelle
Der erste Gerichtsprozess: Urteil und Nebenklage
Der Prozess gegen den Attentäter lief vom 21. Juli bis 21. Dezember 2020 am Oberlandesgericht Naumburg. Es war einer der größten Gerichtsprozesse der Nachkriegszeit im Bereich Rechtsterrorismus.
Das Urteil:
- Der Täter erhielt das höchstmögliche Strafmaß und wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.
- Er wurde wegen zweier Morde verurteilt, 66 Mordversuchen, räuberischer Erpressung, fahrlässiger Körperverletzung und Volksverhetzung. Das Gericht stellte eine besondere Schwere der Schuld fest, der Täter sei in vollem Umfang schuldfähig gewesen.
- Das Gericht attestierte dem Täter eine rechtsextreme Gesinnung sowie ein antisemitisches, rassistisches, frauenfeindliches und menschenverachtendes Weltbild. Er wollte gezielt Menschen töten, die er als jüdisch, muslimisch oder ausländisch wahrnahm. Dem Gericht zufolge handelt es sich um einen "fanatisch-ideologisch motivierten Einzeltäter". Er sei ein Einzeltäter im juristischen Sinne, der keine weiteren Personen in die Planung einbezogen habe. Seine Radikalisierung fand jedoch im Austausch mit Gleichgesinnten in rechtsextremen Foren statt. Eine zentrale Orientierung für ihn sei das Attentat in Christchurch Anfang 2019 gewesen.Quelle
Die einzelnen Prozesstage listet der Verein democ hier auf und hat Protokolle zum Prozess in diesem Buch veröffentlicht. Wissenschaftler und Aktivisten haben eine Chronik der Tat erstellt und zeigen Parallelen zu anderen rechtsterroristischen Taten auf. Der Tathergang wird im Urteil aufgeschlüsselt.
Nebenkläger und Kritik am Urteil
Es gab 43 Nebenkläger*innen, darunter Personen aus der Synagoge und dem "Kiez Döner", Personen, die auf der Straße angegriffen wurden, sowie Familienangehörige der Opfer. Die Nebenkläger bezeichneten das Urteil als mutlos und als verpasste Chance:
- Es bestätige das Bild eines isolierten Einzeltäters und vernachlässige die gesellschaftliche Dimension der Tat sowie die gesellschaftliche Verbreitung von Antisemitismus, Rassismus und rechtsextremer Ideologien. Im Prozess habe sich ein veraltetes Verständnis der Radikalisierung von Rechtsextremen gezeigt, Online-Aktivitäten seien zu wenig berücksichtigt worden.
- Zum familiären Umfeld des Täters habe es zu wenig Aufklärung gegeben.
- Von Seiten der Nebenkläger gab es auch Kritik daran, dass bei zwei Personen kein versuchter Mord geurteilt wurde, bei einem Mitarbeiter des "Kiez Döner" – İsmet Tekin – und der Schwarzen Person Aftax I., den der Attentäter anfuhr.Quelle
Der zweite Gerichtsprozess
Mindestens zweimal versuchte der Attentäter aus dem Gefängnis auszubrechen. Am 12. Dezember 2022 nahm er zwei Gefängniswärter als Geiseln und bedrohte sie mit einer Waffe, die er während seiner Inhaftierung selbst gebaut hatte. Das Landgericht Stendal verurteilte den Attentäter im Februar 2024 dafür zu sieben Jahren Haft und Schmerzensgeld. Einem Gutachten zufolge wären vom Attentäter weitere Tötungsdelikte zu erwarten, hätte er die Gelegenheit dazu.Quelle
Untersuchungsausschuss
Ein Untersuchungsausschuss des Landtags Sachsen-Anhalts befasste sich 2020/2021 mit der Frage, ob der Anschlag hätte verhindert werden können. Das Ergebnis:
- Polizeihandeln: Der Ausschuss stellte keine wesentlichen Schwächen in Bezug auf die Planung und Handlungen der Polizei fest.Quelle
- Gefährdungseinschätzung: Nach Einschätzung der Polizei gab es an dem Tag keine besondere Gefährdung der Gemeinde. Laut Ausschuss war die konkrete Gefahr eines Terroranschlags kaum vorhersehbar, dennoch sei die Gefährdungseinschätzung unzureichend gewesen und müsse in Zukunft verbessert werden. Etwa brauche es bessere Analysen solcher Taten. Zudem müssten religiöse Feste stärker im Fokus der Polizei stehen.Quelle
- Prävention: Der Attentäter radikalisierte sich im Netz, dazu lagen den Sicherheitsbehörden und dem Verfassungsschutz keine Erkenntnisse vor. Personen, die sich online radikalisierten, müssten stärker in den Blick genommen werden. Zudem fehlte den Behörden Kenntnisse von Internetportalen.Quelle
Kritik an der Polizei und Sicherheitseinschätzung
Nach dem Anschlag standen die Sicherheitseinschätzung der Polizei, der Einsatz und die Ermittlungen der Polizei in der Kritik:
- Gefährdungseinschätzung und Schutz: Die Polizei schützte die Synagoge nicht besonders, obwohl am Tag der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur gefeiert wurde. Für den Schutz der Synagoge hatte die Gemeinde finanziell selbst aufkommen müssen und dafür keine Unterstützung vom Land Sachsen-Anhalt erhalten. Mehr dazu unten.Quelle
- Unsensibler Umgang: Betroffene berichteten davon, dass die Polizei nach dem Anschlag unsensibel mit ihnen umgegangen sei.Quelle
- Fehlende Expertise: Auch kritisiert wurde die fehlende Expertise des BKA hinsichtlich der online-Radikalisierung des Täters und seiner Online-Aktivitäten.Quelle
Die Betroffenen: Belastung, Vernetzung und Solidarisierung
Viele Betroffene berichteten nach dem Anschlag von erheblichen psychischen Belastungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Angstzuständen. Einige zogen sich sozial zurück oder wurden arbeitsunfähig.Quelle
Zwischen Angehörigen und Betroffenen des Anschlags gab es starke Vernetzung und Solidarisierung. Zudem gab es eine starke Vernetzung mit Betroffenen anderer rassistischer und rechtsextremer Anschläge in Hanau 2020 und Mölln 1992. Sie gründeten das seitdem jährlich durchgeführte Festival of Resilience.
Zwei Überlebende des Anschlags übernahmen kurz nach dem Anschlag den "Kiez Döner" und wandelten ihn in ein Frühstückscafé ("TEKIEZ") um. Das Café sollte unter anderem ein Ort für Austausch und Gedenken sein. Es musste kurz darauf wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage schließen. Aktuell ist TEKIEZ ein Begegnungsraum.Quelle
Politische Reaktionen
Das Bundeskabinett berief nach den Anschlägen in Halle 2019 und Hanau 2020 einen Ausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus ein, der 2021 einen Abschlussbericht und einen Maßnahmenkatalog vorlegte. Weiterhin sollte die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden verbessert, Hass im Netz konsequenter bekämpft und das Waffenrecht verschärft werden.Quelle
Insbesondere kündigten Bund und Länder an, Synagogen besser zu schützen. Denn der Anschlag legte eklatante Sicherheitsmängel an jüdischen Einrichtungen offen. Mehr dazu hier.
Berichterstattung
Nach dem Anschlag gab es Kritik an einigen Medienberichten: Medien hätten sich zu sehr auf den Täter fokussiert und ihm eine Bühne geboten, Betroffene fühlten sich von Journalist*innen bedrängt und unsensibel behandelt. Ein Projekt der Deutschen Journalistenschule und des MEDIENDIENST INTEGRATION hat sich die Berichterstattung angesehen und Tipps für die Berichterstattung erstellt.Quelle
Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden
In den vergangenen Jahren häuften sich die Skandale um Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden: Unter den "Reichsbürgern" um Heinrich Prinz Reuß waren aktive und ehemalige Soldaten und Polizisten. Hunderte Polizist*innen und Soldat*innen sollen Teil von rechtsextremen Chatgruppen gewesen sein. Hinzu kamen Waffenfunde, Drohschreiben und Pläne für rechtsextreme Anschläge. Besonders brisant sind diese Fälle unter anderem, weil Sicherheitsbehörden über Exekutivbefugnisse (also Staatsgewalt über die Bürger*innen) und Waffen verfügen.Quelle
Wie verbreitet Rechtsextremismus in der Bundeswehr ist, ist wenig bekannt. Unabhängige wissenschaftliche Studien dazu gibt es bislang nicht. Zahlen veröffentlicht regelmäßig die Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle, die (wie die Bundeswehr) dem Bundesverteidigungsministerium untersteht.
Bis 2021 war die Zahl der Verdachtsfälle bei der Bundeswehr gestiegen. Seit 2022 werden unter "Verdachtsfällen" anders als zuvor nur noch sogenannte Abwehroperationen gezählt und nicht mehr die "Prüfoperationen". Die Zahlen sind daher nicht mit den Vorjahren vergleichbar. Laut Bundesverteidigungsministerium sind allerdings auch die Prüffälle zurückgegangen.Quelle
Die Lageberichte verschiedener Behörden zu dem Thema geben Einblicke in die Ermittlungen wegen Rechtsextremismus in den eigenen Reihen. Sie deuten darauf hin, dass die Sicherheitsbehörden das Thema ernster nehmen als zuvor. Dennoch rechnen Expert*innen mit einer hohen Dunkelziffer.Quelle
Vom 1. Juli 2021 bis 31. Dezember 2022 untersuchten die Behörden in Bund und Ländern 739 Fälle. Bei 364 Beschäftigten von Sicherheitsbehörden fanden sie konkrete Anhaltspunkte für Rechtsextremismus. Im vorherigen Lagebericht (drei Jahre Untersuchungszeitraum, 1.7.2017-30.6.2021) wurden 860 Fälle ausgewertet, bei 327 Bediensteten fanden sich konkrete rechtsextremistische Anhaltspunkte.Quelle
Was tun die Behörden gegen Rechtsextremismus in den eigenen Reihen?
- Unabhängige Polizei-Beschwerdestellen: Diese gibt es in acht Bundesländern (Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen (Stelle seit 2020 unbesetzt), Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) sowie für Bundespolizei und BKA.
- Disziplinarverfahren: Seit der Reform des Disziplinarrechts 2024 können Behörden selbst Disziplinarverfügungen gegen extremistische Beamte verhängen, z.B. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Bislang waren Gerichte zuständig, die Verfahren dauerten oft Jahre, die Beschuldigten erhielten solange oft weiterhin Bezüge.
Fachleute und Betroffene fordern weitere Maßnahmen, um gegen Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden vorzugehen. Eine Recherche des MEDIENDIENST 2021 zeigte: Nur wenige Behörden setzen diese Maßnahmen um.Quelle
- Im Einstellungsverfahren: Bislang überprüfen nur sechs Bundesländer regelmäßig, ob Polizei-Bewerber*innen bereits durch rechtsextremes Verhalten dem Verfassungsschutz aufgefallen sind (Bayern, Bremen, Hamburg, NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland). Öffentlich sichtbare Inhalte in Sozialen Medien überprüfen nur zwei Bundesländer (Bremen, Niedersachsen).
- Fortbildungen: Nur ein Bundesland (NRW) führt verpflichtende Fortbildungen zu Rassismus und Rechtsextremismus für alle Polizist*innen durch.
- Polizeiinterne Extremismusbeauftragte gibt es nur in fünf Bundesländern (Berlin, Brandenburg, NRW, Sachsen und Sachsen-Anhalt).
Welche Prävention gegen Rechtsextremismus gibt es?
Seit Februar 2021 gibt es ein Infoportal zur Rechtsextremismusprävention. Es bietet einen bundesweiten Überblick über Beratungen für Aussteiger*innen und Betroffene sowie allgemeine Anlaufstellen zum Thema Rechtsextremismus.Quelle
Prävention gegen Rechtsextremismus setzt früh an – nicht erst, wenn sich Menschen radikalisieren. Vielmehr versuchen die Präventionsprogramme, junge Menschen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, eine demokratische Lernkultur zu etablieren und gesellschaftliche Vielfalt sichtbar zu machen. Die Präventionsprogramme unterscheiden sich, je nachdem an wen sie sich richten oder etwa ob sie im ländlichen oder städtischen Raum angeboten werden.
Rechtsextremismusprävention in Kitas, Schulen und Vereinen
Rechtsextremismusprävention beginnt schon in den Kindergärten: Hier können zum Beispiel Betreuer*innen oder Sozialarbeiter*innen mit Kindern darüber sprechen, wie es sich anfühlt, diskriminiert zu werden. Vor allem aber können sie versuchen, jedes Kind in seinen persönlichen Eigenschaften zu stärken. Denn dass man selbst akzeptiert und respektiert wird, gilt als Grundlage dafür, sich nicht selber abwertenden Ideologien zuzuwenden.Quelle
Das vom Bundesprogramm "Demokratie leben" geförderte Projekt "Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung" versucht, solche Ansätze in möglichst vielen Kitas zu etablieren. Die Projektmitglieder - die sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - bieten hierfür unter anderem Fortbildungen und Vernetzungsmöglichkeiten für Erzieher*innen an. Etwa zwei Drittel aller Kindertageseinrichtungen werden von den Wohlfahrtsverbänden getragen.Quelle
In der Schule klären Lehrer*innen zum Beispiel durch politisch-historische Bildungsarbeit über die Gefahren des Rechtsextremismus auf. Hierzu zählt der klassische Geschichtsunterricht, aber auch etwa Fahrten zu Gedenkstätten. Falls sich ein*e Schüler*in radikalisiert, können Lehrkräfte mit Einzelgesprächen, Unterrichtsverweisen oder Klassenkonferenzen intervenieren.Quelle
Ein wichtiges Netzwerk für Präventionsarbeit in Schulen stellt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" dar. Dies sind Schulen, die sich aktiv gegen Rassismus einsetzen, indem sie zum Beispiel Konzerte, Demonstrationen, Diskussionsrunden, Projekttage oder Gedenkveranstaltungen organisieren. 3000 Schulen gehören dem Netzwerk an, weitere Schulen werden eingeladen, mitzumachen.Quelle
Außerhalb der Schule gibt es Vereine und Initiativen, die unter anderem Workshops, Gedenkstättenfahrten oder Zeitzeug*innen-Treffen mit Holocaust-Überlebenden organisieren. Das setzt allerdings voraus, dass sich Teilnehmende selber dazu anmelden. Jugendliche, die bereits zum Rechtsextremismus neigen, werden durch diese Angebote nicht erreicht. Ein Versuch, trotzdem mit einigen dieser Jugendlichen in Kontakt zu kommen, stellt die sogenannte mobile Jugendarbeit dar: Hier suchen Sozialarbeiter*innen etwa in Jugendclubs oder an üblichen Treffpunkten das Gespräch mit den Jugendlichen. Wenn sie ihr Vertrauen gewinnen, versuchen sie zum Beispiel durch Hilfe im Alltag, den Jugendlichen eine Alternative zu Kontakten und Unterstützungsangeboten aus der rechten Szene zu bieten.Quelle
Für Erwachsene bietet etwa die Initiative "Exit-Deutschland" eine Ausstiegsberatung aus der rechten Szene an. Der Verein "Mach meinen Kumpel nicht an" lädt zu Trainings ein, um einen Umgang mit rassistischen Sprüchen in Betrieben zu finden.Quelle
Rechtsextremismusprävention im Internet
Im Internet funktioniert Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus anders: Hier versuchen zum Beispiel Vertreter*innen von zivilgesellschaftlichen Initiativen in Sozialen Medien, Foren und Online-Spielen die menschenfeindliche Ideologie von rechtsextremen Kommentaren offenzulegen oder Falschnachrichten zu korrigieren. Die Amadeu Antonio Stiftung stellt mit dem Projekt "debate", persönlichen Kontakt mit Personen, die sich online rechtsextrem äußern, her, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.Quelle
Das Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das die Bundesregierung in Reaktion auf den Anschlag in Halle im Oktober 2019 vorstellte, sieht außerdem vor, dass soziale Netzwerke wie etwa Facebook oder Twitter strafbare Inhalte an die Strafverfolgungsbehörden melden müssen.Quelle
Rechtsextremismusprävention durch Beratung
Bei der Prävention von Rechtsextremismus haben zwei verschiedene Formen der Beratung eine wichtige Bedeutung. Die "Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus" sind zivilgesellschaftliche Netzwerke, die es mittlerweile in allen Bundesländern gibt. Sie unterstützen Menschen, die eine rechtsextreme Radikalisierung einer Person in ihrem Umfeld beobachten oder sich gegen Rechtsextremismus einsetzen wollen. Eine solche Beratung gibt es auch online.Quelle
Daneben existieren auch "Ausstiegsberatungen", die teilweise an die Landeskriminalämter angesiedelt und teilweise zivilgesellschaftlich organisiert sind. Sie richten sich an Menschen, die die rechte Szene verlassen wollen. Aussteiger*innen können sich hier beraten lassen, Schutzkonzepte gegen potenzielle Angriffe aus der rechten Szene entwickeln und Hilfe für die Neuorientierung im Alltag bekommen. Ein Überblick über Ausstiegsberatungen in den Bundesländern findet sich hier.Quelle
Rechtsextremismusprävention auch in der Verwaltung?
Programme, die die Prävention von Rechtsextremismus als Aufgabe für die Verwaltung vorsehen, gibt es kaum. Dies fordert aber zum Beispiel das Deutsche Institut für Menschenrechte. Denn auch in Behörden gibt es immer wieder Fälle von Rechtsextremismus. Die Berliner "Landeskonzeption" ist hier bislang einzigartig: Sie ist eine Strategie des Berliner Senats gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und richtet sich sowohl an die Zivilgesellschaft als auch an staatliche Einrichtungen.Quelle
Die Finanzierung der Arbeit gegen Rechtsextremismus
Die größten staatlichen Programme zur Förderung von Rechtsextremismusprävention sind "Demokratie leben" und "Zusammenhalt durch Teilhabe". Daneben gibt es Fördermöglichkeiten durch die Bundesländer, Stiftungen und private Initiativen.
- Demokratie leben
"Demokratie leben" ist ein Programm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es fördert mehr als 600 Projekte auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene mit insgesamt 115,5 Millionen Euro im Jahr 2020.
- Auf Bundesebene fördert "Demokratie leben" 40 zivilgesellschaftliche Organisationen, die Träger von Kompetenznetzwerken sind. Fünf Kompetenznetzwerke sind auf Rechtsextremismus ausgerichtet.
- Auf Landesebene fördert "Demokratie leben" in jedem Bundesland ein Demokratiezentrum.
- Auf kommunaler Ebene fördert "Demokratie leben" 300 "Partnerschaften für Demokratie".
- Eine Übersicht zur Arbeit von "Demokratie leben" und ausgewählte Projekte werden hier vorgestellt, laufende Modellprojekte hier.Quelle
- Zusammenhalt durch Teilhabe
"Zusammenhalt durch Teilhabe" ist ein Programm des Bundesinnenministeriums. Es fördert Vereine, Verbände und Multiplikator*innen in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Der Schwerpunkt liegt auf der Ausbildung von ehrenamtlichen Demokratieberater*innen: Sie sollen Fälle von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erkennen und bearbeiten.Quelle
- Weitere Förderprogramme
Neben den beiden großen Bundesprogrammen gibt es weitere Förderungen für Programme gegen Rechtsextremismus auf Landes- und Kommunalebene. Eine Übersicht über die Programme der Länder findet sich im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus der Bundesregierung. Auch einige Stiftungen und Privatinitiativen bieten Förderungen an. Eine Übersicht findet sich hier.Quelle
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