Unterbringung und Versorgung
Wo kommen Schutzsuchende als erstes unter? Wer ist vor, während und nach der Asylantragstellung für ihre Versorgung zuständig? Die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden bietet immer wieder Stoff für kontroverse Diskussionen. In dieser Rubrik finden Sie Zahlen und Fakten zum Thema.
Wie werden Asylbewerber untergebracht?
In welchem Bundesland Asylsuchende ihren Antrag stellen und auf die Entscheidung warten müssen, wird nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel entschieden. Ein weiteres Kriterium für die Verteilung ist die Herkunft der Asylsuchenden, da nicht jede Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge jedes Herkunftsland bearbeitet.Quelle
Asylsuchende werden in der Regel zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht. Dort müssen sie bis zum Ende ihres Asylverfahrens bleiben – längstens allerdings 18 Monate. Abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht ausreichend kooperieren, können verpflichtet werden, länger als 18 Monate in den Einrichtungen zu bleiben.Quelle
In den Flächenländern werden Asylsuchende anschließend auf die Stadt- und Landkreise entsprechend der Bevölkerungszahl verteilt und kommen dort in einer Gemeinschaftunterkunft oder in einer Wohnung unter. Die Stadt- und Landkreise sind für die Unterbringung zuständig.
Eine vertiefte Analyse der Unterbringungssituation von Geflüchteten in den Kommunen haben Boris Kühn und Julian Schlicht für eine Expertise im Auftrag des MEDIENDIENSTES durchgeführt. Zur STUDIE >>>
In der Kritik steht, dass es in Deutschland keine Mindeststandards für die Unterbringung von Flüchtlingen gibt, die für alle Bundesländer gleichermaßen gelten. In den Aufnahmegesetzen einzelner Bundesländer ist lediglich von einem "menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen" (Baden-Württemberg) beziehungsweise einem "menschenwürdigen Aufenthalt ohne gesundheitliche Beeinträchtigung" (Hessen) die Rede.
Mindeststandards für die Unterbringung von Geflüchteten in den Bundesländern (Stand: Juli 2023)
Baden-Württemberg
Das baden-württembergische Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) verordnet seit dem 1. Januar 2016 mindestens sieben Quadratmeter durchschnittliche Wohn- und Schlaffläche pro Person in den vorläufigen Unterbringungen der Landkreise. Außerdem soll aufgrund der Lage und Beschaffenheit der Unterkünfte eine Beteiligung der Bewohner*innen am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. „In besonderen Zugangssituationen“, so das Gesetz weiter, könne die oberste Aufnahmebehörde (das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg) von dieser Regelung abweichen41. Tatsächlich gilt seit dem Juni 2022 eine Mindestgröße von 4,5 Quadratmetern als ausreichend.
Bayern
Das Land Bayern hat keine bindenden Mindeststandards für Unterkünfte. Das Bayrische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration gibt aber Leitlinien zur Art, Größe und Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften und vergleichbaren dezentralen Unterkünften für Asylbewerber aus. Diese geben laut Präambel „den Rahmen vor für eine nach zeitgemäßen humanitären Maßstäben angemessene Unterbringung von Asylbewerbern“. Nach den Leitlinien soll die durchschnittliche Wohn- und Schlafraumfläche von sieben Quadratmetern pro vorgehaltenen Platz nicht unterschritten, und nicht mehr als vier Personen pro Raum untergebracht werden.
Berlin
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten in Berlin (LAF) hatte Mindeststandards in seinen Leistungs- und Qualitätsbeschreibungen geregelt. Noch 2021 wurde in einer mehrsprachigen Broschüre zu Rechten Pflichten und Ansprüchen von Bewohner*innen in LAF-Unterkünften unter anderem Mindestgröße von Zimmern benannt45. Die Größe für ein Ein-Bett-Zimmer beträgt neun Quadratmeter und steigt pro weiteres Bett im Zimmer um sechs Quadratmeter bis zu einer Größe von vier Betten und 27 Quadratmetern. In einem Raum sollen dabei nicht mehr als vier Personen leben. Bereits im Juli 2022 erklärte die damalige Sozialsenatorin Kipping jedoch, Qualitätsabstriche nicht ausschließen zu können. Im Frühjahr 2023 ist der Platz in Berliner Gemeinschaftsunterkünften so knapp geworden, dass Geflüchtete sogar im Schnitt vier Monate im Ukraine-Ankunftszentrum am Flughafen Tegel leben bleiben müssen, oder Menschen in Tempohomes genannten Wohncontainern unterkommen.
Brandenburg
In Paragraf 5 Abs. 6 seiner Landesaufnahmegesetz-Erstattungsverordnung (LaufnGErstV) räumt das Land Brandenburg sich die Möglichkeit ein, die Erstattung von Unterbringungskosten der Kommunen zu kürzen, wenn diese bestimmte Mindestbedingungen für Gemeinschaftsunterkünfte nicht umsetzen. Die Mindeststandards sehen unter anderem vor, dass für jede Person mindestens sechs Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung stehen sollen, wobei „nach Möglichkeit“ nicht mehr als vier Personen in einem Wohnraum untergebracht werden sollen. Um die Kommunen zu entlasten, plant das Land jedoch, zukünftig weniger Menschen auf die Kommunen zuzuweisen und Geflüchtete stattdessen länger in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen des Landes unterzubringen. Ab Juli 2023 könnten Geflüchtete in Brandenburg ohne sichere Bleibeperspektive 18 statt wie bisher sechs Monate in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung untergerbacht werden, „geprüft wird, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um auch die nach Bundesrecht möglichen in Einzelfällen 24 Monate ausschöpfen zu können“, sagte außerdem Innenminister Michael Stübgen Anfang Juni.
Bremen
Im Land Bremen existieren keine festgeschriebenen Standards für die Unterbringung von Geflüchteten. „Im Idealfall verfügt jede Wohneinheit über eigene Sanitäreinrichtungen“ so der Senat im Jahr 2015 in seiner Antwort auf eine große Anfrage der Fraktion Die Linke. Der Flüchtlingsrat Bremen beklagt, die Unterbringungssituation sei in Bremen „schon seit Jahren katastrophal schlecht“.
Hamburg
Die Hansestadt Hamburg hat keine bindenden Standards für die Qualität von Unterbringungen in öffentlich-rechtlicher Unterbringung veröffentlich, regelt aber bestimmte Qualitätsansprüche in einer Leistungsvereinbarung mit der Anstalt öffentlichen Rechts f & w – Fördern und Wohnen. Danach stehen pro Person mindestens sieben Quadratmeter zur Verfügung. Soweit möglich werden Zimmer mit zwei Personen belegt. Dies geht aus der Antwort des Senats auf eine große Anfrage mehrerer Abgeordneten im Jahr 2009 hervor, welche der Senat im Jahr 2019 in seiner Antwort auf eine weitere Anfrage als weiterhin gültig bezeichnet hat. Auch in Hamburg waren die Plätze in Unterkünften jedoch im Zuge der Zuwanderung aus der Ukraine nicht ausreichend, sodass neu angekommene Geflüchtete in Notunterkünften unterkommen.
Hessen
Das Land Hessen legt keine verbindliche Mindeststandards fest. Das Aufnahmegesetz des Landes spricht von „Unterkünften, die einen menschenwürdigen Aufenthalt ohne gesundheitliche Beeinträchtigung gewährleisten“ (§3 Abs. 1). Im Jahr 2020 bemängelte der Hessische Flüchtlingsrat die hohe Zahl der Personen, die in großen Gemeinschaftsunterkünften untergerbacht sind.
Mecklenburg-Vorpommern
In Mecklenburg-Vorpommern schreibt die Gemeinschaftsunterkunftsverordnung – GUVO M-V vom 6. Juli 2021 eine ganze Reihe von Ausstattungsmerkmalen für kommunale Unterbringungen vor. Ziel ist dabei, eine „menschenwürdige“ Unterbringung, in der „insbesondere Gesundheit und sittliches Empfinden der Bewohner […] nicht beeinträchtig werden [dürfen]“ (§2). Der Paragraf 3 Abs. 1 -2 regelt: „Pro Bewohner soll die Wohn- und Schlafraumfläche von sechs Quadratmetern nicht unterschritten werden. In einem Raum sollen nicht mehr als sechs Bewohner untergebracht werden“. Paragraf 9 der GUVO M-V räumt schließlich dem Landesamt für Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten Mecklenburg-Vorpommern Entscheidungsfreiheit über Ausnahmen von den Mindestanforderungen nach der Verordnung ein.
Niedersachsen
Es gibt in Niedersachsen keine landesweiten bindende Mindeststandards für die Unterbringung von Geflüchteten. Die Stadt Hannover hat in einer Verwaltungsvorschrift Standards für verschiedene Unterbringungsformen geregelt. Es gilt eine Mindestgröße pro Person von 10 Quadratmetern mit Ausnahme von Notunterkünften, in denen eine Größe von sechs Quadratmetern ausreicht. Auch die Stadt Osnabrück regelt einige Standards in ihrem Konzept zur Wohnraumversorgung und Integration von Flüchtlingen und strebt beispielsweise eine maximale Anzahl von zwei Personen pro Wohn- und Schlafraum in Gemeinschaftsunterkünften an. Im Zuge der Zuwanderung von Geflüchteten aus der Ukraine eröffnete auch die Stadt Osnabrück Notunterkünfte.
Nordrhein-Westfalen
In Nordrhein-Westfalen gibt es keine bindenden Mindeststandards für die Unterbringung von Geflüchteten. Die Stadt Köln hat im Juli 2017 Mindeststandards zur Flüchtlingsunterbringung beschlossen, in denen vor allem Betreuungsschlüssen und eine bessere Koordinierung ehrenamtlicher Unterstützer*innen vor Ort geregelt sind.
Rheinland-Pfalz
Das Land macht keine Vorschriften für Mindeststandards in der Unterbringung von Geflüchteten und argumentierte in der Vergangenheit damit, das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen nicht einschränken zu wollen.
Saarland
Im Saarland existieren keine Vorgaben oder Empfehlungen zu Mindeststandards.
Sachsen
Das Land gibt einige Vorschriften und Empfehlungen in einer Verwaltungsvorschrift Unterbringung. Dazu gehört die soll-Empfehlung von mindestens sechs Quadratmeter Schlaf- und Wohnraum pro Person. Es sollen außerdem nicht mehr als fünf Personen pro Raum untergebracht werden.
Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt geben Leitlinien von 2013 Empfehlungen bezüglich der Lage und Größe von Gemeinschaftsunterkünften. Die empfohlene Mindestgröße beträgt darin sieben Quadratmeter pro Person. Jedoch wurden die Mindeststandards nach diesen Leitlinien sowohl 2015 und 2016 als auch ab 2022 ausgesetzt.
Schleswig-Holstein
In einem Erlass des Innenministeriums Schleswig-Holstein vom Februar 2014 sind Mindeststandards für Gemeinschaftsunterkünfte verbindlich geregelt. Danach stehen jeder Person sechs Quadratmeter für den persönlichen Gebrauch zu.
Thüringen
In Thüringen regelt die Verordnung über Mindestbedingungen von Gemeinschaftsunterkünften verbindliche Vorgaben. Darin ist eine Wohn- und Schlaffläche von mindestens sechs Quadratmetern pro Person geregelt. Außerdem sollen „in der Regel“ nicht mehr als vier Personen pro Zimmer untergebracht werden.
Schutzkonzepte
Einige Bundesländer oder Städte verfügen ergänzend oder anstelle von gesetzlichen
Mindeststandards über ein Schutzkonzept für ihre Unterkünfte. Grundlage bietet dabei zumeist die Bundesinitiative Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften aus dem Jahr 2016.
Welche Sozialleistungen bekommen Asylbewerber?
Alleinstehende Asylbewerber*innen oder Geduldete haben derzeit Anspruch auf insgesamt 460 Euro im Monat. Hinzu kommen Sonderleistungen bei Krankheit oder Schwangerschaft. Asylbewerber*innen, die sich ehrenamtlich engagieren, dürfen zudem Honorare bis 200 Euro erhalten.Quellen
Änderungen ab 2025: Ab dem kommenden Jahr erhalten Asylbewerber*innen weniger Geld. Laut Bundesarbeitsministerium bekommen ab dem 1. Januar 2025:
> Alleinstehende, die nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen, 441 Euro (bisher 460)
> Paare in einer gemeinsamen Wohnung oder Asylbewerber*innen in Sammelunterkünften 397 Euro (bisher 413 Euro) Quelle Erläuterung
Damit erhalten Asylbewerber*innen künftig rund 22 Prozent weniger (bisher 18,3 Prozent) als Bürgergeld-Empfänger*innen ("Existenz-Minimum"). Wegen einer neuen Berechnungs-Methode sinken eigentlich auch die Bürgergeldsätze. Für deutsche Empfänger*innen gilt allerdings Bestandsschutz, weshalb die Beträge vorerst nicht sinken.
Solange sie in Erstaufnahme-Einrichtungen wohnen, erhalten sie diesen Anspruch überwiegend als Sachleistungen. Danach, wenn sie in Gemeinschaftsunterkünften oder Mietwohnungen leben, erhalten sie überwiegend Geldleistungen. Geregelt wird das im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Auch abgelehnte Asylbewerber*innen können sie beziehen, solange sie noch in Deutschland sind.Quelle
Asylbewerberleistungen im Verhältnis zu Leistungen nach dem SGB
Asylbewerber erhalten rund 18 Prozent weniger Sozialhilfe als Deutsche, bzw. anerkannte Geflüchtete und Flüchtlinge aus der Ukraine (460 EUR zu 563 EUR, Änderungen geplant). "Reduzierte Leistungen" gelten für die ersten drei Jahre, danach erhalten sie Leistungen analog zum Bürgergeld. Sobald sie als Geflüchtete anerkannt werden, erhalten sie das volle Bürgergeld. Dazu kommen bei einer Wohnung Hilfen für Miete und Heizung sowie eine eingeschränkte Krankenversorgung.Quellen
Leistungskürzungen und Ausschluss von Leistungen
Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 geurteilt, dass migrationspolitischen Erwägungen keine Senkung der Leistungen für Asylbewerber*innen und Flüchtlinge "unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum" rechtfertigen können. Spätere Urteile haben das bestätigt – etwa im Fall von Leistungen für alleinstehende erwachsene Asylsuchende in Sammelunterkünften.Quelle
Dennoch können Leistungen für Asylbewerber*innen und Geduldete gekürzt oder komplett gestrichen werden.
- Personen, die bereits Schutz in einem anderen EU-Mitgliedstaat bekommen haben, haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG §1 Abs. 4).
- Das "Sicherheitspaket" vom Oktober 2024 bestimmt außerdem: Schutzsuchende, für die nach der Dublin-III-Verordnung ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig ist (und für die eine Abschiebung angeordnet wurde), sollen keine Asylbewerberleistungen bekommen, wenn eine Ausreise für sie "rechtlich und tatsächlich möglich" ist. Ihnen wird ein "Laissez-Passer" erteilt, das sie zur selbständigen Ausreise befugt.Rechtsgrundlage
- Geduldete, die bei der Beschaffung von Pässen oder anderen Identitätsdokumenten nicht mitwirken, werden mit Leistungskürzungen, einem Arbeitsverbot und einer Wohnsitzpflicht bestraft ("Duldung light").
Mehr Hintergrundinfos dazu, wie Asylbewerber*innen Sozialleistungen bekommen, haben wir in einem Artikel zusammengefasst >> hier zum Artikel
Wie viele Personen beziehen Asylbewerberleistungen?
2023 ist die Zahl der Empänger*innen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gestiegen. Gleichzeitig sind die Bruttoausgaben leicht zurückgegangen. Diese unterschiedlichen Tendenzen lassen sich durch mehrere Faktoren erklären wie etwa schwankende Energiepreisen und unterschiedliche Erfassungszeitpunkte, vermutet das Statistische Bundesamt.
Rund 522.700 Personen empfingen Ende 2023 Asylbewerberleistungen – das sind rund acht Prozent mehr Leistungsempfänger*innen als im Vorjahr. Die Bruttoausgaben beliefen sich auf rund 6,29 Milliarden Euro, etwa drei Prozent weniger als Ende 2022.Quelle
Die häufigsten Herkunftsländer waren Syrien und die Türkei mit jeweils 15 Prozent der Leistungsberechtigten, Afghanistan (11 Prozent) und der Irak (8 Prozent). 5 Prozent stammen aus der Ukraine.Quelle
Rund drei Viertel der Leistungsempfänger*innen beziehen "Grundleistungen" nach dem Asylbewerberleistungsgesetz seit weniger als drei Jahren. Anerkannte Flüchtlinge erhalten gegebenenfalls andere Sozialleistungen wie etwa Bürgergeld.Quelle
Die meisten Leistungsempfänger*innen leben in Gemeinschaftsunterkünften (43 Prozent) oder "dezentralen Unterbringungen" wie etwa Wohnungen (rund 40 Prozent). 16 Prozent von ihnen leben in (Erst-)Aufnahemeinrichtungen.Quelle
Wann bekommen Geflüchtete Sach- oder Geldleistungen?
In den ersten Monaten nach Ankunft in Deutschland bekommen Geflüchtete hauptsächlich Sachleistungen: Essen, Kleidung, Hygieneprodukte und eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung ("notwendiger Bedarf") erhalten sie direkt in den Erstaufnahme-Einrichtungen der Bundesländer. In den ersten Monaten haben diese Sachleistungen Vorrang vor Geld. An Bargeld erhalten sie meist nur ein "Taschengeld" von monatlich etwa 182 Euro für den "notwendigen persönlichen Bedarf". In manchen Bundesländern, wie in Bayern, erhalten sie auch ÖPNV-Tickets und Internet-Zugang als Sachleistungen und dafür weniger "Taschengeld" (105 Euro in "Anker"-Zentren).Quelle
Wenn Asylsuchende aus den Erstaufnahme-Einrichtungen ausziehen, erhalten sie für ihren "notwendigen Bedarf" vor allem Geldleistungen statt Sachleistungen. In einer Kommune angekommen, entscheidet die jeweilige Kommune selbst, wie Geflüchtete staatliche Leistungen erhalten. In einigen Bundesländern müssen sie monatlich ihr Geld in "Zahlstellen" der Sozialämter abholen, in anderen Bundesländern bekommen sie es überwiesen.
Manche Bundesländer setzen vor allem auf Geld-, andere stärker auf Sachleistungen. So zahlt Nordrhein-Westfalen rund drei Viertel der Grundleistungen als Geld aus. In Sachsen ist es umgekehrt: Dort werden mehr als drei Viertel der Grundleistungen als Sachleistungen ausgegeben (Quellen). Viele Kommunen sind in den letzten Jahren von Sachleistungen abgekommen, weil sie oft "riesige logistische Herausforderungen" und höhere Kosten für die Kommunen bedeuten.Quelle
Was ist die Bezahlkarte für Asylbewerber?
Asylbewerber*innen und Geduldete in ganz Deutschland sollen demnächst ihre Sozialleistungen über eine Bezahlkarte bekommen – und nicht mehr als Bargeld oder per Überweisung wie bislang. Darauf haben sich die meisten Bundesländer geeinigt. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen eigene Bezahlkarten-Systeme einführen.
Die neue Karte soll eine "Debitkarte" mit Guthaben sein, das monatlich "aufgeladen" wird. Eigene Überweisungen sind nicht möglich, Bargeld-Abhebungen sowie Online-Käufe nur teilweise. Die Bundesländer planen einen Limit von 50 Euro pro Monat bei Geldabhebungen. Länder und Kommunen sollen die Möglichkeit haben, die Nutzung der Karte auf bestimmte Postleitzahl-Gebiete zu beschränken. Jedes Bundesland kann selbst entscheiden, welche Funktionen die neue Karte hat und welche nicht.Quelle
International gibt es nur wenige Beispiele zu Bezahlkarten-Systemen. In Frankreich erhalten Geflüchtete eine Debitkarte mit Guthaben, mit der sie in Geschäften bezahlen können. Geld-Abhebungen sind nicht möglich. In Großbritannien bekommen anerkannte Geflüchtete eine Debitkarte, die wöchentlich um rund 55 Euro pro Person aufgeladen wird. Abgelehnte Asylbewerber können damit nur bestimmte Dinge einkaufen. Auch in Griechenland existiert eine Geldkarte für Geflüchtete.
Was sagen Expert*innen?
Expert*innen und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Bezahlkarte in der aktuellen Form. Diese würde legale Überweisungen in die Herkunftsländer (sogenannte remittances) erschweren und informelle, intransparente Geld-Transfers stärken. Auch wären Asylbewerber*innen dadurch sehr stark in ihrem Alltag eingeschränkt: Überweisungen oder Online-Käufe wären nicht möglich. Viele Asylbewerber*innen könnten unter anderem die Rechnungen ihrer Anwält*innen nicht mehr begleichen.
Befürworter*innen sehen eher die praktischen Vorteile: Das monatliche "Abholen" des Geldes beim Amt würde entfallen. Geflüchtete könnten einfacher bezahlen, auch wenn sie noch kein Bankkonto besäßen, so die Stadtverwaltung Hannover. Überweisungen von Sozialleistungen ins Ausland würden erschwert, wobei es Zweifel gibt, ob die in nennenswertem Maße passieren. Letztlich kommt es darauf an, wie die Bezahlkarte funktioniert und ob sie Geflüchtete einschränkt.Quelle
Einer Einschätzung des BIM vom April 2024 zufolge, könnte die Bezahlkarte je nach Ausgestaltung die Integration und Teilhabe von Geflüchteten erschweren. Je ähnlicher sie einer regulären Zahlungskarte ist, desto geringer seien die negativen Folgen. Das Institut geht überdies nicht davon aus, dass durch die Einführung der Bezahlkarte Fluchtmigration verringert werden kann.Quelle
Wie werden Asylbewerberleistungen berechnet?
Asylbewerber*innen erhalten ein "Bürgergeld mit Abzügen", also weniger als das Existenzminimum in Höhe des Bürgergelds. Zur Berechnung des Bürgergelds werden die monatlichen Durchschnitts-Ausgaben der ärmsten 15 Prozent der Bevölkerung erhoben ("Statistik-Modell"). Davon werden im zweiten Schritt zahlreiche "nicht notwendige Waren" gestrichen ("Warenkorb-Prinzip"). So kommt man auf die sogenannten Regelbedarfe – also ein Existenz-Minimum, das mit dem Bürgergeld abgesichert werden soll. Zum Beispiel erhalten Bürgergeld-Empfänger*innen kein Geld für Alkohol, Tabak, Haustiere oder Blumen, für Hotel-Übernachtungen, Anwaltskosten oder für Grabpflege.Quelle
Bei Asylbewerber*innen werden noch weitere Beträge abgezogen – besonders für Strom, Hausrat, Möbel oder Computer. Die Begründung: Viele lebten in Unterkünften, wodurch einige Kosten der übrigen Bevölkerung wegfielen. Darüber hinaus erhalten sie kein Geld zum Beispiel für Musik- oder Sportkurse. Forscher kritisieren, dass nicht transparent sei, warum Beträge gekürzt würden. Und auch das Bundesverfassungsgericht hat das in einer Entscheidung von 2012 grundlegend kritisiert.Quelle
Wenn alleinstehende Asylbewerber*innen in Gemeinschaftsunterkünften leben, bekommen sie häufig dieselben Leistungen wie Paare. Faktisch bedeutet das eine Kürzung um zehn Prozent. Viele Kommunen behalten diese Kürzung bei, obwohl sie 2022 für verfassungswidrig erklärt wurde.Quelle
Sind Sozialleistungen ein „Pull-Faktor“?
Sozialleistungen für Geflüchtete werden in der Debatte über Migration immer wieder als ein sogenannter Pull-Faktor genannt. Die Höhe von Sozialleistungen beeinflusst demnach, wohin Menschen migrieren. In der Forschung ist das jedoch umstritten.
Was sind "Pull-Faktoren"?
Das Modell von "Push-" und "Pull-Faktoren" geht auf den US-amerikanischen Soziologen Everett Lee zurück. In seiner "Theory of Migration" von 1966 stellt er negative und positive Faktoren im Herkunfts- und Zielland gegenüber, die eine "anziehende" und "abstoßende" Wirkung haben können. Laut Lee gibt es auch neutrale Faktoren, die für Migration nicht ausschlaggebend sind, hinzu kommen etwa persönliche Faktoren. In der Migrationsforschung wird das Modell bereits seit den 1980er Jahren als unzureichend angesehen, da es die komplexen Prozesse der Migration stark vereinfache.Quelle
Sind Sozialleistungen tatsächlich ein "Pull-Faktor"?
In der Forschung wird die Annahme, dass Migrant*innen aufgrund sozialstaatlicher Leistungen ihr Zielland auswählen, als "Welfare Magnet Hypothesis" bezeichnet. In einer Studie der Princeton Universität 2019 stellten Forscher*innen fest, dass nach Kürzungen oder Anhebungen der Sozialleistungen in Dänemark zwischen 2002 und 2015 die Einwanderung zurückging beziehungsweise anstieg. Durch die Kürzungen um bis zu 50 Prozent sank die Zuwanderung um rund 3,7 Prozent.Quelle
An der Studie gibt es Kritik. Denn sie berücksichtigt andere Einflüsse nicht, die sich auf Migration auswirken können: Dass gleichzeitig der Familiennachzug eingeschränkt wurde, blieb außen vor. Eine der Haupt-Immigrant*innengruppen wurde außerdem nicht berücksichtigt: Menschen aus Bosnien-Herzegowina, die nach dem Jugoslawien-Krieg nach Dänemark kamen.Quelle
Andere Studien konnten keine oder nur sehr begrenzte Belege finden, dass Sozialleistungen ein entscheidender Faktor sind. Eine größere Rolle spielen etwa Menschenrechte:
- Das Center for Global Development stellte in einer Studie 2024 fest, dass mehr Menschen die Südwest-Grenze der USA überqueren, wenn es viele unbesetzte Arbeitsstellen in den USA gibt. Waren weniger Jobs verfügbar, ging auch die Zahl der Grenzübertritte zurück. Für die Studie wurden Migrations- und Arbeitsmarktdaten aus den Jahren 2000–2024 ausgewertet.Quelle
- Für eine Studie 2023 der HU Berlin haben Forschende Migrationsdaten für 160 Länder aus unterschiedlichen Zeiträumen ausgewertet und konnten nicht feststellen, dass höhere Sozialleistungen zu stärkerer Migration führen. Stattdessen seien die Größe und Wirtschaftsleistung eines Landes sowie die geographische Lage entscheidend. Auch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die gesprochene Sprache und höhere Gesundheitsausgaben machten ein Land attraktiver.Quelle
- In einer Studie 2023 hat ein Forschungsteam untersucht, ob unterschiedlich hohe Sozialleistungen in den Schweizer Kantonen die Binnenmigration beeinflussen. Trotz großer Unterschiede in der Höhe der Leistungen konnte nur ein sehr geringer Effekt auf die Mobilität zwischen den Kantonen festgestellt werden.Quelle
- Eine Studie der Australian National University hat Migrationsbewegungen aus 56 Herkunftsstaaten in 19 OECD-Staaten im Zeitraum von 1997 bis 2006 untersucht. Ein Ergebnis: Eine Verschlechterung der Lebensbedingungen im Zielland hat keinen Einfluss auf die Anzahl der gestellten Asylanträge. Eine Rolle spielten dafür ein erschwerter Zugang zum Staatsgebiet und strengere Asylverfahren.Quelle
- Auch Befragungsstudien unter Geflüchteten geben Aufschluss über die Gründe für die Entscheidung, wohin Menschen migrieren. In einer Befragung von Geflüchteten vom IAB, BAMF und SOEP aus dem Jahr 2016 gaben 26 Prozent der Befragten an, dass sie Deutschland aufgrund staatlicher oder sozialer Wohlfahrt als Zielland ausgewählt haben. Die drei wichtigsten Gründe waren die Achtung der Menschenrechte (73 Prozent), das Bildungssystem (43 Prozent) und das "Gefühl, willkommen zu sein" (42 Prozent).Quelle
- Dass die Wahrung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit für Geflüchtete bei der Entscheidung für ein Land eine große Rolle spielen, bestätigt auch eine Studie der Universität Sheffield 2016. Auch ob bereits Familie und Freunde im Zielland wohnen und welche Sprache im Zielland gesprochen wird, seien wichtige Faktoren.Quelle
Gesundheitsversorgung von Geflüchteten
Welche Gesundheitsleistung erhalten Asylsuchende?
Asylbewerber*innen erhalten in den ersten 36 Monaten in Deutschland laut Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eine eingeschränkte medizinische Versorgung für:
- akut behandlungsbedürftige Erkrankungen,
- chronischen Erkrankungen wie Diabetes,
- Schwangerschaft und Geburt,
- die von den gesetzlichen Krankenkassen empfohlenen Vorsorgen und Impfungen sowie
- im Einzelfall Zahnersatz.Quellen
Erst nach 36 Monaten haben Asylbewerber*innen Anspruch auf nahezu dieselbe medizinische Versorgung wie gesetzlich Versicherte. Die Wartezeit wurde 2024 im Rahmen der Asylreform von 18 auf 36 Monate verdoppelt. Einem Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 2024 zufolge hat das negative Folgen für die Gesundheit der Betroffenen. Auch für den Staat gebe es Nachteile: Wenn Behandlungen verzögert werden, fallen später mehr Kosten an.Quelle
Die Gesundheitsversorgung von Asylbewerber*innen fällt in den Verantwortungsbereich der Bundesländer und Kommunen, die diese Aufgabe unterschiedlich organisieren:
- Häufig benötigen Asylbewerber*innen für einen Arztbesuch einen Behandlungsschein, den das Sozialamt ausstellt. Teils müssen sie für jeden Arztbesuch einen neuen Schein beantragen, manchmal erstellen die Sozialämter den Schein pauschal für drei Monate. Ausnahmen gelten bei Notfällen.Quellen
- 6 Bundesländer und einzelne Kommunen in drei weiteren Bundesländern (Stand März 2024) sind dazu übergegangen, Asylbewerber*innen eine elektronische Gesundheitskarte auszuhändigen, mit der sie direkt zum Arzt gehen können. Das soll den Zugang zum medizinischen System verbessern und Verwaltungskosten reduzieren. Einem Bericht 2024 zufolge haben auch in diesen Bundesländern noch viele Geflüchtete keinen Zugang zur Karte.Quelle
- Eine Übersicht dazu, wie die Bundesländer die Gesundheitsversorgung organisieren, hat das Institut MIDEM 2022 erstellt.Quelle
Wie ist die gesundheitliche Situation von Geflüchteten?
Zur gesundheitlichen Situation von Geflüchteten gibt es nur wenige Studien. Aktuelle Erhebungen zeigen: Traumatische Erfahrungen vor und während der Flucht, das Leben in Gemeinschaftsunterkünften getrennt von der Familie und unsichere Zukunftsperspektiven können sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Auch die eingeschränkten Leistungen zu Beginn des Aufenthalts, Sprachbarrieren und Rassismuserfahrungen im Gesundheitswesen können sich negativ auf die Gesundheit auswirken, u.a. weil Betroffene seltener zum Arzt gehen.Quelle
Zuletzt wurde häufiger über die Nutzung von Gesundheitsleistungen von Asylsuchenden diskutiert. 2024 zeigte eine Studie der Universität Bielefeld mit Daten für 2018: Geflüchtete nehmen zahnmedizinische Leistungen seltener in Anspruch als die Allgemeinbevölkerung. Laut RKI ist die Inanspruchnahme "sehr niedrig und nicht bedarfsgerecht":Quelle
Psychologische Versorgung von Geflüchteten
Viele Geflüchtete machen belastendende und traumatisierende Erfahrungen auf der Flucht, durch Krieg und Verfolgung, der Trennung von der Familie oder unsicheren Zukunftsperspektiven:
- Die repräsentative IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2018 ergab, dass das psychische Wohlbefinden von Geflüchteten, die seit 2013 ankamen, deutlich niedriger ist als im Rest der Bevölkerung.Quelle
- Auch eine Auswertung von mehr als 30 Studien zum Thema lässt darauf schließen, dass Geflüchtete stärker von psychischen Erkrankungen betroffen sind: Rund 30 Prozent zeigten Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), rund 40 Prozent depressive Symptome. Bei einer Interpretation der Ergebnisse sei allerdings Vorsicht geboten: Die Zahlen hängen zum Beispiel stark davon ab, wann man welche Gruppe von Geflüchteten befrage.Quelle
Therapeutische Hilfe zu erhalten, ist für Gelfüchtete sehr schwer. Denn in den ersten 36 Monaten in Deutschland können sie in der Regel nur bei akuten Erkrankungen zum Arzt gehen. Eine Psychotherapie genehmigen die Behörden nur in Ausnahmen.
Anerkannte Geflüchtete und Schutzsuchende, die sich länger als 18 Monate in Deutschland aufhalten, erhalten die regulären Leistungen der Krankenkasse. Die Kassen übernehmen dann auch eine Psychotherapie. Einen Platz zu erhalten und ausreichend versorgt zu werden, ist jedoch schwer. Es fehlen oft Sprachmittlungen, Therapieplätze und Sensibilisierung unter Therapeut*innen, etwa zum Thema Rassismus oder posttraumatischen Belastungsstörungen von Kriegsflüchtlingen.Quelle
Geflüchtete können Unterstützung bei den Psychosozialen Zentren finden. Davon gibt es aktuell rund 50 in Deutschland.
2022 versorgten die Zentren 25.861 Personen: Sie erhielten psychosoziale und asylrechtliche Beratungen oder eine psychotherapeutische Behandlung. Die Zentren gehen davon aus, dass sie nur rund drei Prozent der Geflüchteten versorgen, die Unterstützung benötigen könnten. 2022 warteten Personen in den Zentren im Durchschnitt 5,7 Monate auf einen Therapieplatz und somit länger als Personen in der Regelversorgung.Quelle
Wichtige Quelle
Versorgungsberichte der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren, LINK
Was sind Wohnsitzauflage und Residenzpflicht?
Solange sie in einer Aufnahmeeinrichtung leben, dürfen Asylbewerber nicht ohne Genehmigung den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde verlassen (sogenannte Residenzpflicht).
In einer solchen Einrichtung bleiben Asylbewerber sechs Wochen bis maximal sechs Monate, je nachdem, ob wie viele Plätze verfügbar sind. Danach werden sie in der Regel in eine Anschlussunterbringung vermittelt. Damit endet die Residenzpflicht. Selbst wenn das nicht geschieht, sind sie nach sechs Monaten von der Residenzpflicht befreit. Für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten gilt die Residenzpflicht bis zum Ende des Asylverfahrens.Quelle
Für anerkannte Flüchtlinge gilt nach dem Integrationsgesetz eine Wohnsitzauflage: Sie müssen bis zu drei Jahre lang in dem Bundesland wohnen bleiben, in dem ihr Asylverfahren durchgeführt wurde, sofern sie nicht einen Job oder Ausbildungsplatz nachweisen können. Darüber hinaus kann ihnen innerhalb eines Bundeslands ein Wohnort zugewiesen werden (Wohnsitzzuweisung) oder der Zuzug in einen bestimmten Wohnort untersagt werden (Zuzugssperre). Nur sieben Bundesländer haben die Wohnsitzauflage durchgesetzt (Stand: Januar 2020). Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist umstritten. Experten des SVR-Forschungsbereichs fordern zum Beispiel, dass die Bundesländer bei der Verteilung stärker als bislang auf die Situation am Arbeits-, Ausbildungs- und Wohnungsmarkt vor Ort achten sollten.
Frauen in Flüchtlingsunterkünften
Mehr als 40 prozent aller Asylsuchenden sind Frauen und Mädchen. Viele von ihnen fliehen vor geschlechtsspezifischer Gewalt oder erleben Übergriffe während der Flucht.
Auch in deutschen Unterkünften kommt es zu Übergriffen. Statistiken hierzu gibt es nicht. Erfahrungsberichte von Sozialarbeiterinnen und Befragungen zeigen jedoch, dass Frauen häufig Gewalt erfahren. Im August 2016 veröffentlichte der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlaments (FEMM) eine Fallstudie zur Unterbringung von Frauen in München. Eine der wenigen bundesweiten Studien, die vorliegen, ist von 2004 und nicht repräsentativ. Beide Studien zeigen deutliche Tendenzen:
- Demnach gab eine große Mehrheit von knapp 80 Prozent der geflüchteten Frauen an, in Deutschland psychischer Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein,
- jede zweite sprach von körperlicher Gewalt
- und jede vierte berichtete von sexueller Gewalt. Die Täter waren demnach Beziehungspartner, fremde Personen, Mitbewohner sowie Personal in Unterkünften.Quelle
Eine repräsentative Befragung geflüchteter Frauen der Berliner Charité von März 2017 zeigt: 26 Prozent fühlen sich in den Unterkünften aufgrund von Sprache oder Religion diskriminiert. 21 Prozent erleben die Atmosphäre der Unterkunft als problematisch, dazu zählen sowohl Lärmbelastung als auch Gewalterfahrungen vor Ort. Ebenfalls 21 Prozent beschreiben ein respektloses Klima.Quelle
2016 haben das Bundesfamilienministerium und UNICEF Mindeststandards für ein Schutzkonzept in Flüchtlingsunterkünften herausgegeben. Im Juni 2017 wurden sie überarbeitet und sind hier abrufbar. Vor allem "besonders schutzbedürftige" Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftunterkünften sollen davon profitieren. Zu ihnen zählen unter anderem Schwangere und alleinerziehende Mütter mit minderjährigen Kindern sowie Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Verpflichtend ist die Einführung eines Schutzkonzepts für Heimbetreiber jedoch nicht. Ein Gesetzentwurf, der die Verpflichtung umsetzen würde, liegt vor, aber ist noch nicht im Bundesrat beschlossen worden (Stand: Juli 2017).
Seit 2016 gibt es in Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen Unterkünfte, die speziell für alleinreisende und alleinerziehende Frauen eingerichtet sind.
Geschlechtsspezifische Verfolgung bedeutet laut UNHCR, dass das Geschlecht die Art der Verfolgung beeinflusst, etwa sexuelle Gewalt wie zum Beispiel Vergewaltigung, Zwangsheirat, Zwangssterilisation. Auch kann das Geschlecht den Grund für die Verfolgung darstellen, etwa bei Genitalverstümmelung, Gewalt in der Familie, Bestrafung wegen Ehebruchs oder Homosexualität oder Frauenhandel. Seit dem Zuwanderungsgesetz 2005 kann sie in Deutschland als Grund geltend gemacht werden, um Asyl zu erlangen. Rechtlich fällt geschlechtsspezifische Verfolgung unter die Kategorie "Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Laut Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben im Jahr 2016 rund 18.800 Personen Flüchtlingsschutz aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung erhalten. Zum Vergleich: 2015 waren es rund 1.300 Menschen.
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