Menschenhandel
In Deutschland wird regelmäßig über Menschen berichtet, die in der Prostitution oder auf dem Arbeitsmarkt ausgebeutet werden. Sind sie gegen ihren Willen in solche Situationen gebracht worden, kann „Menschenhandel“ vorliegen. Kriminalstatistiken zufolge sind viele der Betroffenen Migrant*innen. Was aber genau steckt hinter dem Begriff? Warum gibt es keine verlässlichen Zahlen zum Ausmaß des Problems? Und wieso werden nur wenige Fälle vor Gericht verurteilt?
Was ist Menschenhandel?
Menschenhandel umfasst laut der Definition der Vereinten Nationen drei Elemente:
- Was wird getan? Menschen werden rekrutiert, transportiert, oder an einem bestimmten Ort untergebracht.
- Wie wird es getan? Menschenhändler nutzen verschiedene Mittel, oft unter Androhung oder Anwendung von Gewalt: Sie machen falsche Versprechungen, üben psychischen oder physischen Missbrauch aus, behalten Einkommen oder Ausweisdokumente ein oder schränken die Bewegungsfreiheit ein.Quelle:
- Zu welchem Zweck? Ziel ist die Ausbeutung von Menschen, sei es durch Zwangsarbeit, Sklaverei oder sogar Organhandel.
Nicht alles muss zutreffen, um von Menschenhandel zu sprechen. Menschenhandel findet nicht nur international statt, sondern auch innerhalb eines Landes. Es gibt moderne Formen wie "Cyber Trafficking", bei denen Personen im Internet rekrutiert und ausgebeutet werden. Das erschwert laut dem Büro für Kriminalitätsbekämpfung der UN (UNODC) die Bekämpfung.Quelle:
Laut Datenbank des Counter Traffiking Data Collaborative (CTDC) sind über die Hälfte der Opfer von Menschenhandel in Europa von Arbeitsausbeutung betroffen, etwa 40 Prozent von sexueller Ausbeutung. Weitere Formen sind Zwangsbetteln, Zwangsverheiratung, erzwungene Straftaten (wie Diebstähle oder Drogenhandel) und Organentnahme.Quelle:
Hier finden Sie Fallbeispiele von Menschenhandel in Deutschland
Wie viele Menschen sind von Menschenhandel betroffen?
Rund 50 Millionen Menschen waren 2021 weltweit von moderner Sklaverei betroffen, schätzen ILO, IOM und Walk Free in einem Bericht "Global Estimates of Modern Slavery". Das UN-Büro für Kriminalitätsbekämpfung (UNODC) spricht für 2022 von 74.785 Betroffenen von Menschenhandel aus 156 Staaten (2021: 55.290 Betroffene). Die Zahlen der UNODC sind deutlich niedriger, da sie auf registrierten Fällen von Behörden basieren. Die Zahl des "Global Estimates of Modern Slavery" nutzt Daten aus Befragungen und Schätzungen.Quelle
Zahlen für die EU: Auf EU-Ebene werden regelmäßige Berichte von GRETA und Statistiken von Eurostat veröffentlicht. Diese stammen von offiziellen Stellen und Behörden der EU-Länder. Laut Eurostat waren in der EU 2022 insgesamt 10.093 Menschen von Menschenhandel betroffen:
- Davon waren 63 Prozent Frauen und Mädchen.
- 82 Prozent waren von sexueller Ausbeutung und Zwangsarbeit betroffen: 4.014 von sexueller Ausbeutung und 3.990 von Zwangsarbeit.Quelle
Weitere Zahlen zu den Betroffenen von Menschenhandel in der EU finden Sie HIER
Betroffene von Menschenhandel in Deutschland: Auch hier ist die genaue Anzahl der Betroffenen wegen des großen Dunkelfelds (siehe unten) schwer zu bestimmen. Das BKA veröffentlicht Daten zu abgeschlossenen Verfahren.Quelle
Laut BKA wurden 2023 insgesamt 474 Ermittlungsverfahren (2022: 505) im Bereich Menschenhandel und Ausbeutung abgeschlossen. Davon 299 (2022: 346) zu sexueller Ausbeutung und 36 (2022: 34) zu Arbeitsausbeutung. Zwischen 2018 und 2022 wurden rund 4.200 Betroffene erfasst.Quelle
Laut eines Berichts des Deutschen Instituts für Menschenrechte gab es in Deutschland im Zeitraum 2020-2022:
- 3.155 Betroffene von Menschenhandel, erfasst durch Ermittlungsbehörden,
- 2.652 neue Fälle bei Fachberatungsstellen zu Menschenhandel (siehe unten),
- 1.052 Verdachtsfälle bei arbeitsrechtlichen Beratungsstellen.Quelle:
Der bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel veröffentlicht jährlich Daten aus den Fachberatungsstellen (FBS) zu Menschenhandel in Deutschland. 2023 registrierten 19 FBS insgesamt 702 Fälle von Menschenhandel.Quelle:
Woher kommen die Betroffenen?
Migrant*innen sind besonders gefährdet, in ausbeuterische Verhältnisse zu gelangen, doch es sind auch viele Personen aus Deutschland betroffen.
Das Bundeskriminalamt (BKA) spricht von einem "hohen Dunkelfeld" bezüglich der Zahlen von Betroffenen, da diese sehr selten zur Polizei gehen. Gründe dafür sind:
- Betroffene erkennen sich oft nicht als "Opfer".
- Sie haben Angst vor Behörden, insbesondere aufgrund rechtlicher Probleme wie einem unsicheren Aufenthaltsstatus.
- Sie haben Angst vor den Tätern. Häufig besteht eine emotionale, finanzielle oder auf den Wohnort bezogene Abhängigkeit von den Tätern.
- Sie befürchten Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung.Quelle:
Was führt dazu, dass eine Person von Menschenhandel betroffen ist?
Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) sind Armut und fehlende Lebensperspektiven die Hauptursachen. Der Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) spricht zudem von Krisen, Diskriminierung, Gewalt und mangelnder sozialer Absicherung als weitere entscheidende Risikofaktoren. Der UN zufolge erhöhen eine restriktive Migrationspolitik und felende Zugänge zum regulären Arbeitsmarkt das Risiko für Ausbeutung. Weitere Faktoren sind globale Ungleichheiten und die hohe Nachfrage nach billigen Arbeitskräften.Quelle
Wie ist die Rechtslage bezüglich Menschenhandel in Deutschland?
Im Oktober 2016 wurde die Gesetzeslage zum Menschenhandel grundlegend reformiert. Seitdem regelt nur noch ein Paragraf die Strafbarkeit von Menschenhandel – zuvor waren es drei Paragrafen. Gemäß § 232 Strafgesetzbuch macht sich jemand wegen Menschenhandels strafbar, wenn er eine Person "anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt", um
- die Person auszubeuten – sei es in der Prostitution, auf dem Arbeitsmarkt, beim Betteln oder bei der Begehung von Straftaten,
- die Person "in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft" zu halten oder
- der Person rechtswidrig ein Organ zu entnehmen.Quelle
Der Straftatbestand ist jedoch nur erfüllt, wenn
- der Täter eine persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage des Opfers ausnutzt,
- der Täter eine Hilflosigkeit des Opfers ausnutzt, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist – Experten sprechen von einer "auslandsspezifischen" Hilflosigkeit, oder wenn
- das Opfer unter 21 Jahre alt ist.Quelle
Aufenthaltsrechte für Betroffene von Menschenhandel
Personen, die von Behörden als Betroffene von Menschenhandel identifiziert werden, steht grundsätzlich die Chance auf ein Aufenthaltsrecht zu. Betroffene aus einem EU-Land dürfen sich gemäß § 2 des Freizügigkeitsgesetzes in Deutschland aufhalten und eine Beschäftigung aufnehmen. Für Opfer aus Drittstaaten gelten die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes: Nach ihrer Identifizierung durch die Behörden erhalten sie eine dreimonatige Bedenk- und Stabilisierungsfrist, in der sie nicht abgeschoben werden dürfen (§ 59 Abs. 7 AufenthG). In diesem Zeitraum können sie entscheiden, ob sie mit den Behörden zusammenarbeiten möchten und bereit sind, im Strafverfahren gegen die Täter auszusagen. Entscheiden sie sich für eine Zeugenaussage, so wird ihnen eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Strafverfahrens gewährt (§ 25 Abs. 4a AufenthG). Entscheiden sie sich dagegen oder ist der Prozess abgeschlossen, müssen sie ausreisen oder werden abgeschoben.
Seit 2015 gibt es die Möglichkeit, den Aufenthaltstitel über das Strafverfahren hinaus zu verlängern. Voraussetzung: Der weitere Aufenthalt des Opfers muss aus humanitären oder persönlichen Gründen oder aus öffentlichem Interesse erforderlich sein.Quelle
Experten des "Deutschen Instituts für Menschenrechte" kritisieren, dass das Aufenthaltsrecht der Betroffenen weitestgehend an ihre Kooperation im Strafverfahren gekoppelt ist. Denn in der Praxis erklärten sich nur wenige Betroffene bereit oder seien in der Lage, mit den Behörden zu kooperieren. Viele befürchteten, aufgrund ihrer Aussage erneut verfolgt oder für eigene Straftaten (zum Beispiel illegaler Aufenthalt) belangt und abgeschoben zu werden. Das spiegelt sich auch in der Statistik wider: Laut dem "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" lebten Ende 2016 nur rund 67 Personen mit einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4a AufenthG in Deutschland. Im selben Jahr wurden jedoch über 500 Opfer von Menschenhandel registriert.Quelle
Um Betroffene von Menschenhandel zu schützen, fordern internationale Organisationen und Menschenrechtler, ihnen ein Bleiberecht zu gewähren, das unabhängig ist von ihrer Aussage, und ihren Schutz von strafrechtlichen Interessen zu entkoppeln.Quelle
Aus welchen Ländern kommen die Betroffenen von Menschenhandel?
Von den Betroffenen sexueller Ausbeutung, die 2018 identifiziert wurden, waren die meisten deutsche Staatsangehörige (rund 18 Prozent), gefolgt von bulgarischen, rumänischen (beide rund 15 Prozent) und nigerianischen Staatsangehörigen (rund 14 Prozent). Die identifizierten Betroffenen von Arbeitsausbeutung kamen größtenteils aus der Ukraine (rund 43 Prozent). Die Zahlen sind allerdings nur bedingt aussagekräftig. Denn in der Statistik werden nicht nur Fälle von Menschenhandel erfasst, sondern auch andere Formen von Ausbeutung – zum Beispiel Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution. Zudem sind nur Fälle erfasst, zu denen im Jahr 2018 Ermittlungsverfahren abgeschlossen wurden.Quelle
Anders als oftmals angenommen, werden nicht alle Betroffenen von Menschenhandel zur Ausreise gezwungen. Viele von ihnen verlassen ihr Land freiwillig in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen. Wissenschaftler und NGOs kritisieren daher politische Maßnahmen zur Kontrolle von Migration, die nicht – wie vorgegeben – zur Bekämpfung von Menschenhandel beitragen, sondern die Situation der Betroffenen verschlechtern.Quelle
Flüchtlinge als Betroffene von Menschenhandel
Eine Befragung von Opferberatungsstellen aus dem Jahr 2017 zeigt: Die Zahl der Betroffenen von Menschenhandel, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, ist in den vergangenen zwei Jahren gestiegen. Die meisten von ihnen kommen aus westafrikanischen Ländern und wurden während der Flucht ausgebeutet. Erkenntnisse zu Betroffenen aus anderen Herkunftsländern liegen bislang nicht vor. Beratungsstellen gehen jedoch davon aus, dass es eine hohe "Dunkelziffer" geben könnte.Quelle
News Zum Thema: Menschenhandel
Neue Rubrik Menschenhandel – unter Zwang ausgebeutet
Am 18. Oktober ist der EU-weite Tag gegen Menschenhandel. Neben illegalen Drogen- und Waffengeschäften stellt diese schwere Form der Ausbeutung eines der größten international organisierten Verbrechen dar. Dabei handelt es sich nicht immer um verschleppte Menschen. "Menschenhandel" bezeichnet Situationen, in denen Menschen getäuscht, erpresst, bedroht oder anders dazu genötigt werden, unter prekären Bedingungen zu arbeiten. Kriminalstatistiken zufolge sind die meisten Betroffenen Migranten. Zahlen und Fakten zum Thema finden Sie in unserer neuen Rubrik "MENSCHENHANDEL".