Am 17. Oktober 2014 fand eine Sondersitzung der Innenminister von Bund und Ländern in Berlin statt, in der beschlossen wurde, dass radikalen Islamisten in Zukunft der Personalausweis entzogen werden soll, um ihnen die Ausreise in Krisengebiete zu erschweren. Sie sollen ein Ersatzdokument erhalten, mit dem sie sich ausweisen können. Hierzu ist eine Änderung des Personalausweisgesetzes notwendig. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll in Kürze vorgelegt werden, wie die Innenminister in einem Positionspapier erklärten.
Bis vor wenigen Jahren reisten militante Islamisten vor allem nach Afghanistan und Pakistan aus, um sich dort dschihadistischen Gruppen anzuschließen und für den Kampf ausbilden zu lassen. Für die Ausreise in diese Länder benötigten sie einen gültigen Reisepass. Dem Passgesetz zufolge kann dieser bei "Terror-Verdacht" entzogen werden.
Heute gehören Syrien und der Irak zu den Hauptzielländern radikaler Dschihadisten. Sie an einer Weiterreise dorthin zu hindern, ist schwieriger. Einem in den Medien vielfach zitierten internen Bericht der Sicherheitsbehörden zufolge kämpfen derzeit rund 450 Dschihadisten aus Deutschland in den Reihen des selbsternannten "Islamischen Staats" (IS). Die meisten von ihnen reisten zuerst in die Türkei, um sich von dort in die Kampfgebiete in Syrien und im Irak abzusetzen. Laut Übereinkommen über Personenverkehr zwischen Mitgliedern des Europarates, braucht man lediglich einen gültigen Personalausweis, um in die Türkei zu reisen. Dieser kann im Unterschied zum Reisepass nicht entzogen werden. Denn: In Deutschland gilt eine Ausweispflicht. Jeder Bundesbürger ist demnach verpflichtet, einen Personalausweis zu besitzen, um sich ausweisen zu können.
Sperrvermerk für mutmaßliche Dschihadisten?
Allerdings sieht das bestehende Gesetz vor, dass ein deutscher Staatsbürger seinen Personalausweis für die Ausreise nicht benutzen darf, wenn ihm sein Reisepass entzogen beziehungsweise verweigert wurde. In diesem Fall veranlasst das Bundespolizeipräsidium eine Fahndungsmaßnahme, die umgehend an die Grenzpolizei weitergeleitet wird, wie die Bundespolizei dem MEDIENDIENST auf Anfrage bestätigte. Um einen mutmaßlichen Dschihadisten an der Ausreise zu hindern, müssten die Beamten bei der Grenzkontrolle seinen Personalausweis elektronisch kontrollieren – was aufgrund der hohen Passagierzahlen an den Flughäfen jedoch immer seltener passiert.
Vor diesem Hintergrund wird in der Großen Koalition über verschiedene Verschärfungen nachgedacht. So plädierte etwa Wolfgang Bosbach, innenpolitischer Experte der CDU, dafür, Personalausweise von Terror-Verdächtigten mit einem sichtbaren Sperrvermerk zu versehen. SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl äußerte Medien gegenüber, sie wolle diese Möglichkeit prüfen lassen.
Rechtswissenschaftler bezweifeln jedoch, dass eine solche Kennzeichnung des Personalausweises mit dem Grundgesetz und dem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vereinbar ist. So hält etwa Thomas Groß, Professor für öffentliches und Europarecht an der Universität Osnabrück, bereits einen Sperrvermerk für problematisch: "Der Personalausweis ist ein wichtiger Bestandteil unseres öffentlichen Lebens: Damit öffnen wir Bankkonten, checken in Hotels ein oder bestellen einen Bibliothek-Ausweis. Ein sichtbarer Vermerk, der übrigens allein aufgrund eines Verdachts erteilt werden könnte, würde zu einer Diskriminierung einzelner Bürger führen."
Die Überlegungen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gehen noch weiter: Es werde erwogen, ob man ausreisewilligen Extremisten den Personalausweis entziehen und ihnen stattdessen ein Ersatzdokument ausstellen könnte. Zudem überlege man, Doppelstaatlern die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, wie de Maizière Medien gegenüber äußerte. Darüber soll demnächst bei einer Sitzung der Länder-Innenminister und auf EU-Ebene abgestimmt werden.
Auch gegenüber diesem Vorschlag zeigt sich Thomas Groß skeptisch: "Laut Artikel 16 des Grundgesetzes darf die deutsche Staatsangehörigkeit auf keinen Fall entzogen werden", so der Rechtswissenschaftler. Zwar erlaube das Gesetz den Verlust der Staatsangehörigkeit, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. "Das heißt allerdings nicht, dass man einem Doppelstaatler die Staatsbürgerschaft entziehen kann. Denn es gibt einen klaren rechtlichen Unterschied zwischen Verlust und Entzug: Ein Verlust tritt zum Beispiel in einigen Fällen bei der Aufnahme einer anderen Staatsangehörigkeit ein. Der Entzug impliziert hingegen eine Handlung seitens des Staates."
Die UN fordert strengere Maßnahmen
Hinzu kommt: Selbst wenn man Doppelstaatler ausbürgern könnte, hätten diese dann ja noch einen ausländischen Pass. Den kann die Bundesrepublik nicht entziehen. Zwar können die deutschen Behörden einen ausländischen Staatsbürger, der „einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt“ laut Aufenthaltsgesetz ausweisen – selbst wenn er EU-Bürger ist. Ihn jedoch an der Ausreise zu hindern, ist nur in Ausnahmefällen möglich.
So steckt die Bundesregierung in einer Zwickmühle. Denn einerseits muss Deutschland eine kürzlich verabschiedete Resolution des UN-Sicherheitsrates umsetzen. In dieser verpflichten sich die Mitgliedstaaten, Informationen über militante Islamisten auszutauschen und sie aktiv an der Ausreise zu hindern. Andererseits ist der rechtliche Spielraum dafür sehr gering. Zudem war man bisher oft eher daran interessiert, mutmaßliche Terroristen loszuwerden, statt sie im Land zu halten. In diese Richtung geht de Maizières Erwägung, Doppelstaatlern den deutschen Pass zu entziehen.
Auch in anderen europäischen Ländern werden indes Maßnahmen diskutiert, um die Ausreise von militanten Islamisten zu unterbinden. So plant die britische Regierung, die Regeln für einen Passentzug bei Terror-Verdacht zu lockern. Frankreich will vermeintlichen Terroristen sowohl Reisepass als auch Personalausweis entziehen – für sechs Monate oder länger. In den Niederlanden wird eine Gesetzesreform geplant, die Passentzug und Meldepflicht für rückkehrende Dschihadisten vorsieht.Quellen
Damit diese Maßnahmen greifen können, muss jedoch erst einmal der Verdacht vorliegen, dass jemand sich an Kampfhandlungen beteiligen will, was oft nur schwer nachweisbar ist.
Von Rana Göroglu und Fabio Ghelli
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