Zur Definition vorweg: Im Artikel wird eine geschlechtersensible Schreibweise mit verschiedenen Abkürzungen verwendet. "LGBT" kürzt die englischen Begriffe Lesbian, Gay, Bisexuell und Transgender ab. Häufig kommen noch die Bezeichnungen Intersexuell und Queer hinzu (LGBTIQ). Der "Gender-Gap" wie bei "Migrant_innen" oder der "Gender-Star" wie bei "Trans*Menschen" stehen für eine Vielzahl von Geschlechtern jenseits von männlich und weiblich.
Jedes Jahr beantragen lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen Asyl in Europa. Die Gründe für ihre Flucht sind vielfältig. Oft fliehen sie, weil sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität verfolgt oder bedroht werden. Auch unter denen, die derzeit nach Deutschland kommen, sind zahlreiche Menschen, die deshalb ihre Heimat verlassen haben.
Wie viele es genau sind, lässt sich nicht sagen. Es gibt hierfür keine offiziellen Statistiken, sondern lediglich Schätzungen. Experten zufolge kommen besonders viele LGBT-Geflüchtete nach Berlin. Die Schwulenberatung Berlin schätzt ihre Zahl auf 3.500 bis 7.000, wie aus einem Bericht der taz hervorgeht. Mitarbeiter Stephan Jäkel begründet das mit der großen LGBT-Community in der Hauptstadt. "Die erleichtert es den Geflüchteten, Beratungsangebote oder eine spezielle Gesundheitsversorgung zu finden."
Mittlerweile melden sich bei den Beratungsstellen auch ehrenamtliche Helfer aus Flüchtlingsunterkünften in anderen Bundesländern. Laut Jäkel geht es dabei um Fragen wie: Wer bietet konkrete Hilfsangebote für LGBT-Geflüchtete an? Wie kann man speziell geschulte Ärzte ausfindig machen? Was muss bei einer Hormontherapie beachtet werden, die Transgender nach einer Geschlechtsumwandlung benötigen?
Spezielle Probleme im Asylverfahren
Laut Gesetz müssen Geflüchtete im Asylverfahren begründen, warum sie Asyl beantragen. Menschen, die Diskriminierung oder Gewalt wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Identität erlebt haben, fällt das jedoch oft schwer, gerade gegenüber Behörden. Der Schwulenberatung Berlin und dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) zufolge gibt es zudem immer wieder Probleme mit Dolmetschern. Sie übersetzten zum Teil fehlerhaft oder beeinflussten Aussagen bewusst, da sie selbst voreingenommen seien.
In die Schlagzeilen geraten LGBT-Flüchtlinge in letzter Zeit hauptsächlich durch Berichte über Diskriminierung oder Übergriffe in den Unterkünften. Der Tagesspiegel berichtete beispielsweise über eine transgeschlechtliche Geflüchtete aus dem Irak, die in einer Notunterkunft bedroht wurde. Die Berliner Zeitung schrieb über die negativen Erfahrungen von zwei homosexuellen Geflüchteten aus Syrien und Georgien in Berliner Gemeinschaftsunterkünften.
Die speziellen Angebote, die es in Berlin für LGBT-Flüchtlinge gibt, sind dagegen weniger bekannt:
- Die Schwulenberatung Berlin bietet zweimal pro Woche einen Treffpunkt für LGBT-Flüchtlinge an. Sie unterstützt die Geflüchteten in mehreren Sprachen und hilft bei der Suche nach Ärzten, Rechtsanwälten oder Angeboten für Sprachkurse. Der Treffpunkt ist ohne Anmeldung für alle offen.
- Bei MILES, dem Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule des LSVD, gibt es derzeit viele Anfragen zu Beratungen für homosexuelle Migranten und ihre Angehörigen. Laut MILES-Leiterin Jouanna Hassoun wurden seit Anfang des Jahres über 500 persönliche Beratungsgespräche durchgeführt.
- LesMigraS ist ein spezielles Angebot bei der Lesbenberatung Berlin für LBTI mit Migrationshintergrund und Schwarze LBTI. Dazu gehört unter anderem eine kostenlose Rechtsberatung zum Asyl- und Aufenthaltsrecht.
Auch die Politik befasst sich angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen zunehmend mit der Situation von LGBT-Asylsuchenden. Im August letzten Jahres beschloss der Berliner Senat das "Versorgungs- und Integrationskonzept für Asylbegehrende und Flüchtlinge". Darin wurde festgelegt, dass "zumindest im erweiterten Sinne auch von Gewalt bedrohte Frauen sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans- und intergeschlechtliche Menschen, die als Flüchtlinge in Berlin um Asyl nachsuchen, als besonders schutzbedürftige Personengruppen zu verstehen" sind. LGBT-Menschen werden hier zwar nicht rechtlich der Gruppe "besonders Schutzbedürftige" zugeordnet, aber zumindest als eine schutzbedürftige Flüchtlingsgruppe hervorgehoben.
Eigene Unterkunft für queere Flüchtlinge
Jäkel sieht darin bereits einen "Quantensprung": Berlin sei bisher das einzige Bundesland, das diese Zielgruppe überhaupt explizit nennt und im weiteren Sinne als eine besonders schutzbedürftige soziale Gruppe anerkennt. Ob das jedoch zu konkreten Maßnahmen wie etwa der von der Schwulenberatung geforderten Fachstelle für LGBT-Flüchtlinge führt, bleibe abzuwarten. Auch der Lesben- und Schwulenverband bleibt dem Berliner Konzept gegenüber skeptisch. Die Sprecher äußern die Sorge, dass es nicht weitgehend genug umgesetzt wird.
Problematisch sei zum Beispiel die Frage der Unterbringung. Das Berliner Konzept sieht hier zwar besondere Maßnahmen für schutzbedürftige Gruppen vor. So sollen sie zum Beispiel in alternativen Wohnprojekten untergebracht werden. Laut Jäkel ist eine Vermittlung aus Gemeinschaftsunterkünften in private Wohnungen theoretisch möglich. Aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen und der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt bleibe dieses Ziel jedoch oft auf der Strecke.
Als Alternative betreibt die Schwulenberatung seit Ende Februar eine eigene Unterkunft für queere Geflüchtete. Es ist die zweite Einrichtung für LGBT-Menschen in ganz Deutschland, die erste wurde kürzlich in Nürnberg eröffnet. In Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) wurden Gemeinschaftsunterkünfte und eine Notunterkunft im Berliner Bezirk Treptow eingerichtet. Ein Teil der Kosten soll durch Spenden gedeckt werden.
Von Tomma Neveling
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