Mediendienst Integration: In Ihrem Buch erzählen Sie die Geschichten von dreizehn Eugens, die als Spätaussiedler aus Russland nach Deutschland kamen. Eine fehlt aber: Ihre.
Eugen Litwinow: Ich wurde 1987 in Kasachstan geboren. Meine Eltern waren gerade beide mit dem Architektur-Studium fertig. Solange wir in Kasachstan lebten, war mir nicht bewusst, dass meine Mutter deutsche Wurzeln hat. Als die UdSSR zusammenbrach und Kasachisch als Hauptsprache eingeführt werden sollte, sagten meine Eltern: Hier wollen wir nicht bleiben. Sie standen vor der Wahl: Entweder den Wurzeln meines Vaters nach Russland folgen oder eben denen meiner Mutter. Am 19. Januar 1993 flogen wir nach Hannover. Nach einigen Zwischenstationen landeten wir in einem Auffanglager für Spätaussiedler in Dietershahn, wo wir ungefähr ein Jahr lang wohnten. Dort wurde ich im Sommer 1993 eingeschult.
Wie hießen Sie damals?
Mein offizieller russischer Name war Evgenij Alexandrowitsch Litwinow. Kurz nach meiner Einschulung bekam ich den Namen, den ich bis heute trage: Eugen. Beim Standesamt sagte man meinen Eltern, dass deutsche Namen „praktischer“ seien. So wurde aus mir Eugen und aus meinem Bruder Iwan Johannes. Auf dem Cover des Buches sieht man mich beim ersten Schultag mit einem Luftballon. Darauf steht noch „Jewgeni“.
Wie haben Sie die dreizehn Eugens für das Buch gefunden?
So schwer war’s nicht. Denn du kannst sicher sein: Wenn jemand Eugen heißt, dann ist er zu 99 Prozent Russlanddeutscher. Den ersten Protagonisten habe ich am ersten Tag in der Uni kennengelernt. Wir saßen nebeneinander. Als er mir sagte, dass er Eugen heißt, wusste ich schon, dass wir eine ähnliche Geschichte haben.
Im Buch stellen Sie die Frage: „Wie verhalten sich Integration und Identifikation zueinander?“ Haben Sie eine Antwort gefunden?
Ich glaube, dass jeder Mensch, der zwischen zwei Kulturen aufgewachsen ist, diese Frage für sich beantworten muss. Einige meiner Interviewpartner haben viel mit der russlanddeutschen Community zu tun. Andere weniger. Ich sehe mich zum Beispiel als super-integriert. Doch in meiner Familie bestehen die zwei kulturellen Universen nebeneinander: Mein Vater verkörpert Russland, die russische Kultur. Meine Mutter Deutschland. Für meine Eltern war die Frage der kulturellen Integration sehr wichtig. Für meine Generation stellt sich eher eine Frage der kulturellen Identität. Ich glaube, dass Identität und Integration immer in einer dynamischen Beziehung zueinander stehen.
Russlanddeutsche
Auf Einladung der Zarin Katharina II. wanderten im 18. Jahrhundert die ersten deutschen Bauern nach Russland. In wenigen Jahren stieg ihre Zahl – vor allem in den Wolga-Gebieten – auf 30.000. Trotz ihrer Integration in die russische Gesellschaft behielten die Siedler ihre Sprache und Bräuche, was sie für manche zum Feindbild machte. Während des Zweiten Weltkriegs wurden schätzungsweise 900.000 von ihnen in östliche Regionen deportiert. Ausgesiedelte Russlanddeutsche dürfen nach dem Grundgesetz Artikel 116 und dem Bundesvertriebenengesetz als deutsche Volkszugehörige ohne große Auflagen nach Deutschland einwandern und erhalten die deutsche Staatsangehörigkeit. Vor allem in den 90er Jahren wanderten mehr als 1,9 Millionen Russlanddeutsche aus der ehemaligen UdSSR in die Bundesrepublik.
Einige Ihrer Protagonisten erzählen, dass bei ihnen zu Hause Deutsch gesprochen wurde. Wie war es bei Ihnen?
Wir sprachen nur Russisch. Stellen Sie sich vor: Ein halbes Jahr zuvor war ich noch in Kasachstan und plötzlich saß ich in einer deutschen Schule und verstand kein Wort. Dass ich eingeschult werden sollte, hatte übrigens der Schuldirektor höchstpersönlich beschlossen. Er kam zu uns und versuchte mit mir zu sprechen. Ich antwortete irgendwie mit Händen und Füßen. Da sagte der Direktor zu meinen Eltern: Wenn er sich so gut mit Händen und Füßen unterhalten kann, wird er sicher auch die Sprache schnell lernen.
Und wie war der sprachliche Neuanfang für Sie?
Es ging sehr schnell aufwärts. Ab einem gewissen Punkt konnte ich mich viel besser auf Deutsch ausdrücken als auf Russisch. Mein Vater bemühte sich darum, mein Russisch immer wieder aufzufrischen. Er gab mir Hausarbeiten. Mit neun oder zehn wollte ich aber nichts mehr davon hören. Ich sagte zu ihm: „Ich hasse Russisch!“ Das traf ihn zutiefst. Denn er spürte in dem Moment, dass wir uns voneinander entfernen. Vor einigen Jahren sagte er zu mir: „Seit deinem Namenswechsel hast du dich irgendwie verändert“.
Hat sich mit dem deutschen Namen etwas verändert?
Ich war erst sechs Jahre alt, so viel habe ich damals nicht wahrgenommen. Aber ich kann mich daran erinnern, dass, wenn jemand zu mir auf Deutsch sprach, der Name Evgenij wie ein Bruch klang. Zu Hause nennen mich alle Shenja, ein Diminutiv von Evgenij. Andere Eugens haben mir erzählt, sie hätten große Probleme mit dem neuen Namen gehabt. Einige meiner Protagonisten meinten, der Name hätte etwas „Weibliches, Weiches“ oder sogar „Schwules“. Andere sagten, sie mögen ihren Namen, weil er so „anders“ klingt.
Eugen Litwinow hat Fotografie in Dortmund und New York studiert und arbeitet als freier Fotograf und Künstler in Berlin. In seinen Werken porträtiert er Alltagsszenen in Russland, Deutschland und in den USA. "Mein Name ist Eugen" ist sein erstes multimediales Projekt: Zusätzlich zum Buch gibt es ein Video und eine Fotoserie.
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.