Mediendienst: Frau Zbidi, „Öko-Muslime“ – wen bezeichnet man neuerdings so?
Monika Zbidi: Vereinfacht gesagt, sind „Öko-Muslime“ islamisch motivierte Naturschützer. Neben Gelehrten, Wissenschaftlern und Philosophen gehören Aktivisten aus Umwelt-Organisationen dazu, aber auch Blogger und Einzelpersonen. Allgemein kann man zwischen zwei Lagern unterscheiden: einem theoretischen, das sich mit einem islamisch-ökologischen Weltbild befasst, wie etwa der Frage, welche Rolle der Mensch auf der Erde spielt und wie sich die Beziehung zwischen Mensch und Gott definiert. Und einem eher praktisch orientierten, das sich Themen wie dem sparsamen Umgang mit Wasser und anderen Ressourcen, Tierschutz, Ernährung, aber auch dem Bau von Öko-Moscheen oder der Durchführung nachhaltiger Pilgerfahrten widmet.
Wo liegen die Wurzeln der islamischen Umweltbewegung?
Sie hat sich da entwickelt, wo Muslime in der Minderheit sind, insbesondere in den USA, Kanada und Großbritannien, da im „Westen“ die Umweltproblematik viel präsenter ist als in den islamisch geprägten Ländern. Ähnlich wie bei der christlichen Umweltbewegung war die immer akuter werdende Notwendigkeit, am Umweltverhalten etwas zu ändern, ausschlaggebend. Für die Entstehung einer sogenannten „Öko-Theologie“ war darüber hinaus aber auch die These des amerikanischen Historikers Lynn White Jr. von 1967 von großer Bedeutung. Er behauptete, dass die Wurzeln der ökologischen Krise in den monotheistischen Religionen lägen. Dies konnten die verschiedenen Religionsgemeinschaften natürlich nicht auf sich sitzen lassen.
Und wie äußerte sich das auf muslimischer Seite?
Zum Beispiel in Form des Buches „Man and Nature: The Spiritual Crisis of Modern Man“, das 1967 von Seyyed Hossein Nasr veröffentlicht wurde und maßgeblich für die Entstehung der islamischen Auseinandersetzung mit ökologischen Themen war. Nasr ist iranischer Philosoph, lebt in den USA und gilt als geistiger Vater der Bewegung.
Handelt es sich beim "Öko-Islam" um eine neue islamische Strömung?
Zunächst einmal ist wichtig, dass es keine geschlossene Gesamtbewegung gibt, sondern verschiedene Aktivitäten und Akteure, die sich unabhängig voneinander für die Umwelt einsetzen. Zum anderen ist der Begriff „Öko-Islam“ auch deshalb mit Vorsicht zu verwenden, weil es sich dabei nicht um einen „anderen“ Islam handelt, wie der Name implizieren könnte. Vielmehr wird darunter die enge Beziehung zur Natur als eine dem Islam innewohnende Eigenschaft verstanden. Trotz allem haben sich Begriffe wie „Eco-Islam“, „Eco-Muslim“ oder „Eco-Mosque“ im englischsprachigen Raum durchgesetzt.
In welchen Vereinen oder Verbänden sind umweltbewusste Muslime organisiert?
Die bekannteste Organisation ist die britische „Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences“ (IFEES), die schon in den 90er Jahren von Fazlun Khalid gegründet wurde. In Deutschland gibt es meines Wissens nur einen islamischen Verein, der seine Arbeit ausschließlich dem Thema Umweltschutz widmet: den Verein Hima. Er wurde im November 2010 nach einer Tagung der evangelischen Akademie Loccum mit dem Titel „Wie ‚grün‘ ist der Islam? Umwelt und Klimaschutz mit muslimischer Perspektive“ gegründet. Der Verein hält unter anderem Vorträge zum Thema Umweltschutz im Islam, organisiert Infostände und Fairtrade-Events. Er war auch bei der Gestaltung des diesjährigen Tags der Moschee am 3. Oktober aktiv, der unter dem Motto „Umweltschutz. Moscheen setzen sich ein“ stand.
Wie präsent ist das Thema in muslimischen Gemeinden und Organisationen?
Mein persönlicher Eindruck ist, dass viele Muslime sich einfach noch nicht mit der islamischen Sichtweise auf den Naturschutz auseinandergesetzt haben, aber sehr positiv darauf reagieren und sogar stolz sind, dass ihre Religion eine Umweltethik enthält, die sich auf die religiösen Quellen des Islams stützt. Es gibt aber auch Themen wie den islamisch-ökologisch begründeten Vegetarismus, dem viele Muslime eher kritisch gegenüberstehen. Da der Fleischkonsum im Islam ausdrücklich erlaubt ist, wird oft argumentiert, der Mensch dürfe nichts verbieten, das Gott erlaubt habe. Andererseits könnten die Bedingungen der heutigen Tierhaltung, die als nicht islamkonform eingestuft werden, für Muslime ein Argument für Vegetarismus sein.
Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte mit den herkömmlichen Umweltorganisationen?
Anknüpfungspunkte sehe ich vor allem im interreligiösen Dialog. Die monotheistischen Religionen vereint insbesondere die Rolle des Menschen als Statthalter Gottes auf Erden, der vor Gott die Verantwortung für die Mit- und Umwelt trägt. Zudem ist der Schutz der Natur ein gemeinsames Ziel, das alle Bewohner der Erde miteinander verbindet und eine Zusammenarbeit unerlässlich macht. So auch mit der nicht-religiös geprägten Umweltbewegung, mit der die islamische das Ziel vereint, Natur, Tiere und Biodiversität zu schützen und sich für dieses Bewusstsein einzusetzen.
Interview: Kemal Hür
In ihrer Promotion befasst sich die Islamwissenschaftlerin Monika Zbidi mit dem „Öko-Islam“ als moderne islamische Strömung. Zbidi ist Stipendiatin der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Bis März 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Orientalische Philologie und Islamwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg.
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