Inwiefern unterscheiden sich Muslime und Christen, wenn es um ihre Ansichten zu Geschlechterrollen und Gleichberechtigung geht? Welchen Einfluss haben ihre Religionszugehörigkeit, ihre religiöse Praxis, wo sie herkommen und wie gebildet sie sind? Ausgehend von diesen Fragen wurden im Rahmen der Studie "Geschlechterrollen bei Deutschen und Zuwanderern christlicher und muslimischer Religionszugehörigkeit" rund 3.000 Muslime und Christen in Deutschland befragt.
Die muslimischen Befragten hatten alle einen Migrationshintergrund (1.900 Personen aus dem Iran, der Türkei, Südosteuropa, Südasien, Nordafrika und dem Nahen Osten). Die christlichen Befragten hatten ebenfalls mehrheitlich einen Migrationshintergrund (800 Personen aus Italien, Rumänien und Polen). Hinzu kam eine Vergleichsgruppe von insgesamt 300 Befragten ohne Migrationshintergrund, die dem Christentum, einer anderen oder gar keiner Religion angehörten. In Auftrag gegeben wurde die Studie von der Deutschen Islam Konferenz (DIK), durchgeführt hat sie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Zentrale Ergebnisse
Hinsichtlich der Ansichten zu Gleichberechtigung und der Rollenverteilung zeigte sich:
- Christen und Muslime haben relativ ähnliche Einstellungen, wenn es um das Verhältnis zwischen Mann und Frau geht: Mit jeweils über 80 Prozent stellt Gleichberechtigung für beide Gruppen einen fest verankerten Wert dar.
- Nur eine Minderheit (unter Christen rund 11, unter Muslimen rund 17 Prozent) wies Ansichten auf, die zumindest teilweise als benachteiligend für Frauen einzustufen sind.
- Sowohl bei Christen als auch bei Muslimen wird die Hausarbeit größtenteils klassisch aufgeteilt: Aufgaben wie Wäsche waschen, Putzen und Kochen werden meist von Frauen erledigt, Männer hingegen erledigen etwa Reparaturen.
- In beiden Gruppen vertraten Personen, die ihren Alltag an religiösen Vorschriften ausrichten, traditionellere Einstellungen zu Geschlechterrollen.
Unterschiede zwischen den Befragten traten vor allem in folgenden Bereichen auf:
- Klassische Rollenbilder, bei denen der Frau Haushalt und Familie und dem Mann die "Ernährerrolle" zugeordnet wird, sind bei Muslimen stärker verbreitet als bei Christen ("Liberalitätsgrad" Muslime 57,3 Prozent; Christen 74,1 Prozent).
- In der jüngeren Generation findet unabhängig von der Religionszugehörigkeit aber eine deutliche Ablösung vom klassischen Rollenmodell statt ("Liberalitätsgrad" Muslime 71,1 Prozent; Christen 85,5 Prozent).
- Rund die Hälfte der in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Muslime misst Keuschheitsgeboten weiterhin eine hohe Bedeutung zu. Für die jüngere Generation unter den Christen haben sie so gut wie keine Bedeutung mehr.
- Bei zwei Dritteln der in einer Partnerschaft lebenden Muslime lautet die Erwerbskonstellation "Mann Vollzeit – Frau geringfügig oder gar nicht beschäftigt". Unter christlichen Paaren trifft das auf 38,2 Prozent der Befragten zu.
Schlussfolgerungen der Autoren
Den Autoren zufolge bildet die Religionszugehörigkeit keine hinreichende Erklärung für unterschiedliche Ansichten, die in einigen Bereichen zu Tage treten. So fielen die Antworten von Angehörigen der selben Religion teilweise sehr unterschiedlich aus, wenn sie aus verschiedenen Herkunftsländern kamen. Auf der anderen Seite äußerten sich "Religionsfremde" zum Teil sehr ähnlich: So waren sich Christen ohne Migrationshintergrund und Muslime aus dem Iran weitgehend einig, dass die Aufgaben im Haushalt von Männern und Frauen gemeinsam bewerkstelligt werden sollten. Den Ergebnissen der Umfrage zufolge wird die Hausarbeit bei Muslimen aus dem Iran sogar noch gerechter aufgeteilt als bei Christen aus Deutschland.
Zudem habe der Bildungsgrad einen großen Einfluss. So vertraten Befragte aus beiden Gruppen traditionellere Einstellungen, wenn sie einen geringen Bildungsgrad und gesellschaftlichen Status hatten. Demgegenüber waren unter muslimischen Akademikern sogar häufiger beide Partner Vollzeit erwerbstätig als unter christlichen. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass der zentrale Faktor, der hinter vermeintlich religiösen Unterschieden stehe, die schlechtere soziale Lage von Muslimen im Vergleich zu Christen in Deutschland sei.
Dass die befragten Musliminnen seltener erwerbstätig seien, könne man darauf zurückführen, dass sie häufiger Kinder unter sechs Jahren zu betreuen hätten. Nicht zuletzt wirkten sich auch die Sprachkenntnisse auf die Erwerbsbeteiligung aus. So seien sowohl christliche als auch muslimische Frauen mit Migrationshintergrund häufiger erwerbstätig, wenn sie über "gute" Sprachkenntnisse verfügen. Bei "sehr guten" Sprachkenntnissen war der Anteil Vollzeit arbeitender Frauen der Studie zufolge am höchsten.
Von Rana Göroğlu, MDI
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