Etliche deutsche und europäische Politiker*innen haben in den vergangenen Monaten dafür plädiert, Asylverfahren künftig in Drittstaaten zu bearbeiten. Das soll verhindern, dass Geflüchtete zuerst in die Europäische Union kommen, um einen Asylantrag zu stellen – und möglicherweise längerfristig bleiben.
Derartige Vorschläge gibt es bereits seit vielen Jahren. In einer Evaluation aus dem Jahr 2018 hat die Europäische Kommission geprüft, inwiefern sich Asylverfahren in Drittstaaten abwicklen ließen. Das Ergebnis: Nach der aktuellen EU- und völkerrechtlichen Lage sind Asylverfahren in Drittstaaten prinzipiell nur dann möglich, wenn Schutzsuchende noch nicht in die Europäische Union eingereist sind.
Das liegt in erster Linie an dem sogenannten non-refoulement-Prinzip, das in der Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 33) und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 3) festgeschrieben ist. Das bedeuet: Ein Staat, der diese Konventionen unterschrieben hat, darf keine schutzsuchende Person in ein anderes Land überstellen, ohne zu prüfen, ob ihr eine Gefahr für Leib und Leben droht. Das gilt auch für Überstellungen in "sichere" Drittstaaten, wenn es die Gefahr gibt, dass die Person von dort unrechtmäßig in ihr Herkunftsland abgeschoben wird (sogenannte Kettenabschiebung).
Einem Gutachten des Rechtswissenschaftlers Daniel Thym aus dem Jahr 2017 zufolge sind Asylverfahren in Drittstaaten prinzipiell rechtlich möglich wenn:
- Kein "Refoulement" stattfindet,
- Es die Möglichkeit gibt, den Flüchtlingsstatus im Drittstaat anerkennen zu lassen,
- Asylbewerber*innen – besonders schutzbedürftige Personen wie Frauen und Kinder – einen angemessenen Lebensstandard ("effective protection") genießen können,
- Es ausreichende "Schutzgarantien" gibt; das heißt: Es muss einen wirksamen Monitoring-Mechanismus geben – entweder durch den Aufnahmestaat oder durch eine internationale Organisation wie etwa das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
Das Ruanda-Modell
Im April 2022 unterzeichnete die britische Regierung ein Abkommen mit Ruanda. Dieses sah vor, dass Schutzsuchende, die irregulär Großbritannien erreichen, ins ostafrikanische Land überstellt werden, um dort ihren Asylantrag zu stellen. Im Fall eines positiven Bescheids sollten die Flüchtlinge in Ruanda bleiben. Bei negativem Bescheid sollten sie in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Nach Angaben der britischen Regierung hätte Ruanda zunächst rund 200 Schutzsuchende pro Jahr aufnehmen können.
Kann das funktionieren?
Der britische "Supreme Court" hat das Abkommen im November 2023 für rechtswidrig erklärt, weil es gegen etliche internationale Abkommen verstößt – unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 33) und die Europäische Menschenrechtskonvention (Artikel 3).
Darüber hinaus hat das Gericht Bedenken über den Schutz der Menschenrechte in Ruanda erhoben. Auch der UNHCR kritisierte das Abkommen, weil Schutzsuchende dadurch nicht ausreichend vor der Gefahr eines "Refoulement" geschützt wären. Die britische und ruandische Regierungen haben im Dezember 2023 ein neues Abkommen abgeschlossen. Im Januar 2024 hat das britische Unterhaus ein Gesetz gebilligt, nach dem Ruanda als sichrer Drittstaat eingestuft werden soll.
Sollten Mitgliedstaaten der Europäischen Union entscheiden, das Ruanda-Modell anzuwenden, gäbe es für sie eine weitere Hürde: Schutzsuchende können laut EU-Recht nur dann in sichere Drittstaaten überstellt werden, wenn sie eine "Verbindung" zu diesen Staaten haben. Was genau "Verbindung" bedeutet, ist unklar: Für einige EU-Mitgliedstaaten reicht es, wenn eine Person durch das Land gereist ist. Der Europäische Gerichtshof hat diese Auslegung 2020 jedoch abgelehnt.
Das Albanien-Modell
Im November 2023 haben die italienische und albanische Regierung ein Kooperationsabkommen im Bereich Migration unterzeichnet. Demzufolge sollen Geflüchtete, die in internationalen Gewässern vor der italienischen Küste aufgegriffen werden, künftig nach Albanien gebracht werden und hier in zwei Aufnahmeeinrichtungen einen Asylantrag stellen können. Ausgenommen sind Frauen, Kinder und besonders schutzbedürftige Personen. Zuständig für die Aufnahme, Registrierung, Prüfung der Asylanträge und Rückführung sollen italienische Behörden sein, die dem Abkommen zufolge nach geltendem italienischen und EU-Asylrecht agieren werden. Sowohl Asylbewerber*innen, denen Schutz gewährt wird, als auch diejenigen, die abgelehnt werden, sollen nach Ende des Asylverfahrens (oder nach maximal 18 Monaten) zurück nach Italien gebracht werden – und im Fall einer Ablehnung von dort abgeschoben werden.
Kann das funktionieren?
Im Prinzip ja. Das Abkommen lässt aber sehr viele Fragen offen, wie der italienische Migrationsforscher Lorenzo Piccoli festgestellt hat.
Wer ist zuständig? In einer Stellungnahme hat der UNHCR betont, dass laut Genfer Flüchtlingskonvention der erste Staat, in dem Flüchtlinge ankommen, dafür sorgen muss, dass sie nicht in eine Gefahrsituation abgeschoben werden (Refoulement). Da Albanien die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben hat, können Flüchtlinge dorthin gebracht werden – aber nur, wenn sie nicht davor in italienischen Gewässern waren.
Nach welchem Asylrecht? Laut dem Abkommen sollen die Verfahren nach italienischem und EU-Recht stattfinden. Die EU-Kommissarin für Inneres Ylva Johansson sagt jedoch, dass sich das Abkommen "außerhalb des EU-Rechts" befinde. Es ist unklar, wie EU-Asylrecht außerhalb der EU angewendet werden kann – und wer dafür sorgen muss, dass das Verfahren rechtskonform ist.
Werden Asylbewerber*innen inhaftiert? Im Abkommen steht, dass die italienischen Behörden dafür sorgen müssen, dass die Schutzsuchenden in den Aufnahmeerinrichtungen bleiben (Artikel 6). Eine Inhaftierung von Asylbewerber*innen ist jedoch laut EU-Asylrecht nur in besonderen Fällen möglich.
Haben Asylbewerber*innen Zugang zu Rechtsberatung? Das EU-Recht sieht vor, dass alle Asylbewerber*innen Anspruch auf Rechtsbehelf und Rechtsberatung haben, wenn sie gegen einen Asylbescheid klagen möchten (Asylverfahrensrichtlinie, Artikel 39). Inwiefern sie dieses Recht in Albanien ausüben können, ist fraglich.
Neben den rechtlichen Bedenken gebe es auch Fragen zur Umsetzung des Abkommens, sagt Migrationsforscher Piccoli. Es sei unklar, wer die Migrant*innen und Geflüchteten, die vor den Küsten Siziliens aufgegriffen werden, nach Albanien bringen solle, so der Forscher: "Dafür können Schiffe bis zu drei Tage benötigen. Für die Küstenwache und die Marine wäre das eine massive Herausforderung."
Das Transitstaat-Modell
Asylverfahren in sogenannten Transitstaaten finden schon seit mehreren Jahren mit Unterstützung des UN-Flüchtlingshilfswerks oder der Internationalen Organisation für Migration statt – etwa in Jordanien. Der UNHCR identifiziert besonders schutzbedürftige Personen vor Ort, die dann im Rahmen von "Resettlement"-Programmen etwa nach Europa, Australien oder Nordamerika verteilt werden.
Kann das funktionieren?
Ja. Das "Resettlement"-System funktioniert allerdings nur eingeschränkt: Gebraucht wurden 2021 mehr als 1,4 Millionen "Resettlement"-Plätze. Tatsächlich verteilt wurden nach UNHCR-Angaben etwa 63.000 Personen (jüngste Erfassung). Auch gibt es derzeit wenige Staaten, in denen derartige Verfahren möglich sind. So wurden zum Beispiel 2011 im tunesischen Flüchtlingslager Choucha mehrere Zehntausend Geflüchtete aus dem Bürgerkireg in Libyen aufgenommen – mit dem Ziel, sie nach Europa, Australien und Nordamerika zu verteilen. Das Camp wurde nach nur zwei Jahren aufgrund zahlreicher Probleme in der Verwaltung geschlossen. Verteilt wurden rund 3.000 Flüchtlinge.
Von Donata Hasselmann, Fabio Ghelli
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