Das Statistische Bundesamt gab kürzlich bekannt, dass Ende 2016 mehr als zehn Millionen "Ausländer" in Deutschland lebten – die höchste Zahl seit 1967. Sie stammt aus dem sogenannten Ausländerzentralregister (AZR), das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geführt wird. Die Daten stützen sich auf Angaben der regionalen Ausländerbehörden.
Doch wie verlässlich sind die Zahlen? Der MEDIENDIENST hat beim Statistischen Bundesamt nachgefragt. Die dortigen Experten bezweifeln, dass das AZR die genaue Größe der ausländischen Bevölkerung abbildet. "Niemand weiß ganz genau, wie viele Ausländer in Deutschland leben", sagt Florian Göttsche, der beim Statistischen Bundesamt für Ausländer- und Integrationsstatistiken zuständig ist. "Wir gehen davon aus, dass die Zahlen aus dem Ausländerzentralregister tendenziell zu hoch sind." Das heißt: 2016 lebten vermutlich weniger als zehn Millionen "Ausländer" in Deutschland.
Warum sind die AZR-Zahlen zu hoch?
Dass die Zahlen des AZR mit Vorsicht zu genießen sind, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist laut BAMF nicht auszuschließen, dass einige Personen doppelt erfasst sind. Zum anderen können im AZR auch "Ausländer" erfasst sein, die gar nicht mehr in Deutschland leben – etwa, weil sie sich nicht offiziell bei den Behörden abgemeldet haben. Das gilt jedoch auch für andere Bevölkerungsstatistiken.
Entscheidender ist: Es ist über zehn Jahre her, dass das AZR zuletzt "bereinigt" wurde. "Bereinigt" heißt, dass die AZR-Daten mit denen der Ausländerbehörden abgeglichen wurden, um "Karteileichen" oder Doppelzählungen zu korrigieren. Damals musste die Zahl der "Ausländer" stark nach unten korrigiert werden. Auch ein Abgleich des AZR mit dem "Zensus 2011", der bis dato aktuellsten Volkszählung, war bislang nicht möglich – aus "technischen und rechtlichen Gründen", erklärt das Statistische Bundesamt.
Nach eigenen Angaben arbeitet das BAMF daran, die Qualität der AZR-Daten zu verbessern. So habe es kürzlich einen Leitfaden erstellt, der den Ausländerbehörden dabei helfen soll, Unstimmigkeiten bei der Datenerfassung künftig zu vermeiden.
Welche Alternativen gibt es?
Neben dem "Ausländerzentralregister" gibt es zwei weitere Statistiken, die Daten zur ausländischen Bevölkerung enthalten. Die aktuellsten Zahlen liegen für 2015 vor.
- Die "Bevölkerungsfortschreibung" beruht auf dem "Zensus 2011". Die Zensus-Zahlen werden fortlaufend durch die Geburten-, Sterbe- und Wanderungsstatistik erweitert, also "fortgeschrieben". Demnach lebten Ende 2015 rund 8,7 Millionen "Ausländer" in Deutschland.
- Der "Mikrozensus" ist eine Stichprobenerhebung, bei der jährlich rund 1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland befragt wird. Um Aussagen über die Gesamtbevölkerung treffen zu können, müssen die Daten hochgerechnet werden. Für diese Hochrechnung werden Eckdaten der "Bevölkerungsfortschreibung" herangezogen. Ende 2015 zählte der "Mikrozensus" rund 7,8 Millionen "Ausländer" in Deutschland – also etwa eine Million weniger als die "Bevölkerungsfortschreibung". Das Statistische Bundesamt führt das darauf zurück, "dass der Mikrozensus 2015 die Zuwanderung des Jahres 2015 nur teilweise widerspiegelt". Das liege unter anderem daran, dass in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete keine Mikrozensus-Befragungen durchgeführt werden.
Ob die beiden Statistiken aussagekräftiger sind als das "Ausländerzentralregister", lässt sich laut Florian Göttsche nicht eindeutig sagen. "Die tatsächliche Zahl der Ausländer dürfte aber irgendwo zwischen AZR und Bevölkerungsfortschreibung liegen", so der Experte.
Alle Statistiken haben Vor- und Nachteile
Fest steht: Alle drei Statistiken lassen in gewissem Maße Aussagen über die ausländische Bevölkerung zu. Für welche man sich entscheiden sollte, hängt von der Fragestellung ab. Will man etwa vergleichen, wie sich die ausländische Bevölkerung beim Alter, Geschlecht und Familienstand von der Gesamtbevölkerung unterscheidet, ist die "Bevölkerungsfortschreibung" die richtige Quelle.
Der "Mikrozensus" lässt weitergehende Analysen zu. So enthält er unter anderem Daten zum Bildungsstand, zur Arbeitsmarktintegration sowie zur Wohnsituation der ausländischen Bevölkerung. Jedoch ist er weniger genau, wenn es um Ereignisse im Berichtsjahr – wie zum Beispiel Migration – geht.
Will man hingegen wissen, wie lange ein "Ausländer" bereits in Deutschland lebt oder welchen Aufenthaltstitel er hat, muss man auf das "Ausländerzentralregister" zurückgreifen. Gleiches gilt für die Suche nach Daten zu einzelnen Staatsbürgerschaften. Über das AZR lässt sich beispielsweise ermitteln, wie viele "Ausländer" in einer bestimmten Kommune türkische oder syrische Staatsbürger sind. Die "Bevölkerungsfortschreibung" lässt diese Auswertung nicht zu: Hier sind einzelne Staatsbürgerschaften nur bis zur Landesebene erfasst.
Hinzu kommt, dass die Zahlen aus dem AZR in der Regel früher verfügbar und daher aktueller sind. Für das Jahr 2016 liegen bereits Daten vor. Der "Mikrozensus" und die "Bevölkerungsfortschreibung" hingegen werden voraussichtlich erst im August 2017 beziehungsweise Anfang 2018 veröffentlicht.
Von Jennifer Pross
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