„Sind die Deutschen feindlich gegen Sinti und Roma gesinnt?“ Das fragen sich zwei Journalisten in einem kürzlich erschienenen Artikel im Spiegel (41/2014). Ihre Antwort: Nein, nicht wirklich. Denn obwohl eine „Regierungsstudie“ diesen Eindruck erwecke, würden "beteiligte Wissenschaftler" das laut der dazugehörigen Meldung auf Spiegel Online "ganz anders" sehen. Tatsächlich handelt es sich bei der Antidiskriminierungsstelle nicht um eine Behörde der Bundesregierung, sondern um eine unabhängige Stelle, die der Exekutive gegenüber steht.
Der Artikel bezieht sich auf die Studie „Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung“, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) beim Zentrum für Antisemitismusforschung der TU-Berlin (ZfA) in Auftrag gegeben hatte. Anscheinend haben sich Mitwirkende der Studie kritisch über die Art und Weise geäußert, wie die Antidiskriminierungsstelle die Ergebnisse der Studie präsentiert hat und wo die Handlungsempfehlungen platziert wurden.
Lassen wir die für Außenstehende schwer nachvollziehbaren Detailfragen einmal außer Acht, bleibt vor allem eine Aussage der Spiegel-Autoren bestehen: Die Forschungsergebnisse seien „keineswegs so eindeutig, wie die Antidiskriminierungsstelle [...] es offenbar haben wollte. Einige Erkenntnisse widersprechen sogar der Annahme, dass ‚Antiziganismus’ ein weit verbreitetes Phänomen in Deutschland sei“.
Trotz aller Differenzierungen, die bei Umfragen erforderlich sind, zeigt die ADS-Studie allerdings eindeutig: In Deutschland wird – wie in anderen europäischen Ländern auch – keiner Bevölkerungsgruppe so wenig Sympathie entgegengebracht, wie den „Sinti und Roma“. Diese Ergebnisse waren im Grunde vorhersehbar und aus Experten-Sicht sogar überraschend gering ausgefallen, denn frühere Studien wiesen viel besorgniserregendere Zahlen auf:
- Die Studie „Die stabilisierte Mitte“ der Universität Leipzig wurde nur wenige Wochen vor der ADS-Studie veröffentlicht. Demnach stimmten 55 Prozent der Befragten der Aussage zu, „Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten“. Das ist mehr als doppelt so häufig, wie in der ADS-Studie.
- Auch im Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR) wird die Bevölkerung alle zwei Jahre nach ihren Einstellungen zu Minderheiten befragt. Hier zeigt sich laut Autoren, dass nach wie vor "Vorbehalte gegen einzelne Gruppen verbreitet sind, vornehmlich gegen Muslime und Roma". So nannten auch hier mehr als die Hälfte der Befragten (mit und ohne Migrationshintergrund) bei der Frage nach "unerwünschten Nachbarn": Roma-Familien. (Jahresgutachten 2014, Seite 40)
- Zuletzt zeigte auch die Studie "ZuGleich – Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit" des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) eine hartnäckige Ablehnung gegenüber Sinti und Roma. Zwar sagten 47 Prozent, Angehörige der Minderheiten seien ihnen als Nachbarn willkommen und 46 Prozent verneinten die Aussage, sie "neigen zu Kriminalität". Doch immer noch jeder Fünfte bzw. fast jeder Vierte sah das gegenteilig. (Handout, Seite 12)
Wie bei der ADS-Studie handelt es sich auch hier um repräsentative Befragungen. Im Auftrag der Antidiskriminerungsstelle wurden allerdings zum ersten Mal ausschließlich Fragen zu den Einstellungen gegenüber Roma-Minderheiten erfasst. Nach dieser Umfrage will also "nur" jeder dritte Deutsche keine Sinti oder Roma als Nachbarn. Etwa 20 Prozent der Befragten zeigen ihnen gegenüber eine klare Abneigung – eine Schätzung, die die Verfasser selbst bei der Pressekonferenz als "eher konservativ" bezeichnen.
Zu negative Darstellung der Studienergebnisse in den Medien?
Der Spiegel-Artikel weist zu Recht darauf hin, dass in der Berichterstattung über die ADS-Studie die Ergebnisse als ausschließlich negativ bewertet wurden. Die bei der Pressekonferenz ausgehändigten und im Anhang der Studie veröffentlichten Umfrageergebnisse zeigen in der Tat ein sehr differenziertes Bild. So ergeben die Antworten auf die Frage, ob man sich Angehörige bestimmter Minderheiten als Nachbarn vorstellen könne, in Bezug auf Sinti und Roma ein sehr zwiespältiges Ergebnis: Rund 31 Prozent möchten zwar nicht neben Sinti und Roma wohnen, allerdings geben auch 32 Prozent an, dass sie sich sehr gut oder gut vorstellen können, Roma als Nachbarn zu haben.
Müsste sich also die Kritik im Spiegel-Artikel nicht eher gegen die einseitige Darstellung durch die medienschaffenden Kollegen richten, als gegen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes?
Die beauftragten Forscher sprechen zwar in ihrer Zusammenfassung von einer erkennbaren Ablehnung, weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass vor allem eine ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber dem Thema und auch Zustimmungswerte messbar seien. Sie machen deutlich, dass die Befragten ein äußerst geringes Interesse an der Thematik zeigen und über ein sehr oberflächliches Wissen über die Minderheiten der Sinti und Roma verfügen: Lediglich sieben Prozent der Befragten kennen zum Beispiel den Unterschied zwischen Sinti und Roma. Daraus schließen die Forscher: „Es gibt in der Gesellschaft kein ausreichendes Angebot, sich dieses Wissen überhaupt anzueignen.“ Mehr an Aufklärung wäre daher dringend erforderlich.
Trotz aller Differenzierungen, die vorzunehmen wären, zeigt die Auftragsstudie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass auch in Deutschland keine andere Bevölkerungsgruppe stärker abgelehnt wird als Sinti und Roma. In ganz Europa zeigen Umfragewerte immer wieder, dass Roma am stärksten verachtet, benachteiligt und ausgegrenzt werden. Vor allem im östlichen Europa werden Angehörige von Roma-Minderheiten trotz EU-Beitritt, Antidiskriminierungsgesetzen, Inklusionsprogrammen usw. nach wie vor als Bürger zweiter Klasse behandelt. Manche kommen auf der Suche nach einem besseren Leben in den Westen. Und die Debatten um dieses Phänomen führen zu einer Stigmatisierung der hiesigen, seit Jahrhunderten ansässigen Sinti und Roma, mit konkreten Auswirkungen auf ihren Alltag.
Diese Probleme klein zu reden, wäre fatal.
In Kürze erscheint das Buch "Nirgendwo erwünscht – Zur Armutsmigration aus Zentral- und Südosteuropa in die Länder der EU-15 unter besonderer Berücksichtigung von Angehörigen der Roma-Minderheiten" von Prof. Dr. Max Matter. Der Autor war bis 2010 geschäftsführender Direktor des Instituts für Volkskunde an der Universität Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kultur und Lebensweisen einzelner ethnischer Gruppen in Europa, Kulturkontakt und Kulturkonflikt.
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