In den letzten zehn Jahren, nach dem "Flüchtlingssommer" 2015, kamen viele Geflüchtete auch in die ostdeutschen Bundesländer. Wo es vorher kaum muslimische Strukturen gab, sind neue Gebetsräume entstanden, viele Vereine und Moscheen. Die Moschee in Erfurt ist die erste Moschee mit Minarett und Kuppel in Ostdeutschland, außerhalb Berlins.
In einem Factsheet beantworten wir die wichtigsten Fragen dazu: Wie viele Muslime und Gemeinden gibt es im Osten? Was unterscheidet die Gemeinden von denen im Westen? Und wie oft erleben sie antimuslimischen Rassismus? Dieser Artikel ist eine gekürzte Version des Factsheets.
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Wie viele Muslime leben in Ostdeutschland?
Waren es Anfang der 90er Jahre noch sehr wenige, leben inzwischen laut einer BAMF-Schätzung etwa 190.000 Muslime bis 200.000 Muslime in den neuen Bundesländern (ohne Berlin). Das sind etwa 1,5 Prozent der dortigen Bevölkerung.
Gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung leben die wenigsten Muslime in Sachsen, mit einem Anteil von etwa 0,7 Prozent an der Bevölkerung. Zum Vergleich: In Westdeutschland sind es im Schnitt 10 Prozent.Quelle
Gemessen an der Gesamtzahl der Muslime in Deutschland leben nur etwa 3,5 Prozent aller Muslime in Deutschland im Osten.Quelle
Hinweis: Wie viele Muslim*innen in Ostdeutschland leben, lässt sich nur näherungsweise bestimmen. Die Angabe der Religionszugehörigkeit ist freiwillig in Befragungen wie dem Zensus. Rund jede*r fünfte verweigert die Angabe.Quelle
Wie viele Moscheegemeinden gibt es?
Von rund 2.600 Moscheegemeinden in der Bundesrepublik befindet sich nur ein Bruchteil in den ostdeutschen Bundesländern. Bei einer Mediendienst-Recherche aus öffentlichen Quellen ließen sich rund 60 Gemeinden oder Gebetsräume ermitteln, das entspricht etwa zwei Prozent aller Gemeinden und Gebetsräume in Deutschland.Quelle
Die Zahl islamischer Gemeinden ist in den letzten Jahren gestiegen. Viele Gemeinden sind erst nach dem "Flüchtlingssommer" 2015 entstanden. Für eine Mediendienst-Karte haben wir zahlreiche islamische Vereine, Gebetsräume und Moscheen angefragt. Rund 30 waren bereit, auf einer Karte mit einem Eintrag zu erscheinen.
Die Zahl 60 ist nur ein Schätzwert, der eher zu niedrig sein dürfte. Ostdeutsche Muslime beten teils in Räumen, die sie mit anderen teilen, zum Beispiel in Gemeinschaftsunterkünften. Erst wenn sie einen eigenen Raum anmieten wollen, gründen sie einen öffentlich sichtbaren Verein, so eine Studie der Robert Bosch Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung.Quelle
Hinweis zur Karte: Die Karte enthält nur diejenigen islamischen Vereine und Moscheen, die auf Anfrage bereit waren, auf der Karte zu erscheinen. Der Mediendienst hat rund 60 mögliche Kontakte recherchiert und angesprochen. Von vielen kontaktierten Gemeinden kam keine Antwort. Einige wollten aus Sicherheitsbedenken nicht erscheinen.
Was sagen Fachleute?
Islamforscherin Ayşe Almıla Akca (Universität Innsbruck)
"Die Gemeinden in Ostdeutschland sind 'bunter' als die im Westen. In den kleinen Gemeinden kamen Musliminnen und Muslime aus verschiedenen Herkunftsländern zusammen, während sie im Westen oft nach Herkunftsland getrennt sind."
"In dieser Zeit mussten Musliminnen und Muslime im Osten viel selbst organisieren. Viele haben mir erzählt, dass das neu für sie war. Sie mussten Räume anmieten, das selbst bezahlen. Es gab keinen Staat oder Gemeinde, die das für sie gemacht hätten. Sozusagen Islam in Selbstorganisation. Im Westen haben sich in den letzten 60 Jahren muslimische Strukturen entwickelt. Das steht im Osten noch ganz am Anfang."
"Die Leute sind alle ehrenamtlich engagiert. Es gibt kaum hauptamtliche Beschäftigte und das sehen wir auch vor allem im ostdeutschen Bereich. Es gibt kaum hauptamtliche Imame. Die Finanzierung vieler junger Gemeinden im Osten ist prekär."
Wie verbreitet ist antimuslimischer Rassismus in Ostdeutschland?
Viele Muslime in Ost- wie Westdeutschland erleben Anfeindungen und Rassismus.Quelle
Es gibt Hinweise darauf, dass Muslimfeindlichkeit im Osten stärker verbreitet als im Westen ist (Quelle). Muslime berichten von Übergriffen in "praktisch allen Bereichen ihres Lebens"(Quelle). Öffentlichkeitswirksam waren die Proteste gegen eine vermeintliche "Islamisierung" oder Moscheebauprojekte, wie beispielsweise in Dresden oder Erfurt.
"Muslimfeindschaft" ist das am weitesten verbreitete Ressentiment in Ostdeutschland, zeigt die Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig. Beinahe jede*r zweite stimmt der Aussage zu, "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden" – zehn Prozentpunkte mehr als im Westen (43,2 zu 32,8 Prozent).Quelle
Einige Forschende führen die Unterschiede auf den geringen Anteil an Muslim*innen in der Bevölkerung und fehlende Alltagsbegegnungen zurück.Quelle
Weitere Infos zur Geschichte der Muslime in der DDR, zu Anfeindungen gegen Muslime und Islamismus in Ostdeutschland finden Sie in unserem >> Factsheet als pdf
Unsere Webstory zum Thema ("Die erste Moschee") >> Webstory
Von Carsten Wolf, Lennart Kreuzfeld und Lina Steiner
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