In Sachen Kopfbedeckung erkennen Forscher eine "passiv-tolerante Haltung" in Deutschland: 62 Prozent der Befragten erklärten in einer repräsentativen Umfrage von TNS-Infratest, es sei ihnen "egal", ob muslimische Frauen in Deutschland Kopftücher tragen, 31 Prozent finden das "nicht gut". Die Studie im Auftrag des baden-württembergischen Integrationsministeriums wurde am 13. März veröffentlicht, kurz nachdem bekannt wurde, dass das Bundesverfassungsgericht zum zweiten Mal in Sachen Kopftuch entschieden hat.
Sechs von acht Verfassungsrichtern sind laut Beschluss des Ersten Senats der Auffassung: Ein "pauschales Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild" der Lehrkräfte richte sich gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit im Grundgesetz – zumindest in öffentlichen Schulen.
Das Urteil trifft offenbar auf eine positive Haltung in der Bevölkerung. Für die TNS-Umfrage wurden bereits im Januar 2014 rund 750 Menschen in Baden-Württemberg und 750 in der gesamten Bundesrepublik befragt. Sowohl im Bundesland der Auftraggeber als auch in ganz Deutschland sieht die Mehrheit das Tragen eines Kopftuch deutlich gelassener, wenn es um "eher nicht-öffentliche Lebensbereiche" geht:
- 80 Prozent der Befragten in Baden-Württemberg und 78 Prozent in ganz Deutschland finden Ärztinnen mit Kopftuch unproblematisch.
- Bei Erzieherinnen (62 Prozent) und Lehrerinnen (55 Prozent) denken bundesweit etwas weniger Menschen so.
- Am wenigsten toleriert wird das religiöse Glaubensbekenntnis muslimischer Frauen offenbar für Medien: 50 Prozent finden Nachrichtensprecherinnen mit Kopftuch "nicht gut" (45 Prozent: egal, fünf Prozent: gut).
Forscher empfehlen Abschaffung des Kopftuchverbots
Am Tag der Beschluss-Verkündung des Bundesverfassungsgerichts wurde eine zweite Studie veröffentlicht, die Erkenntnisse über die Einstellung der jungen Bevölkerung in Deutschland gibt. Laut "Deutschland Postmigrantisch II" finden 71 Prozent der 16- bis 25-Jährigen in Deutschland, dass Lehrerinnen das Recht zugestanden werden soll, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. "Unter denjenigen, die selbst noch Schüler sind, sprechen sich sogar mehr als drei Viertel gegen ein Kopftuchverbot aus", erklärten die Forscher bei der Präsentation der Ergebnisse. Bei älteren Erwachsenen denken 48 Prozent der Befragten so.
Rund 70 Prozent der jungen Bevölkerung sprechen sich außerdem für einen islamischen Religionsunterricht aus und lehnen Einschränkungen beim Bau sichtbarer Moscheen ab. "Offenbar ist für die deutsche Gesellschaft und besonders für die jüngere Generation das Kopftuch kein fremdes oder angsterregendes Zeichen, sondern schlichtweg ein religiöses Symbol, welches zum Glauben eines anderen Individuums dazugehört", erklären die Wissenschaftler der Forschungsgruppe JUNITED, die zum „Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung" (BIM) an der Humboldt-Universität Berlin gehört.
Für die umfassende Untersuchung wurden 8.200 Menschen zwischen Dezember 2013 und April 2014 interviewt. Nachdem im Dezember 2014 die ersten Ergebnisse unter den Titel "Wer gehört zum deutschen WIR" präsentiert wurden, liegt der Fokus der zweiten Auskopplung der Daten auf den "Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu Gesellschaft, Religion und Identität". Demnach ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Anerkennung für das Recht auf Teilhabe von Muslimen deutlich höher als bei Erwachsenen:
- 85 Prozent der jüngeren Bevölkerung finden, dass es das gute Recht von Muslimen in Deutschland ist, Forderungen zu stellen – bei den älteren denken 65 Prozent so.
- Während 19 Prozent der erwachsenen Bevölkerung denkt, es sei "ein Zeichen von Undankbarkeit", wenn Muslime dies tun, stimmen dieser Aussage nur zehn Prozent der Jugendlichen zu.
- 26 Prozent der jungen Befragten meinen, wer ein Kopftuch trage, könne nicht deutsch sein. Im Vergleich: Unter den älteren Erwachsenen denken 40 Prozent so.
"Auf Basis dieser empirischen Erkenntnisse regen wir als Forschungsgruppe an, über eine Abschaffung des Kopftuchverbotes in allen Bundesländern nachzudenken", erklären die Autoren. Zudem empfehlen sie, Lehrkräfte, Polizisten, Angestellte im öffentlichen Dienst und in der Verwaltung „stärker mit einem interkulturellen Wissen auch zum kontrovers diskutierten Themenfeld Islam und Muslime in Deutschland“ auszustatten, damit sie das in ihren täglichen Arbeitskontakten nutzen können. Auch sei es wichtig, "Kontakträume auszubauen", also Begegnungen und Diskussionen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu fördern.
Von Ferda Ataman
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