Rund 2,9 Millionen Menschen in Deutschland haben ihren Berufsabschluss im Ausland erworben. In vielen Bereichen wird die Qualifikation aber nicht ohne Weiteres anerkannt und die Betroffenen nicht entsprechend beschäftigt oder bezahlt.
Zwar konnte man schon vor dem 1. April 2012 einen Antrag auf Anerkennung der Gleichwertigkeit der ausländischen Berufsqualifikation stellen, doch oftmals lag es im Ermessen der Prüfstellen, ob der Antrag bearbeitet wird. Seit bald einem Jahr aber haben Antragsteller einen Anspruch darauf, dank dem „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen“, kurz Anerkennungsgesetz. Das Gesetz zählt schon lange zu den Forderungen von Experten, um den Fachkräftemangel in Deutschland abzubauen.
Zur Bilanz das Wichtigste zuerst: Eine gesetzliche Evaluierung ist erst nach vier Jahren, also für 2016 vorgesehen. Bundesweite Zahlen zur Anerkennung soll es erstmals schon im Herbst 2013 geben. Bis dahin wissen wir nicht, wie viele Anträge bundesweit für die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen gestellt wurden und wie die Ergebnisse sind. Die umfassende Bundesstatistik wird derzeit vom Statistischen Bundesamt und den Landesämtern erhoben.
Doch mit Blick auf die ersten 12 Monate liegen erste Zahlen vor, die zumindest Tendenzen aufzeigen.
Für Berufe im Gesundheitsbereich gehen die Bundesländer demnach von über 20.000 Anträgen allein in 2012 aus, darunter rund 8.500 Ärzte. Das staatliche Informationsportal "Anerkennung in Deutschland" vermeldet: Das Interesse sei groß, das zeigten Anfragen an Beratungsstellen und Besuche auf dem Anerkennungsportal. Seit der Freischaltung im April 2012 zählt das Portal demnach rund 360.000 Besucher (Stand 15.3.), rund 40 Prozent davon aus dem Ausland. Zentrales Angebot: Der "Anerkennungs-Finder", ein Online-Fragebogen den rund 130.000 Interessierte ausgefüllt haben und der ihnen die zuständige Anlaufstelle vor Ort für den Antrag nennt. Die ist nämlich bei über 600 Berufen und über 1.000 verschiedenen Anlaufstellen nicht einfach zu finden.
Allein bei den Berufen der Industrie- und Handelskammer herrscht Klarheit. Hier wurde eigens die IHK FOSA eingerichtet, ein "bundesweites Kompetenzzentrum für die Prüfung und Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse". Die Einrichtung führt eine Statistik über ihre Arbeit und zählt bis Ende Februar knapp 2.000 Anträge, für die sie zuständig war. Rund 900 Bescheide hat die IHK-Fosa erteilt, davon über 600 auf "volle Gleichwertigkeit". Die ausländischen Berufsabschlüsse stammen aus 98 Ländern, die meisten jedoch aus Polen, Russland und der Türkei.
Die Zahlen sind noch nicht aussagekräftig
"Die momentanen Zahlen sind nicht sehr vielsagend", betont Claudia Moravek, die das Informationsportal "Anerkennung in Deutschland" leitet und die Debatte über Antragszahlen beobachtet. Sie nennt dafür drei Gründe:
1. Neben der IHK-Fosa gebe es über 50 Handwerkskammern, sowie Ärztekammern, Landwirtschaftskammern usw. Insgesamt sind weit über 1.000 unterschiedliche Stellen in ganz Deutschland zuständig, "das macht die Erfassung der tatsächlichen Antragszahlen sehr schwer", so Moravek. "An den Besuchern unseres Portals sehen wir, dass sich sehr viele für Berufe interessieren, zu denen es derzeit noch keine Zahlen gibt."
2. Das Anerkennungsgesetz betrifft nur etwa 600 Berufe im Zuständigkeitsbereich des Bundes. Es gibt jedoch zahlreiche Berufe, deren Gleichstellung und Anerkennung über Ländergesetze geregelt werden müssen – wie etwa Lehrer, Erzieher, Ingenieure, Architekten, Sozialpädagogen und Abschlüsse von Berufsfachschulen. Daher müssen auch die Bundesländer Gesetze verabschieden. Zwar arbeiten sie schon daran, doch bislang haben erst fünf Bundesländer ein ergänzendes Anerkennungsgesetz verabschiedet. "Im Moment könnte es noch passieren, dass ein Ingenieur aus Russland mit den selben Papieren in einem Bundesland eine Anerkennung erhält und in einem anderen nicht", sagt Moravek.
3. Die Bearbeitung der Anträge sei sehr aufwendig. Die zuständigen Stellen müssen etwa die Ausbildungsordnungen der Herkunftsländer überprüfen – und zwar aus dem Jahr, in dem die Berufsqualifikation erworben wurde. Die Bearbeiter müssen zum Teil Informationen aus dem Herkunftsland beschaffen und übersetzen lassen, bevor sie die Gleichwertigkeit überprüfen können. "Nach der Einführung des Gesetzes muss nun eine riesige Infrastruktur aufgebaut werden."
Beispiel Hamburg
Hamburg ist das erste Bundesland, das ein Gesetz für die landesrechtlich reglementierten Berufe verabschiedet hat. Michael Gwosdz leitet dort die „Zentrale Anlaufstelle Anerkennung“ (ZAA). Zwei Fragen, zwei Antworten:
Wie viele Anträge hat Ihre Stelle erhalten?
Gwosdz: Wir stellen bei der Beratung auf jeden Fall ein großes Interesse fest. In den ersten drei Monaten nach Einführung des Gesetzes gab es einen Anstieg von fast 75 Prozent. Bis Januar 2013 haben wir insgesamt knapp 2.200 Beratungsfälle bearbeitet, darunter sind zum Beispiel Ärzte, Apotheker, Hebammen und Krankenpflegerinnen, die einen Antrag gestellt haben. (Zur Zwischenbilanz)
Welche Probleme sehen Sie bei der Umsetzung des „Anerkennungsgesetzes“?
Gwosdz: Das Gesetz ist da, aber die Rahmenbedingungen müssen noch geschaffen werden – im Bezug auf die Qualifizierung von Antragstellern, die Berater in den Anlaufstellen und die Mitarbeiter der Job-Center.
Wir haben in den vergangenen Monaten 180 Angestellte aus den Job-Centern geschult. Denn auch sie müssen für die Problematik sensibilisiert werden, damit sie Finanzierungsanträge für Nachqualifizierungen im Sinne des BQFG bewerten können. Außerdem müssen Standards, nach denen die Qualifikationen der Bewerber beurteilt werden, noch eindeutig festgelegt werden. Eine „Portion Ermessen“ wird wohl immer dabei sein. Und es ist schwer, die Gebühren zu vereinheitlichen, denn jede einzelne Entscheidungsstelle, wie etwa die Handwerks- oder Handelskammer, hat ihre eigene Gebührenordnung.
MDI
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