In den vergangenen Jahren gab es mehrere Gerichtsverfahren, in denen militante Islamistinnen und Islamisten zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Wie viele derzeit in Haft sind, ist nicht bekannt. Die Zahl der Insassen könnte jedoch steigen: In Syrien und Irak sind über 100 militante Islamistinnen und Islamisten inhaftiert, die aus Deutschland in Kriegsgebiete ausgereist waren. Holt Deutschland sie zurück, könnten viele von ihnen hierzulande im Gefängnis landen.
Die Haftanstalten seien darauf nicht ausreichend vorbereitet, warnte Konfliktforscher Andreas Zick bei einer Presse-Tour des MEDIENDIENSTES in Düsseldorf: "Wir wissen zu wenig darüber, wie sich Radikalisierung in Gefängnissen verstärkt und wie man sie wirksam bekämpfen kann."
Wie ist die Situation in NRW?
In Nordrhein-Westfalen gebe es bereits erste, erfolgversprechende Ansätze, sagt NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU): "In unseren Gefängnissen sind aktuell 32 Personen mit militant islamistischem Hintergrund inhaftiert. Um weiteren Radikalisierungen vorzubeugen, werden die Insassen getrennt voneinander untergebracht."
Neben Deradikalisierung setzt NRW auch auf Prävention: Die Justiz hat vier Islamwissenschaftler eingestellt, die das Gefängnispersonal beraten. Sie bieten Schulungen für Beamte an und helfen dabei, Radikalisierungen frühzeitig zu erkennen. Einer von ihnen ist Mustafa Doymuș: "Oft fragen mich die Beamten, welche arabischsprachigen Bücher die Insassen in ihren Zellen lesen dürfen." Er prüfe die Bücher und sortiere gewaltverherrlichende Exemplare notfalls aus. Laut Doymuș gibt es weitere Indizien, die auf eine Radikalisierung hindeuten können: zum Beispiel, wenn sich Gefangene zurückziehen oder anderen Insassen unterstellen, keine "richtigen" Muslime zu sein.
Medientour "Deradikalisierung in Gefängnissen"
In den Haftanstalten gibt es auch sogenannte Integrationsbeauftragte. Sie kümmern sich um Konflikte und Missverständnisse, die aus kulturellen Unterschieden heraus entstehen können. Zudem organisieren sie Kurse zur Demokratieförderung und Sprachkurse, um Gefangene auf das Leben nach der Haft vorzubereiten.
Wie kommt es zu Radikalisierungen?
Die Gefahr für eine Radikalisierung im Gefängnis sei nicht zu vernachlässigen, warnt Justizminister Biesenbach: "Menschen, die in Haft sind, die eingesperrt und isoliert sind von ihrem sozialen Umfeld, befinden sich in einer absoluten Krisen- und Ausnahmesituation." Das könne Radikalisierung begünstigen.
Laut Konfliktforscher Zick spielt auch Stigmatisierung eine Rolle: "Muslimische Gefangene sind oft mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Militante Islamisten können das ausnutzen und versuchen, die Insassen für ihre Zwecke zu gewinnen."
In 14 von 16 Bundesländern gibt es Programme, die militant islamistischer Radikalisierung in Gefängnissen entgegenwirken sollen, sagt Florian Endres. Er leitet die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und plädiert für einen langfristigen Ansatz: "Die Menschen müssen auch nach der Haft in ihren Familien betreut werden." Nur dann könne Deradikalisierung nachhaltig Erfolg haben.
Von Carsten Janke
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