Bushido hat es in Interviews immer wieder betont: Er verkörpert in seinen Rap-Texten, seinen Videos, in den Medien und auf der Bühne eine Kunstfigur. Auch sein als Biographie vermarktetes Buch handelt nicht von ihm selbst, sondern von dieser Kunstfigur, wie er zugibt. Bushido ist im wirklichen Leben gar nicht der harte, skrupellose Gangster, als der er sich gerne ausgibt. Er spielt diese Rolle nur. Warum? Weil es ihm nicht nur Erfolg und Geld bringt, sondern gesellschaftliches Ansehen: ein Integrations-Bambi, ein Praktikum bei der CDU im deutschen Bundestag, ein Kinofilm über sein Leben, Interviews als Experte für das Einwanderungsland Deutschland.
Das passt eigentlich zum Selbstverständnis der Hip-Hop-Kultur: Rap sei das „CNN der Schwarzen Amerikas“, postulierte Chuck D. Mitte der 1990er Jahre, der Rapper der legendären New Yorker Hip-Hop-Gruppe "Public Enemy". Beim Rap kann gesagt werden, was sonst in den Medien der Mehrheitsgesellschaft nicht vorkommt. Hier ergreifen die das Wort, die in dieser Gesellschaft sonst keine Stimme haben – ungeschönt, unverfälscht, authentisch, real. Das ist in der Tat das große Versprechen der Hip-Hop-Kultur, seit 1982 der Titel "The Message" von "Grandmaster Flash & The Furious Five" in die Plattenläden kam:
Rap als Sprachrohr der Minderheiten, als Gegenöffentlichkeit für Außenstehende? Dieses Authentizitätsvesprechen gilt auch für Deutschland. Und Bushido profitiert davon. Doch wenn man den Mainstream-Rap und die Videos der vergangenen Jahre einmal genauer betrachtet, ist eher das Gegenteil der Fall: Hip-Hop bildet längst keine Gegenöffentlichkeit mehr, sondern reproduziert genau die Klischees und Vorurteile, die in der Mehrheitsgesellschaft vorherrschen, und liefert damit die Bestätigung für all jene Sarrazins und AfDs, die es ja schon immer wussten.

SASCHA VERLAN ist freier Autor, Journalist und Regisseur. Seit Mitte der 1990er Jahre beschäftigt er sich kritisch mit der Hip-Hop-Entwicklung. Er leitet Workshops und hält Vorträge zum Thema. Zuletzt ist von ihm das Buch "35 Jahre HipHop in Deutschland" erschienen (gemeinsam mit Hannes Loh).
In seltsamer Eintracht wird ein Bild vom jugendlichen Mann „nicht-deutscher Herkunft“ gezeichnet, der gewalttätig, sexistisch, ungebildet, asozial ist, mit Drogen dealt und sich nicht integrieren kann. Die klischeehaft-extremsten Rap-Texte werden herausgepickt und als Beweis herangezogen, dass die Minderheiten genau so sind, wie sich die Mehrheitsgesellschaft das immer vorgestellt hat.
Funktioniert einfach besser: Klischee statt Wirklichkeit
Gleichzeitig ist weiterhin die Vorstellung weit verbreitet, Rap sei ein künstlerisches Sprachrohr der Minderheiten. Dabei werden zwei wesentliche Aspekte übersehen, die in den vergangenen 20 Jahren seit dem Statement von Chuck D. zunehmend an Bedeutung gewonnen haben:
Zum einen ist Hip-Hop und damit auch Rap eine Kultur, die stark vom Wettkampf geprägt ist und in der Stilmittel der Übertreibung eine zentrale Rolle spielen. Rapper dramatisieren, spitzen zu, überhöhen. Sie wollen sich als besser, stärker und überlegen präsentieren und greifen dabei auf die Metaphern von Macht und Ohnmacht zurück, die in der Gesellschaft vorherrschen. Als "minderwertig" stellen sie alles dar, was irgendwie weiblich, homosexuell, behindert ist oder sonst nicht der Norm entspricht. Zum anderen beeinflussen Musikbusiness, Medien und Aufmerksamkeitsindustrie die Entwicklung des Raps immer stärker. Hier kann man fragen: Welche Künstler und Künstlerinnen werden überhaupt veröffentlicht und offensiv vermarktet? Welche Songs kommen auf die CD? Zu welchen Songs werden Videos gedreht?
Ein erfolgreicher "Gangsta" der Rapszene ist auch der Offenbacher Rapper "Haftbefehl", der von Medien ebenfalls regelmäßig in Integrationsfragen herangezogen wird. Damit sein Publikum nicht ins Zweifeln kommt, dass seine Texte über das harte Straßenleben authentisch sind, haben die Videoproduzenten einen neuen Trick gefunden: Im Video zu "Lass die Affen aus'm Zoo" zeigen sie den Rapper nicht mehr nur im üblichen Umfeld von muskelbepackten Männern, Narben, Waffen, Kampfhunden und getunten Nobelkarossen, es werden zusätzlich vermeintlich echte Bilder von Überwachungskameras eingeblendet.
Es bleibt unklar, ob diese rot unterlegten Aufnahmen von Schlägereien und Überfällen echt sind oder extra für das Video produziert wurden. Auf jeden Fall soll damit bewiesen werden: Was Haftbefehl in seinen Texten erzählt, das gebe es wirklich auf den Straßen von Offenbach. Er beschreibe bloß als Straßenreporter, was in seinem Umfeld passiere.
Es ist die Tragik des Mainstream-Rap, dass er von dem Versprechen lebt, authentisch zu sein und daraus seine Legitimation bezieht. Gleichzeitig bekommt er aber nur dann die nötige öffentliche Aufmerksamkeit und wird erfolgreich, wenn er Klischees reproduziert. Wenn er sich anpasst und einfügt in den medialen Diskurs, anstatt ihn zu hinterfragen. Das führt dazu, dass zwar einzelne Protagonisten der Szene den sozialen Aufstieg schaffen und möglicherweise reich werden, an den grundsätzlichen sozialen Verhältnissen änderst sich aber nichts. Im Gegenteil: sie verfestigen sich weiter.
Allerdings, und diese Unterscheidung ist wichtig, ist es vor allem der Mainstream-Rap, der diese Vorurteile reproduziert. Im Schatten der großen Aufmerksamkeit gibt es nach wie vor unzählige Rap-Gruppen und Netzwerke, die dieses Missverhältnis klar erkannt haben, die Mechanismen der Aufmerksamkeitsindustrie entzaubern, Gegenentwürfe entwickeln und einfach politisch ansprechende, positive Musik machen. Höchste Zeit, ihnen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
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