2024 haben rund 250.900 Personen einen Asylantrag in Deutschland gestellt – davon 229.800 Erstanträge. Das sind etwa ein Drittel weniger Asylanträge als 2023. Auch die Zahl der unerlaubten Grenzübertritte (überwiegend von Schutzsuchenden) nach Deutschland sind 2024 um 36 Prozent Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen – von 130.000 Grenzübertritten auf rund 83.000. Die meisten Grenzübertritte fanden über die deutsch-polnische Grenze statt (16.000 Personen) – ein Drittel davon über die sogenannte Belarus-Route. Etwa 13.500 Einreisen fanden über die "Luftgrenze" statt (mit dem Flugzeug). Ebenso viele Menschen kamen über die österreichische Grenze. Rund 13.000 Personen kamen über die Schweizer Grenze.
Eine Zusammenfassung der Asylzahlen 2024 finden Sie in unserem Dossier "Zahl der Flüchtlinge".
2024 haben Deutschland sowie andere europäische Staaten ihre Grenzkontrollen verstärkt mit dem Ziel, irreguläre Migration einzudämmen. Ein direkter und nachhaltiger Zusammenhang zwischen Grenzkontrollen und Entwicklung der Flüchtlingszahlen lässt sich jedoch laut Migrationsforscher*innen nicht feststellen: "Grenzkontrollen können kurzfristig dafür sorgen, dass weniger Menschen über einen bestimmten Grenzabschnitt kommen. Wir wissen allerdings, dass Migrationsrouten sich schnell neu konfigurieren", sagt der Migrationsforscher Franck Düvell vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien in Osnabrück.
Zahl der irregulären Einreisen variiert je nach Route
Dass die Entwicklung der Flüchtlingszahlen auch von anderen Faktoren als den Kontrollen an deutschen Grenzen beeinflusst wird, zeigt sich anhand der Asylzahlen in der Europäischen Union: Auch in der EU ging die Zahl der Erstanträge in den ersten zehn Monaten 2024 zurück – um circa 10 Prozent auf rund 788.000 Erstanträge. Auch die Gesamtzahl der irregulären Grenzübertritte in Europa war im vergangenen Jahr rückgängig: Nach Angaben der EU-Grenzagentur Frontex gab es zwischen Januar und November 2024 insgesamt rund 40 Prozent weniger irreguläre Grenzübertritte als im gleichen Zeitraum 2023.
Ein genauerer Blick auf die einzelnen Flucht- und Migrationsrouten zeigt ein differenziertes Bild. Einen besonders starkeren Rückgang gab es auf der sogenannten Westbalkan-Route: Von Januar bis November 2024 lag die Zahl der Ankünfte im Drehkreuz-Land der Region, Serbien, etwa 80 Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. Auch auf der sogenannten zentralen Mittelmeer-Route zwischen Nordafrika und Italien sank die Zahl der Ankünfte um fast 60 Prozent.
Auf anderen Fluchtrouten wurden hingegen mehr Ankünfte festgestellt als im Vorjahr: In Griechenland kamen insgesamt 27 Prozent mehr Menschen an als 2023. Auch auf der Belarus-Route nach Polen wurden ein Viertel mehr versuchte Grenzübertritte festgestellt. Außerdem hat sich 2024 die besonders gefährliche Route von Westafrika zu den Kanarischen Inseln weiter etabliert. Hier kamen 2024 mehr als 46.500 Personen an. Nach Angaben der spanischen Menschenrechtsorganisation "Caminando Fronteras" sollen auf dieser Route rund 10.000 Menschen beim Versuch der Überfahrt gestorben sein.
Fluchtmigration wird flexibler und vielfältiger
Vergleicht man die Entwicklung der Ankunftszahlen auf den einzelnen Routen, sieht man: Anders als in der Vergangenheit gibt es keine Hauptroute wie etwa die östliche Mittelmeer-Route im Jahr 2015, die Westbalkan-Route 2016 oder die zentrale Mittelmeer-Route 2022. Irreguläre Grenzübertritte sind zunehmend auf verschiedene Routen verteilt. Die Zahl der Personen, die Italien, Spanien und Griechenland erreicht haben, liegt zum Beispiel auf demselben Niveau.
2024 hat eine Tendenz bestätigt, die Migrationsforscher*innen seit mehreren Jahren im Blick haben: (Flucht-)Migration werde flexibler und vielfältiger, sagt Ravenna Sohst, Policy Analyst beim Migration Policy Institute Europe (MPI) und Spezialistin für irreguläre Migration. Zum einen versuchten Schutzsuchende zunehmend, über legale Wege nach Europa zu gelangen. So ist zum Beispiel die Zahl der Asylbewerber*innen, die legal aus Kolumbien und Venezuela nach Spanien reisen, von wenigen hundert Personen im Jahr 2016 auf monatlich 3.000 bis 5.000 Personen im Jahr 2024 gestiegen. Auch in Deutschland (wo Personen aus Venezuela und Kolumbien ohne Visum einreisen können) gehört Kolumbien inzwischen zu den Top-10-Asylherkunftsstaaten.
Zum anderen passten sich Migrationsrouten viel schneller an neue Kontrollen und Hürden an, so Sohst. So habe zum Beispiel ein "Aktionsplan" der Europäischen Union mit den Balkanstaaten 2022 für strengere Kontrollen – und folglich weniger irreguläre Einwanderung – entlang der Westbalkan-Route gesorgt. Zahlreiche Geflüchtete und Migrant*innen seien deshalb auf der Balkanroute gestrandet. Auf anderen Routen wie etwa auf der Belarus-Route nach Polen ist die Zahl der irregulären Grenzübertritte hingegen gestiegen.
Auch die Abkommen der Europäischen Union mit nordafrikanischen Staaten wie etwa Ägypten und Tunesien hätten mittelfristig eine Rolle beim Rückgang der Flüchtlingszahlen auf den Hauptrouten gespielt, sagt die Analystin. Auch hier könne man aber nicht von einer geradlinigen Entwicklung sprechen. So sei zwar die Zahl der versuchten Überfahrten aus Tunesien nach Italien seit Oktober 2023 stark zurückgegangen. Gleichzeitig kämen aber wieder mehr Personen aus Libyen. Flüchtlingszahlen gehen also auf mehreren Routen zurück – von einem nachhaltigen Rückgang könne aber nicht die Rede sein.
Einen direkten Zusammenhang zwischen dem Rückgang der versuchten Überfahrten im zentralen Mittelmeer und den Asylzahlen in Deutschland könne man auch nicht feststellen. Ein Vergleich der Nationalitäten der Personen, die 2024 in Italien ankamen und derjenigen, die in Deutschland Asyl beantragt haben, zeigt: Nur wenige unter ihnen stellten einen Asylantrag in Deutschland.
Grenzkontrollen, verstärkte Überwachungsmaßnahmen und Abkommen mit Staaten, die Menschenrechte nicht beachten, seien keine nachhaltige Strategie im Umgang mit Fluchtmigration, sagt Migrationsforscher Düvell: "Wenn man dabei Staaten und Regierungen unterstützt, die wenig Respekt vor Menschenrechten haben, führt das paradoxerweise dazu, dass dann eher mehr Menschen diese Staaten verlassen wollen – wie die Beispiele Tunesien und Türkei zeigen."
2024 ist die Zahl der Personen, die laut UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR aufgrund von Konflikten und weiteren Krisen ihre Wohnorte verlassen mussten, um mehr als 5 Millionen Menschen gestiegen (Stand: Juni 2024) – besonders in Palästina, Libanon und dem Sudan. Eine Strategie, um weitere humanitäre Krisen zu vermeiden, basiere auf zwei Ansätzen, sagt Düvell: Konfliktprävention und diplomatische Arbeit in den Regionen und eine Unterstützung von Erstaufnahmestaaten wie etwa Ägypten und Tschad.
Von Fabio Ghelli
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