MEDIENDIENST: Wie kann man so etwas wie den NSU verhindern?
Timo Reinfrank: Man wird so etwas nicht ganz verhindern können, aber man kann vieles tun, damit es nicht noch mal passiert. Ich sehe hier vor allem die Sicherheitsbehörden in der Pflicht. Die Untersuchungsausschüsse haben gezeigt, dass sie beim NSU massiv versagt haben: Sie hätten früher intervenieren und so verhindern können, dass sich die Täter radikalisieren und in den Untergrund abtauchen. Präventionsarbeit muss also auch an den staatlichen Institutionen ansetzen – vom Verfassungsschutz über die Polizei bis hin zu den Schulen.
Was gehört noch zu einer erfolgreichen Präventionsarbeit?
Es gibt drei Stufen: Bei der klassischen Prävention geht es darum, Menschen über die Gefahren von Rechtsextremismus aufzuklären. Dazu gehört auch, diejenigen zu stärken, die von Rassismus oder rechter Gewalt betroffen sind. Die zweite Stufe, die Intervention, richtet sich an Menschen, die bereits mit rechtsextremistischen Organisationen sympathisieren. Hier versucht man zu schauen, wie man Radikalisierungsprozesse unterbrechen kann. Ein dritter Pfeiler, die Repression, wendet sich an Menschen, die schon fest in rechtsextremistische Gruppen eingebunden sind. Dazu zählen Projekte für Gefängnisinsassen, aber auch Angebote für Aussteiger.
TIMO REINFRANK ist Geschäfts-führer der Amadeu Antonio Stiftung (AAS). Er berät NGOs, Politik und Verwaltung zu Rechts-extremismus und lebendiger Demokratie. Der Politikwissenschaftler engagiert sich als Vorsitzender des Vereins für demokratische Kultur in Berlin e.V. und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD).
Wie erfolgversprechend sind die einzelnen Ansätze?
Die Bundesregierung hat lange Zeit viel Geld in Projekte für Aussteiger investiert. Die Erfolge waren jedoch überschaubar. Aber auch in der klassischen Präventionsarbeit gibt es Probleme: Viele Projekte richten sich ausschließlich an Kinder und Jugendliche. Lehrer, Eltern und andere Verwandte werden meist nicht mit einbezogen. Dabei spielen gerade Großeltern bei der Aufklärung über Rechtsextremismus eine wichtige Rolle: Sie sind oft die einzigen, die noch Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus haben und entsprechendes Wissen vermitteln können. Hinzu kommt, dass viele Projekte ausschließlich an Schulen stattfinden. Die Jugendlichen haben so das Gefühl, sich mit dem Thema befassen zu müssen. Sinnvoller wäre es, auch Projekte außerhalb der Schule anzubieten, bei denen sich Jugendliche freiwillig mit Rechtsextremismus auseinandersetzen können.
Gibt es Beispiele für solche Projekte?
In Köln gab es das Projekt „History Reclaimed – ein Jugendprojekt zur Geschichte des rechten Terrors“ von La Talpa e.V. Jugendliche haben sich die verschiedenen Tatorte des NSU angeschaut und recherchiert, in welchen Stadtteilen die Morde stattfanden und wo heute Rechtsextremisten aktiv sind. Die Teilnehmer haben daraus eine App gemacht. Jetzt wollen sie auch für weitere Städte Apps erstellen. Auch für den Bereich der Intervention gibt es erfolgreiche Beispiele: In der niedersächsischen Stadt Bad Nenndorf haben es zivilgesellschaftliche Initiativen im Bürgerbündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ mit der Unterstützung der Stadt geschafft, einen seit 2005 jährlich stattfindenden Nazi-Aufmarsch erstmals zu verhindern. Ein erfolgreiches Beispiel einer Präventionsarbeit mit langem Atem.
Sehen Sie derzeit neue Herausforderungen im Umgang mit Rechtsextremismus?
Ein Problem ist, dass die Sensibilität für rechte Gewalt und Rassismus zurückgeht. Nach der Selbstenttarnung des NSU gab es bei den Sicherheitsbehörden einen Schock, der dazu geführt hat, dass sie stärker gegen rechte Gewalt vorgegangen sind. Jetzt, wo die Debatte zum NSU abebbt und das Interesse auch in den Medien nachlässt, ist diese Sensibilität wieder zurückgegangen. Hinzu kommt, dass es nicht mehr nur der klassische Rechtsextremismus ist, mit dem wir es zu tun haben.
Wie meinen Sie das?
Die NPD als klassische rechtsextreme Partei verliert an Bedeutung. Größeren Einfluss haben Gruppierungen, die zur sogenannten Neuen Rechten zählen. Sie berufen sich nicht mehr explizit auf den Nationalsozialismus, sondern nutzen andere Strategien, um Menschen auszugrenzen. Das Gefährliche daran ist, dass die Parteien sich nicht länger einig sind, wie sie mit diesen Gruppen umgehen sollen. Die „Neue Rechte“ nutzt das aus und setzt gezielt auf Inhalte, die auch in der Mitte der Gesellschaft Zuspruch finden. Der fehlende Konsens bei den Parteien hat auch Auswirkungen auf die Präventionsarbeit: Für viele Projekte, die sich gegen die „Neue Rechte“ richten oder explizit zum Thema Rechtspopulismus arbeiten, ist es schwer, Unterstützung zu finden.
Interview: Jennifer Pross
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