Aktuell wird wieder verstärkt über Grenzkontrollen, Abschiebungen und Abschiebehaft debattiert. Der Mediendienst hat Zahlen und Fakten zum Thema zusammengestellt.
Dauerhafte Grenzkontrollen
Deutschland ist Teil des sogenannten Schengen-Raums. Als solcher führt die Bundesrepublik seit 1995 keine Grenzkontrollen nach Belgien, Luxemburg, den Niederlanden durch – später auch nach Italien, Österreich und der Schweiz. Der Schengener Grenzkodex ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Grenzkontrollen für begrenzte Zeit wieder einzuführen. Im September 2024 hat die Bundesregierung vorübergehende Grenzkontrollen an den Grenzen zu Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Belgien und Dänemark eingeführt. Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz finden schon seit Oktober 2023 statt. An der deutsch-österreichischen Grenze gibt es sie (mit Unterbrechungen) seit 2015. Die Kontrollen müssen nach dem Schengener Kodex befristet sein.
Zurückweisungen an den Grenzen
Nach aktueller Rechtslage dürfen Asylsuchende nicht an der Grenze zurückgewiesen werden. Das ergibt sich aus dem nationalen, europäischen und internationalen Asylrecht: Demnach hat jede asylsuchende Person in Deutschland Anspruch auf die individuelle Prüfung ihres Antrags. Ohne diese Prüfung darf sie nicht zurückgewiesen werden.
Auch Personen, die über einen der EU-Nachbarstaaten Deutschlands einreisen, dürfen nicht an der Grenze abgewiesen werden: Bei ihnen muss geprüft werden, welcher EU-Mitgliedstaat für sie nach der Dublin-III-Verordnung zuständig ist.
Dass Zurückweisungen an EU-Binnengrenzen nach der aktuellen Rechtslage rechtswidrig sind, haben zuletzt Urteile sowohl des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bestätigt.
Systematische Zurückweisungen an den Grenzen wären nur dann möglich, wenn
- Deutschland eine "Notlage" nach Artikel 72 des "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) erklärt – nach Einschätzung von EU-Rechtsexpert*innen gilt das als sehr unwahrscheinlich;
- Deutschland aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention austritt. Laut Rechtswissenschaftler*innen müsste dafür auch ein Austritt aus der Europäischen Union erfolgen. Im Fall eines Konfliktes zwischen nationalen und EU-Recht gilt der Vorrang des EU-Rechts.
⇒ Zum Dossier: Irreguläre Einreisen und Zurückweisungen an den Grenzen
Nicht-systematische Zurückweisungen an den Grenzen finden schon jetzt statt: Etwa 41.600 Personen, die irregulär nach Deutschland einreisen wollten, hat die Bundespolizei zwischen Januar und November 2024 an den Grenzen zurückgewiesen – das sind 23 Prozent mehr Zurückweisungen als im gesamten Vorjahr (34.860 Zurückweisungen). Quelle
Ausreisepflicht und Abschiebehaft
Als "vollziehbar ausreisepflichtig" gelten alle Personen, die eine Ausreiseaufforderung bekommen haben und nicht innerhalb der Ausreisefrist das Land verlassen haben – auch wenn sie eine Duldung haben. Dabei handelt es sich um rund 221.000 Personen. Wichtig: Eine Duldung beseitigt weder die Ausreisepflicht noch deren Vollziehbarkeit, sie setzt nur den Vollzug zeitweilig aus. Das heißt: Wenn eine Ausländerbehörde entscheidet, dass die "Abschiebungshindernisse" entfallen, können ausreisepflichtige Personen abgeschoben beziehunghsweise in Abschiebungshaft genommen werden – unabhängig davon, ob sie eine Duldung haben oder nicht. Sogenannte unmittelbar ausreisepflichtige Personen (rund 42.300 Personen) sind Personen, die ihre Duldung nicht verlängert haben und womöglich bereits ausgereist sind.
⇒ Zum Dossier: Ausreisepflichtige Personen
Wenn ein ausländischer Staatsbürger ausreisepflichtig ist und Deutschland nicht freiwillig verlässt, kann er in Abschiebehaft genommen werden. Ein Gericht darf das aber nur dann anordnen, wenn es keine andere Möglichkeit sieht, die Ausreise durchzusetzen beziehungsweise eine "erhebliche Fluchtgefahr" besteht. Dieses Prinzip ist im EU-Recht verankert. In Abschiebehaft können auch Ausreisepflichtige genommen werden, von denen eine "Gefahr für Leib und Leben Dritter" ausgeht. Die Abschiebehaft darf nach dem deutschem Recht nicht länger als sechs Monate dauern.
Nachdem sie während der Covid-19-Pandemie stark zurückgegangen war, ist die Zahl der Inhaftierungen zwischen 2021 und 2023 wieder gestiegen. Fast alle Bundesländer haben die Kapazitäten der Hafteinrichtungen erweitert: Bundesweit gibt es rund 800 Haftplätze in der Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam (Stand: Oktober 2024).
Seit 2015 gab es zahlreiche Verschärfungen des Abschiebe- und Ausweisungsrecht. Insbesondere wurden die Bedingungen für Abschiebehaft und -gewahrsam erweitert und die Inhaftnahme verlängert.
Von Fabio Ghelli
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