MEDIENDIENST INTEGRATION: Ein militanter Islamist hat in Dresden einen Menschen ermordet und einen zweiten schwer verletzt. Der mutmaßliche Täter ist ein Flüchtling aus Syrien. Nachdem er von den Sicherheitsbehörden als "Gefährder" eingestuft wurde, wurde ihm sein Flüchtlingsstatus aberkannt. Trotzdem konnte er nicht abgeschoben werden. Warum?
Anuscheh Farahat: Wenn Flüchtlinge als eine "Gefahr für die Sicherheit" oder eine "terroristische Gefahr" angesehen werden, können sie laut geltendem Recht ausgewiesen werden (AufenthG §53 Abs. 3a). Das heißt, sie verlieren ihren Flüchtlingsstatus und gelten als ausreisepflichtig. Das heißt aber noch nicht, dass sie automatisch abgeschoben werden können. Damit eine Abschiebung stattfindet, müssen mehrere Bedingungen erfüllt werden.
Welche?
Unter anderen darf im Herkunftsstaat keine "erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit" bestehen (AufenthG §60 Abs. 7). Im Bürgerkriergsland Syrien scheint das im Moment nicht der Fall zu sein.
Heißt das, niemand kann nach Syrien abgeschoben werden?
Nicht unbedingt. 2012 hat die Bundesregierung beschlossen, keine Menschen mehr nach Syrien abzuschieben. Dieser sogenannte Abschiebestopp wurde zuletzt im Juni dieses Jahres verlängert – bis zum Jahresende. Das bedeutet, dass jede Person, die aus Syrien kommt, derzeit einem Abschiebeverbot unterliegt – unabhängig davon ob die Person Flüchtling, subsidiär schutzberechtigt oder eben ausreisepflichtig ist. Diese Situation kann sich aber ändern.
Prof. Dr. ANUSCHEH FARAHAT ist Professorin für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie leitet die Forschungsgruppe „Transnationale Solidaritätskonflikte“ und ist Senior Research Affiliate am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg.
Inwiefern?
Bei diesem Abschiebestopp handelt es sich um eine Verwaltungspraxis. Sollte sich die Sicherheitslage in Syrien – oder in Teilen Syriens – verbessern, kann der Abschiebestopp aufgehoben werden. Das haben wir im Fall Afghanistans beobachtet: Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts droht den Rückkehrern in den meisten Regionen Afghanistans keine Gefahr mehr. Deshalb wird nun nach Afghanistan wieder abgeschoben. Man kann sich natürlich fragen, ob diese Einschätzung die Lage in Afghanistan wirklich zutreffend beschreibt. Aber grundsätzlich können Personen nun dorthin abgeschoben werden, wenn sie nicht darlegen können, warum ihnen konkret dort eine Gefahr für Leib und Leben droht.
Und in Syrien?
Die Situation in Syrien ist meiner Einschätzung nach weiterhin bedrohlich. Die Regierung von Bashar Al-Assad, die inzwischen einen Großteil des Landes kontrolliert, hat wiederholt Menschenrechte aufs Gröbste verletzt. Internationale Menschenrechtskonventionen verbieten es Staaten, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihnen Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit droht.
Die Genfer Flüchtlingskonvention bestimmt allerdings, dass ein Flüchtling, der "als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes" (Artikel 33) anzusehen ist, sich nicht auf das Abschiebeverbot berufen kann...
Das stimmt. Diese Regelung betrifft den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Das ist aber etwas anderes als das Abschiebeverbot (nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG). Diese Abschiebeverbote orientieren sich an der Europäischen Menschenrechtskonvention. Deren Artikel 3 verbietet es, Menschen in ein Land abzuschieben, in dem ihnen Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Das muss in jedem Einzelfall geprüft werden.
Nehmen wir an, die Bundesregierung sollte die Sicherheitslage in Syrien tatsächlich neu einschätzen und feststellen, dass es sichere Regionen im Land gibt. Welche Folgen hätte das für Syrer*innen in Deutschland?
Das könnte schwerwiegende Folgen für viele Menschen haben – und nicht nur für Gefährderinnen und Gefährder sowie Straftäterinnen und Straftäter. Sollte Syrien plötzlich als "sicher" gelten, könnte es passieren, dass der Schutzstatus von tausenden Syrer*innen widerrufen wird. Das würde vor allem subsidiär Schutzberechtigte treffen, die eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr bekommen. Natürlich muss auch das im Einzelfall geprüft werden, aber die Gefahr wäre da. Für die syrischen Kriegsflüchtlinge wäre das ein harter Schlag: Viele von ihnen, die 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, befinden sich kurz davor, eine langfristige Niederlassungserlaubnis beantragen zu dürfen. Kurz vor der Ziellinie würde man ihnen dadurch die Möglichkeit nehmen, endlich in Deutschland anzukommen.
Interview: Fabio Ghelli
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