Die Bundesregierung will, dass Menschen mit Doppelpass, die in einer ausländischen Miliz gekämpft haben, künftig die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Das geht aus einem Gesetzentwurf hervor, der gegenwärtig zwischen Innen- und Justizministerium abgestimmt wird, wie Medien berichten. Der Rechtswissenschaftler Thomas Groß, der an der Universität Osnabrück lehrt, sieht das kritisch. Er hält nichts davon, die Aberkennung der Staatsangehörigkeit als Sanktion einzusetzen, auch wenn das Bundesverfassungsgericht das in der Vergangenheit schon prinzipiell gebilligt habe. Einerseits seien Ausbürgerungen ein Kennzeichen von autoritären Regimes, sie waren in der NS-Zeit und in der DDR üblich. „Aufgrund der deutschen Geschichte ist das sehr heikel“, sagt Groß. „Andererseits haben andere europäische Länder bereits ähnliche Regeln erlassen“, räumt er ein – zum Beispiel Belgien und Großbritannien. Der britische Innenminister hat sogar kürzlich einer 19-jährigen gebürtigen Britin, deren Eltern aus Bangladesch stammen, die Staatsbürgerschaft entzogen. Sie sitzt jetzt in einem Gefangenenlager in Syrien fest und ist derzeit staatenlos, weil auch Bangladesch sie nicht aufnehmen will.
Die USA hatten Deutschland und andere europäische Staaten im Februar dazu aufgefordert, gefangene Kämpfer der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) zurückzunehmen und vor Gericht zu stellen. Unter den rund 3.000 IS-Kämpfern und deren Familien, die in Syrien festgehalten werden, sollen sich rund 120 deutsche Staatsbürger befinden – 40 Erwachsene und rund 80 Kinder. Wie viele von ihnen eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen, ist nicht bekannt. In Deutschland wäre ein Vorgehen wie das Großbritanniens nicht möglich. Die deutsche Verfassung gebietet in Artikel 16 unmissverständlich: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden." Den deutschen Pass kann lediglich unter bestimmten Umständen verlieren, wer dadurch nicht staatenlos wird. Das Grundgesetz unterscheidet also fein zwischen Entzug und Verlust der Staatsbürgerschaft. Die Bundesregierung will nun die Voraussetzungen, die zu einem solchen Verlust führen können, ausweiten. So soll künftig ausgebürgert werden, wer eine weitere Staatsbürgerschaft besitzt und „für eine Terrormiliz an Kampfhandlungen im Ausland teilnimmt“. Der Begriff der "Terrormiliz" sei ziemlich vage, findet Thomas Groß. Sie bezieht sich auch nicht nur auf islamistisch motivierten Terrorismus wie beim IS.
Wie will man die Taten nachweisen?
Über die Ausbürgerung soll die jeweils zuständige Landesbehörde entscheiden. Groß weist darauf hin, dass mit jedem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auch die Unionsbürgerschaft in der EU verloren geht. "Hierfür verlangt der Europäische Gerichtshof in Karlsruhe eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung. Ob deren Voraussetzungen erfüllt sind, ist bei einigen der neuen Vorschriften zweifelhaft."
Auch die Rechtswissenschaftlerin Astrid Wallrabenstein, die an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt am Main lehrt, hält das geplante Gesetz für fragwürdig. „Es ist schlicht unmöglich, das praktisch zu handhaben“, meint sie. "Ob jemand nur in einer Kriegsregion war oder sich dort auch aktiv an Kampfhandlungen beteiligt hat, lässt sich nicht so einfach klären." Klarheit kann nur ein Gerichtsverfahren bringen, das ohnehin geführt werden muss, wenn der Verdacht im Raum steht. "Die deutsche Landesbehörde, die das feststellen soll, hat überhaupt nicht die Mittel, das herauszufinden."
Außerdem sei die Haltung der Bundesregierung widersprüchlich. Einerseits will Deutschland ausländische "Gefährder" – also Menschen, die womöglich Terroranschläge begehen könnten – ausweisen und erwartet von anderen Ländern, dass sie ihre Staatsbürger zurücknehmen. "Es wäre dann doch ein großer Widerspruch, wenn Deutschland seine Staatsbürger, die anderswo tatsächlich zu Terroristen geworden sind, nicht zurücknehmen würde." Wallrabenstein sieht in dem Vorschlag eine ausgrenzende Botschaft. „Die Aussage ist: den Doppelstaatlern trauen wir nicht. Sie sind Deutsche unter Vorbehalt. Innenpolitisch und integrationspolitisch ist das Signal fatal." Es könnte weiteren rechtlichen Verschlechterungen für Menschen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit den Boden bereiten, so Wallrabenstein.
"Eine symbolische Ersatzhandlung"
Der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhardt sieht die Gefahr einer Abwärtsspirale dagegen nicht. Die Gesetzesnovelle öffne kein Einfallstor für weitere Verschärfungen, glaubt er. "Das wird juristisch geprüft, vom Bundesverfassungsgericht und europäischen Gerichten." Im Ringen der beiden Koalitionsparteien Union und SPD um das neue Gesetz sieht aber auch er eine Fortsetzung des Konflikts um die doppelte Staatsbürgerschaft. Er führt den Vorstoß zudem auf Versäumnisse in der Vergangenheit zurück. "Dass sich der Attentäter Anis Amri mit über zwölf verschiedenen Identitäten durchschlagen konnte, weil Bundespolizei und BAMF ihre Daten nicht abgleichen konnten, hat das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erschüttert." Die Gesetzesnovelle sei eine symbolische Ersatzhandlung, sie habe aber "kaum praktische Relevanz." Es sei "eine Aktion, die vor allem Wind erzeugen und Emotionen befriedigen soll".
Für vergangene Taten gilt das Gesetz nicht. Es hat also keine Auswirkung auf diejenigen, die für den IS in Syrien gekämpft haben. "Es könnte aber unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben, die wir heute noch gar nicht absehen können", warnt Thränhardt. Die kurdischen Milizen, die den IS besiegt hätten, würden etwa derzeit im Westen gefeiert. Sie gelten in Europa aber offiziell immer noch als mit der PKK verbundene Terrororganisationen – und sie entsprechen ziemlich genau der Definition einer Terrormiliz, wie sie nun im Gesetzentwurf steht. "Es wäre besonders absurd, wenn das neue Gesetz auf jene Menschen angewandt würde, die in den Reihen der Milizen gekämpft haben, welche die Region von der Herrschaft des IS befreit haben", sagt Thränhardt.
Von Daniel Bax
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