In Dortmund wird ein WDR-Reporter von einem mutmaßlichen Rechtsextremisten angegriffen. In Berlin attackieren Vermummte ein Team der ZDF Heute Show. Das sind keine Einzelfälle, wie eine Studie der Universität Bielefeld zeigt, die in Zusammenarbeit mit dem MEDIENDIENST entstanden ist. Dazu wurden mehr als 320 Journalist*innen zu ihren Erfahrungen mit "hate speech" befragt.
Rund 16 Prozent der befragten Journalist*innen gaben an, in ihrer Laufbahn körperliche Gewalt erlebt zu haben. Etwa genauso viele waren von Morddrohungen betroffen. 60 Prozent waren in den vergangenen 12 Monaten mit Anfeindungen, Drohungen und Beleidigungen konfrontiert. Eine Zunahme um fast 20 Prozentpunkte im Vergleich zu einer Untersuchung drei Jahre zuvor. Die Angriffe auf Journalist*innen haben nicht nur zugenommen, sondern sich auch radikalisiert, sagte Studienleiter Andreas Zick bei einem Online-Pressegespräch des MEDIENDIENSTES.
Besonders viele Hassbotschaften beim Thema „Migration“
Besonders häufig erleben Journalist*innen Hass, wenn sie über Themen wie „Migration“, „AfD“ oder „Flüchtlinge“ berichten. 82 Prozent der Befragten, die selbst angegriffen wurden, verorten die Angreifer*innen im rechten politischen Spektrum.
Diese Einschätzung kann die Journalistin Gilda Sahebi bestätigen. Sie ist Projektleiterin beim „No Hate Speech Movement“ und gibt regelmäßig Workshops für Journalist*innen, die von Hass im Netz betroffen sind. "Rechte Gruppen sind extrem gut organisiert. Sie planen ihre Angriffe und Hasspostings sehr gezielt und erreichen eine große Reichweite." Es gebe auch linken Hass gegen Journalist*innen, der trete aber eher unorganisiert und spontan auf.
Die Studie können Sie hier herunterladen.
Welche Folgen hat der Hass für Betroffene?
Bei vielen Betroffenen wirkt sich der Hass auf die psychische Gesundheit aus. Depressionen oder Schlafstörungen können die Folge sein, so Sahebi. Viele Betroffene könnten den Hass alleine nicht stemmen und wünschten sich mehr Solidarität: "Besonders wichtig ist der Austausch mit Kolleg*innen und die Unterstützung durch die Redaktion." In vielen Redaktionen sei die Aufmerksamkeit für das Thema Hate Speech in den letzten Jahren zwar gewachsen. Doch viele Journalist*innen, insbesondere freie, fühlen sich noch immer alleine gelassen, so Sahebi. "Hate speech" werde damit zur Gefahr für die Pressefreiheit.
Medienschaffende fordern mehr Schutz durch Polizei und Justiz
Auch von Strafverfolgungsbehörden wünschen sich Journalist*innen mehr Rückendeckung. Denn nur selten werden Hater verurteilt. „Es wäre möglich, eine effektive Strafverfolgung im Bereich Hate Speech zu betreiben", sagt der Staatsanwalt Christoph Hebbecker. Er gehört der Abteilung für Cybercrime der Staatsanwaltschaft Köln an. Dafür bräuchte es laut Hebbecker jedoch mehr Sensibilität bei Polizei und Justiz. Oft seien Beamt*innen verunsichert, wie sie mit dem Thema umgehen sollen.
Wichtig ist laut Hebbecker auch, dass Medienschaffende Hassrede leichter anzeigen können. "Das ist bisher viel zu kompliziert", so der Staatsanwalt. Deshalb unterstützt er mit seinem Projekt „Verfolgen statt nur Löschen“ Medien dabei, strafbare Kommentare im Netz anzuzeigen. Das Projekt scheint ein guter Anfang zu sein: Andere Staatsanwaltschaften planen ähnliche Projekte.
Zur Studie
Die Studie basiert auf einer anonymen Online-Umfrage, die von Oktober bis Dezember 2019 durchgeführt wurde. Teilgenommen haben 322 Journalist*innen, die unter anderem über die Landesverbände des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) kontaktiert wurden. Die Studie ist nicht repräsentativ, erlaubt aber Einblicke in den Arbeitsalltag Medienschaffender in Deutschland. Sie wurde von der Freudenberg Stiftung gefördert.
Von Tomma Neveling
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