Journalisten sehen sich zunehmend verbalen und körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Das ist das Ergebnis der Studie „Publizieren wird zur Mutprobe“, für die das Bielefelder „Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung" (IKG) auf Initiative des MEDIENDIENSTES im vergangenen Jahr Medienschaffende befragt hat. 2016 waren demnach 42 Prozent der befragten Journalisten von Angriffen und Anfeindungen betroffen. Viele von ihnen wurden angegangen, weil sie über die Themen Migration, Asyl und Integration berichtet hatten. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass Hass und Übergriffe auf Journalisten im vergangenen Jahr deutlich zugenommen haben.
Andreas Zick, Leiter des IKG an der Universität Bielefeld und Mitautor der Studie „Publizieren wird zur Mutprobe“, betonte beim Pressegespräch die Belastung, die „Hate Speech“ für Medienschaffende bedeutet: Fast ein Drittel der Betroffenen gab an, dass ihr Privatleben durch die Anfeindungen beeinträchtigt sei. „In anderen Branchen wäre es ein Skandal, wenn so viele Mitarbeiter eine Belastung mit nach Hause nähmen“, sagte Zick. Es sei daher wichtig, Hass und Anfeindungen gegen Journalisten ernst zu nehmen und Strategien zu ihrem Schutz zu entwickeln.
Welche Strategien gibt es?
Online-Redaktionen müssten strafrechtlich relevante Inhalte sofort anzeigen, so Zick. Es helfe auch, in den Kommentarspalten der Web-Auftritte auf den Volksverhetzungs-Paragraphen aufmerksam zu machen: „Den wenigsten ist klar, dass sie für Äußerungen im Netz strafrechtlich belangt werden können."
Zudem sollten die Redaktionen Hass-Postings nicht unkommentiert stehen lassen, betonte Dana Buchzik von den „Neuen Deutschen Medienmachern“ und der „No Hate Speech-Kampagne Deutschland“. Eine Methode, auf die Kommentare zu reagieren, sei die „Produktive Counter Speech“. Dazu sollen Journalisten eine gemeinsame Ebene mit den „Hatern“ schaffen, um politisch aufgeladene Begriffe dann aber umzudeuten. Als Beispiel nannte Buchzik den Begriff „Heimat“: In flüchtlingsfeindlichen Kommentaren wird „Heimat“ oft eng und ausgrenzend definiert. Online-Redaktionen könnten in ihrer Antwort betonen, dass „Heimat“ auch für sie einen hohen Stellenwert hat, aber dass "Heimatliebe" in ihren Augen nicht Abgrenzung, sondern Offenheit gegenüber Geflüchteten und anderen Minderheiten bedeutet.
Solche Methoden umzusetzen scheitere jedoch häufig an mangelnden Ressourcen: "Idealerweise sollte es pro Schicht zwei Online-Redakteure geben, die sich bei der Betreuung der Kommentare abwechseln und austauschen können. Das ist jedoch in den wenigsten Redaktionen der Fall", betonte Buchzik.
"Hass im Netz hat reale Konsequenzen"
Anna-Mareike Krause, Leiterin der Social Media-Redaktion der „Tagesschau“, berichtete vom Strategiewechsel von „tagesschau.de“ im Umgang mit Hass im Netz: „Die Tagesschau ist ein neutrales Medium, diese Linie haben wir lange auch auf die Communitystrategie übertragen und daher nur eindeutig justiziable Inhalte gelöscht.“ Die Zahl der Kommentare habe sich aber in den letzten zwei Jahren vervierfacht – damit sei auch die Zahl der menschenverachtenden Postings gestiegen. „Da haben wir erkannt: Wir sind Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte“, sagte Krause.
Daher seien sie und ihr Team dazu übergegangen, falsche Behauptungen zu korrigieren und menschenfeindlichen Äußerungen zu widersprechen. Das sei aber sehr aufwendig, denn die Online-Inhalte der „Tagesschau“ werden etwa 12.000 mal pro Tag kommentiert, so Krause. Die Diskussionen zu moderieren erfordere viel Personal, das nicht jedes Medienhaus aufbringen könne: „Redaktionen mit weniger Ressourcen stoßen bei der Bearbeitung der Kommentare an ihre Belastungsgrenze“, sagte Krause. Man dürfe „Hate Speech“ nicht verharmlosen: „Die Kommentare im Netz bleiben nicht virtuell, sie haben reale Konsequenzen.“
Bei besonders extremen Äußerungen steht dem Social Media-Team von „tagesschau.de“ eine Rechtsabteilung zur Seite, die prüft, ob gegen den Kommentator Anzeige erstattet werden kann. „Viele Hasskommentare erfüllen aber keinen Straftatbestand“, sagte Krause. Häufig bleibe ihnen dann nur die Möglichkeit, den „Hater“ zu sperren. Krause spricht sich aber dagegen aus, Kommentarspalten grundsätzlich zu deaktivieren: „Wenn man als Medienhaus in die Sozialen Netzwerke geht, gehört Community dazu.“
Von Hanno Fleckenstein
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